Syrien: Wie kann das Blutvergießen gestoppt werden?
Syriens Machthaber lässt trotz internationaler Proteste weiter auf Demonstranten schießen.
Bashar al Assad und Muammar Gaddafi führen Krieg gegen ihre eigenen Völker, Libyens Aufständische schießen aufeinander, Jemens Staat kollabiert – der arabische Frühling erlebt seine ersten Tragödien. Drei arabische Nationen werden zerrissen von dem Versuch ihrer Völker, die jahrzehntelangen Dauerdiktatoren abzuschütteln. Die Regime wehren sich mit allen Mitteln, ihre Seilschaften und Profiteure kennen keine Skrupel. Von Woche zu Woche steigt die Zahl der Toten, die offenen Rechnungen wachsen, die Schäden am Volksvermögen gehen ins Unermessliche. Libyen könnte enden als ein von Warlords, Stammeskriegern und islamistischen Gangs zerfetztes Land. Dem Jemen drohen Hunger, Zerfall und Al-Qaida-Emirate. Und Syrien könnte wie sein unglücklicher Nachbar Irak abstürzen in Anarchie und chronische religiöse Gewalt.
Wie reagiert Präsident Assad auf den internationalen Druck?
Zu Syrien ist in New York der UN-Sicherheitsrat erneut zusammengetreten. Das Entsetzen über Assads Blutbad vom Wochenende ist groß – in den westlichen Staaten. China dagegen schweigt, Russland als Hauptverbündeter von Damaskus meldete sich immerhin erstmals mahnend zu Wort. Trotzdem bleiben die Möglichkeiten, von außen in den erbarmungslosen Machtkampf einzugreifen, sehr begrenzt. Ein paar zusätzliche Sanktionen hier, ein paar scharfe Presseerklärungen dort, ein paar ausgewiesene Diplomaten, manchmal noch einige öffentliche Gewissensmassagen obendrauf – das alles beeindruckt Bashar al Assad nicht, der auch schon mal dem protestierenden UN-Generalsekretär Ban Ki Moon ausrichten ließ, er habe keine Zeit für ein Telefongespräch. Das syrische Regime ist gegen äußeren Druck weitgehend immun. Seine Machtzirkel im Inneren haben so viel zu verlieren, dass sie nur Sieg oder Untergang kennen. Die Familienclans und Personenverbände des Baath-Systems halten praktisch alle Fäden in der Hand und sind durch zahllose wechselseitige Loyalitäten ineinander verstrickt.
Wie ist die Lage in Syrien?
Die gesellschaftlichen Missstände sind so tief eingeschliffen, dass es in Zeiten der Krise keine schnellen Lösungen gibt. Vielleicht hat Syriens Präsident Bashar al Assad anfangs tatsächlich den Willen zu echten Reformen gehabt. Doch sein Regime ist gar nicht in der Lage, solche komplexen politischen Prozesse überhaupt zu organisieren. Jedes Mal erwies sich die bislang drei Mal öffentlich inszenierte Umkehr als machtpolitische Finte. Kaum hatte Assad das seit Ewigkeiten geltende Ausnahmerecht außer Kraft gesetzt, wurde das Wüten der Staatssicherheit noch wilder als zuvor. Kaum hatte er das friedliche Demonstrieren offiziell erlaubt, wurde noch brutaler in die Menge geschossen und Panzer wurden in Marsch gesetzt. Und der angekündigte sogenannte nationale Dialog entpuppte sich als fernsehwirksame Propagandanummer zwischen handverlesenen Gefolgsleuten des Regimes. Seine geplante vierte „Reformrede“ ließ der Präsident inzwischen stillschweigend in der Schublade verschwinden. Denn durch eine echte Pluralisierung der Macht, wie sie die Opposition fordert, werden viel zu viele eingesessene Interessen berührt. Der Apparat müsste seine eigene Entmachtung in Gang setzen. Da gibt er lieber Armee und Geheimdienst freie Hand.
Ist ein militärisches Eingreifen vertretbar?
Die internationale Gemeinschaft kann jenseits aller berechtigten Empörung kaum verbergen, wie ratlos sie vor der syrischen Eskalation steht. Zwar zeigt der Fall Libyen, dass man in einer territorial überschaubaren Situation militärisch aufseiten der Aufständischen eingreifen kann, um die Zivilbevölkerung gegen Massaker des Regimes zu schützen. In Syrien aber ist die Lage vollkommen anders. Nächtliche Razzien im ganzen Land, Scharfschützen auf den Dächern und Panzer vor Moscheen lassen sich nicht aus der Luft bekämpfen. Die Nato würde dem Regime in die Hände spielen, das die Opposition von Anfang an als vom Ausland gesteuert zu diskreditieren versucht.
Deren Aktivisten wünschen, anders als die Rebellen aus Bengasi, ausdrücklich keine militärische Einmischung – zumal die Erfahrungen in Libyen nach fünf Monaten und 6500 Bombenangriffen klare Grenzen zeigen. Westliche Soldaten können nicht arabischen Aufständischen mit allen Mitteln zum Sieg verhelfen. Ein Regimewechsel in Tripolis oder Damaskus ist nicht Sache der Nato. Das bleibt Aufgabe der libyschen und syrischen Bevölkerung. Das müssen die Bürger dieser Länder selber durchfechten.
„Euer Schweigen tötet uns“, gaben die Organisatoren in Syrien für die Demonstration am letzten Freitag als Motto aus. Der Appell richtete sich vor allem an die eigenen, wohlhabenden Landsleute, die in Damaskus und Aleppo nach wie vor abseits stehen und zögern, gegen das Regime mitzukämpfen. Auch Gaddafi wird ohne einen Aufstand in Tripolis nicht zu stürzen sein. Hier liegt der Schlüssel für die Zukunft. Nur dann werden sich die Menschen am Ende als Meister ihres Schicksals fühlen und für alle nationalen Folgen ihrer Freiheitsrevolutionen einstehen.