Impfen und Einschränkungen bis hin zum Lockdown: Wie Israel die Ausbreitung von Delta stoppen will
In Israel schnellt die Zahl der Infektionen wegen Delta in die Höhe. Nun werden die Älteren erneut geimpft – und die Regierung warnt vor einem Lockdown.
Es gab eine Zeit im Frühling, da schauten viele Europäer nach Israel in der Hoffnung, dort ihre eigene Zukunft zu erblicken. Cafés, Bars, Theatersäle und Fitnessstudios öffneten wieder, nachdem Israel in beispiellosem Tempo über die Hälfte seiner Bevölkerung geimpft hatte.
Im Juni ließ die Regierung dann nahezu alle verbliebenen Corona-Einschränkungen fallen. Seit Ende Juni jedoch steigen die Fallzahlen erneut, und seit einigen Tagen erreichen sie Höhen, wie das Land sie seit Monaten nicht gesehen hat. Auf knapp 4000 stiegen sie zuletzt – mehr, als derzeit in Deutschland gemessen werden. Dabei leben in der Bundesrepublik neun Mal so viele Menschen wie in dem kleinen Land am Mittelmeer.
Israels neue Regierung reagiert ähnlich wie die vorige: Sie beschließt neue Einschränkungen und droht mit einem weiteren Lockdown. So soll ab dem 8. August wieder die sogenannte Grüne-Pass-Regelung gelten.
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Den Grünen Pass erhalten in Israel all jene, die vollständig geimpft sind oder eine Covid-19-Erkrankung hinter sich haben und daher als immun gelten. Zuletzt mussten ihn nur noch jene vorzeigen, die eine Veranstaltung mit mehr als hundert Teilnehmern besuchen wollten. Nun soll der Zutritt zu Einrichtungen wie Fitnessstudios ähnlich eingeschränkt werden.
Zudem hat die Regierung die Quarantänepflicht für Reiserückkehrer ausgeweitet. Israelische Bürger, die eines von rund 40 als Risikogebiet eingestufte Ländern besuchen, müssen sich nach ihrer Rückkehr für mindestens eine Woche in Heimquarantäne begeben – egal, ob sie geimpft sind oder nicht. Am Dienstag setzte die Regierung auch Deutschland auf die Liste, zusammen mit Frankreich, den Niederlanden und den USA.
„Vermeiden Sie Menschenansammlungen, lassen Sie sich impfen“
Experten machen für die neue Covid-Welle die Delta-Variante verantwortlich, die offenbar wesentlich ansteckender ist als frühere Ausprägungen des Virus. „Die Delta-Epidemie ist extrem ansteckend und breitet sich überall auf der Welt aus“, sagte Israels Ministerpräsident Naftali Bennett. „Vermeiden Sie Menschenansammlungen und lassen Sie sich impfen – jetzt. Andernfalls werden wir keine andere Wahl haben, als schärfere Einschränkungen zu beschließen, einschließlich eines Lockdowns.“
Neben neuen Einschränkungen verstärkt die Regierung ihre Bemühungen, die Bürger zur Impfung zu bewegen. Seit vergangenem Wochenende können Menschen ab 60 Jahren sowie Angehörige von Risikogruppen sich eine dritte Impfung abholen. Rund 145.000 hatten das bis Dienstag getan, einschließlich Mirna Bennett, die Mutter des Premiers.
Ein gemeinsames Foto der beiden direkt nach der Impfung veröffentlichte Naftali Bennett auf Twitter. „Je mehr wir impfen, desto besser schützen wir unsere Mutter und unseren Vater und halten Israel offen“, schrieb er dazu.
Wie ist es um die Schutzwirkung des Biontech-Impfstoffs bestellt?
Israelische Studien weisen darauf hin, dass die Schutzwirkung des Pfizer/Biontech-Vakzins, das Israel vorwiegend einsetzt, mit der Zeit deutlich sinkt. „Erst dachten wir, komplett geimpfte Menschen seien geschützt. Doch nun sehen wir, dass die Effektivität der Vakzine bei rund 40 Prozent liegt“, sagte Sharon Alroy-Preis, die Direktorin für öffentliche Gesundheit im israelischen Gesundheitsministerium, vor wenigen Tagen in einem Interview mit dem US-Sender CBS.
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Zwar schütze die Impfung im Fall einer Infektion weiterhin halbwegs zuverlässig vor schweren Symptomen. Die Zahl der ernsten Krankheitsverläufe ist deshalb noch vergleichsweise niedrig. Aber auch diese Schutzwirkung sinkt offenbar. Von den gut 200 Covid-19-Patienten, die derzeit auf ambulante Behandlung angewiesen sind, haben sich gut die Hälfte vollständig impfen lassen.
Die Dritt-Impfung, so hoffen Experten, soll den Schutz wieder erhöhen. „Die Intervention der dritten Dosis sollte schwere Krankheitsverläufe effektiv reduzieren“, kommentierte der Datenexperte Nir Kalkstein, Gründer des KI-Forschungsinstitutes für rechnergestützte Gesundheit, auf Twitter. „Wenn 90 Prozent der besonders gefährdeten Bevölkerung geimpft ist, muss dies drastisch die Menge der kritisch kranken Patienten senken, im Vergleich zu früheren Wellen.“
Bisher haben sich dem Statistikportal „Our World in Data“ zufolge 62 Prozent der israelischen Gesamtbevölkerung mit zwei Dosen des Biontech/Pfizer-Impfstoffs impfen lassen. Dass es nicht mehr sind, liegt zum einen daran, dass das Land verhältnismäßig jung ist: 28 Prozent der Einwohner sind unter 15 Jahren alt. Zwar dürfen sich seit Kurzem auch schon Zwölfjährige impfen lassen, doch nicht alle nehmen das Angebot an.
Zudem gibt es auch in Israel Impfgegner und -skeptiker. Gut eine Million Menschen haben sich bisher nicht schützen lassen, obwohl sie zur Immunisierung berechtigt wären. Auf diese Minderheit übt die Regierung nun verstärkt Druck aus, allen voran der Premier. „Eine Million Israelis verweigern sich der Impfung. Sie gefährden die gesamte Bevölkerung, sie gefährden die anderen acht Millionen Bürger im Land“, sagte Bennett jüngst in einem Fernsehinterview.
Scharfe Attacken der Impfgegner
Auch Impfgegner wählen ihre Worte nicht eben behutsam. Vor einigen Tagen versammelten sich mehrere Dutzend von ihnen vor dem Haus von Sharon Alroy-Preis, der Direktorin für öffentliche Gesundheit, die stark für Impfungen wirbt. „Tochter des Teufels“, rief eine Demonstrantin, wie auf Videos von dem Protest zu hören ist.
„Sharon Alroy-Preis kollaboriert mit Pfizer gegen die Bürger Israels“, hatte ein anderer auf sein Plakat geschrieben. Die rhetorischen Attacken, auch in sozialen Medien, uferten derart aus, dass Ministerpräsident Bennett und Gesundheitsminister Nitzan Horowitz der Expertin öffentlich zur Seite sprangen. Die Debatte ist angespannt - und wird sich angesichts der jüngsten Lockdown-Drohungen gewiss nicht so schnell beruhigen.