Die Covid-Trikolore: Wie Italiens Pandemie-Risikorechnung funktioniert
Gelb, orange, rot - Italiens Gesundheitsminister teilt die Covid-Risiken immer wieder neu ein. Harte Maßnahmen könnten in der neuen Koalition schwerer werden.
Seit dem letzten Jahr färbt die Pandemie den italienischen Stiefel rot, orange und gelb: Monat für Monat mischt Gesundheitsminister Roberto Speranza die Palette neu, je nachdem welche Daten ihm Italiens oberste Gesundheitsbehörde, das ISS, liefert: In den roten Regionen - eine Region entspricht etwa einem deutschen Land - herrschen wegen Covid-19 sehr harte Beschränkungen; wer in gelben und orangefarbenen Gegenden lebt, ist im Alltag weniger stark betroffen.
In den orangefarbenen und gelben sind die Ausgangsverbote auf die Zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr morgens beschränkt, der öffentliche Nahverkehr ist um die Hälfte reduziert, gelernt wird an den Schulen und Universitäten nur im Fernunterricht, Museen und Ausstellungen, Kinos, Theater und Sportstudios sind geschlossen.
Während Bars und Restaurants unter orange vollkommen dichtmachen müssen, dürfen sie mit gelb bis 18 Uhr öffnen. Im orangefarbenen Teil des Landes ist es zusätzlich verboten, die eigene Stadt oder den Landkreis zu verlassen - hier ist der Unterschied zur höchsten Alarmstufe, der roten, am deutlichsten.
In roten Zonen ist das Ausgehen komplett untersagt, es sei denn, wie in den andern Zonen, um zur Arbeit zu gehen oder "aus gesundheitlichen Gründen", also zur Apotheke oder zur Ärztin. Wer Lebensmittel, Arznei oder Tabak verkauft, muss nirgendwo schließen, ebenso wenig wie - anders als bisher in Deutschland - die Friseure.
Rechte Parteien fordern Lockerung der Regeln
Ist schon das Regelwerk zur Einteilung der Zonen nicht unkompliziert, so sind die Kriterien, die dabei angelegt werden, ein Dschungel, in dem sich nur Fachleute zurechtfinden werden: 21 Voraussetzungen werden geprüft für die Zuordnung von Teilen des Landes zu einer der drei Zonen - unbetroffene weiße gibt es schon länger nicht mehr.
Dabei geht es um den R-Wert, die Zahl festgestellter Covid-Infektionen mit und ohne Symptome, die Menge der Intensivpatienten und die Entwicklung der jeweiligen Kurven. Regionale neue Hotspots der Infektion spielen eine Rolle und andere, teils nicht zwingende Kriterien - wie etwa die Zahl von mutmaßlichen Covid-Kranken, die in den Notaufnahmen landen.
Ein großer Teil der Kriterien betrifft das öffentliche Gesundheitssystem selbst: Für rot-gelb-orange ist auch entscheidend, wie viele Krankenhäuser und Intensivbetten eine Gegend hat, sogar, ob ihre Gesundheitsbehörden in der Lage sind, Infektionsketten nachzuverfolgen. So kann ein Landesteil durchaus in Tiefrot landen, nicht weil dort besonders viele Menschen das Virus in sich tragen oder gestorben sind, sondern weil dort das öffentliche Gesundheitssystem dort wenig strapazierfähig ist.
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Das alles galt bisher, und Italiens neuer Ministerpräsident Mario Draghi hat erst am Montag die Verlängerung des Farbregimes bis zum 27. März unterzeichnet, leicht angeschärft sogar. Aber mit dem Regierungseintritt der rechten Parteien Lega und Forza Italia, deren Wählerbasis vor allem im Norden die verarbeitende Industrie und das mittlere und Kleingewerbe ist, wird der Druck stärker, die Regeln zu lockern und, so berichtete der "Corriere della sera" über den Auftritt der neuen Regionalministerin Mariastella Gelmini im Kabinett, "Wirtschaft und Gesundheit zugleich zu schützen".
Gelmini gehört Silvio Berlusconis "Forza Italia" an. Ihr assistierte Parteifreund Renato Brunetta, der neue Minister für öffentliche Verwaltung, mit dem Vorschlag, nicht mehr ganze Regionen rot, gelb oder orange zu markieren, sondern sich kleinere Zonen vorzunehmen - was allerdings bereits möglich ist. Gesundheitsminister Speranza vertritt bisher die harte Linie. Speranza gehört der linken Kleinpartei "Liberi e Uguali" an und amtiert seit Herbst 2019.
Was Umweltschmutz und das Virus verbindet
Am Donnerstag will sich das Kabinett Draghi erneut zu Covid-Beratungen treffen - und, so ist zu lesen, die Regeln womöglich ändern. Ob das im Sinne seiner neuen Koalitionspartnerinnen sein wird, ist fraglich, wenn Draghi die Versprechen hält, die er in seiner Rede vor dem Parlament in der vergangenen Woche abgab.
"Wir wollen nicht nur gutes Geld, sondern auch einen gesunden Planeten hinterlassen", sagte er da und erklärte, dass die Wirtschaft zwar Hilfe brauche, um über die Pandemie hinwegzukommen: "Aber es wäre ein Fehler, ohne Unterschied alle Wirtschaftszweige zu schützen. Einige müssen sich ändern, auch radikal." Die richtigen auszuwählen, also die, die zukunftsträchtig seien und Umwelt und Gesundheit nicht schädigten, werde "die schwierige Aufgabe der Regierung in den nächsten Monaten".
Das dürfte Draghi direkt in Konflikt mit der Herzkammer der italienischen Produktivität bringen, der Lombardei. Die reiche Region lebt von der verarbeitenden Industrie und kämpft hart darum, nicht unter die harten Bedingungen einer roten Zone zu fallen, was aber immer wieder geschah.
Das Gros der arbeitenden Bevölkerung dort kann nämlich nicht ins Homeoffice, sondern muss oft in öffentlichen Verkehrsmitteln den riskanten Weg in die Fabriken antreten. Bergamo, nicht weit von Mailand, wurde im letzten Jahr weltweit traurig berühmt als Ort einer vier- bis fünffachen Übersterblichkeit durch Covid.
Inzwischen hat Brescia diesen Negativrekord eingestellt - von dort stammt auch Regionalministerin Gelmini. Die Stadt, schrieb die Umnweltjournalistin Marina Forti in ihrem vor drei Jahren erschienen Buch "Malaterra" über 150 Jahre industrieller Vergiftung des Landes, sei nicht nur "eine der wohlhabendsten Städte der reichen Lombardei“. Sie sei "zugleich eins der am meisten verseuchten Industriegebiete Italiens.“
Auch die Umweltverschmutzung gilt als Grund dafür, dass viele Norditalienerinnen und Norditaliener bereits Lungenschäden haben, die das Virus begünstigt haben und besonders tödlich haben wirken lassen. Auch Draghi sprach vor dem Parlament vom Zusammenhang zwischen Umweltzerstörung und Pandemie.