Kurdenkonflikt in der Türkei: "Wie in Syrien"
Türkische Sicherheitskräfte und die PKK bekämpfen sich immer heftiger. Leidtragenden sind vor allem Zivilisten. Die Hoffnung auf Frieden hat sich zerschlagen.
Zerschossene Häuserfassaden, Schutt in den Straßen, dazwischen verängstigte Menschen, die ihre Habseligkeiten aus ihren Wohnungen holen. Manche ziehen Rollkoffer hinter sich her. Andere schleppen Kleidersäcke auf den Schultern, ein Mann trägt sogar eine Waschmaschine auf dem Rücken. Rauchsäulen steigen über den Häusern auf. Mehrere tausend Zivilisten verlassen ihre Heimat.
Es sind Szenen, die an Syrien erinnern, doch sie spielen sich derzeit im kurdischen Südosten der Türkei ab. Straßen und Wohnviertel in Städten wie Diyarbakir und Cizre sind Schauplätze des neuen Kurdenkrieges, der die zu Jahresbeginn noch vorherrschende Hoffnung auf Frieden endgültig hinwegfegt.
Kurdische Städte werden zu Schlachtfeldern, weil die PKK-Rebellen und die türkischen Sicherheitskräfte dort einen erbitterten und blutigen Machtkampf austragen. Nach dem Kollaps des Friedensprozesses im Sommer hat die PKK in Südostanatolien einseitig Autonomiezonen ausgerufen, in denen nur noch ihre eigenen Gesetze gelten sollen, und nicht mehr jene des türkischen Staates. PKK-„Gerichte“ bestrafen angebliche Kollaborateure, während Kurdenkämpfer in den Straßen Barrikaden errichten und Gräben ausheben, um Polizei und Armee von den beanspruchten Stadtvierteln auszusperren.
Ganze Städte abgeriegelt
Der Staat antwortet mit militärischem Druck. Dutzendfach wurden in den vergangenen Monaten lokale Ausgangssperren verhängt und ganze Städte abgeriegelt, um dort gegen die PKK vorgehen zu können. Spezialeinheiten und Panzer wurden für den Häuserkampf ins Kurdengebiet verlegt. Allein in den vergangenen Tagen wurden mehr als 100 PKK-Anhänger getötet. Kurdische Quellen sprechen von erbarmungslosem Beschuss von Wohngebieten und zivilen Opfern, darunter auch Kinder.
Für die ohnehin schon arme Bevölkerung sind die Kämpfe eine neue Katastrophe. Wohnhäuser, Schulen und Moscheen sind während der Gefechte zerstört worden. Das öffentliche Leben und der Schulunterricht kommen zum Erliegen – allein in den Städte Cizre und Silopi haben rund 3000 Lehrer auf Empfehlung der Bildungsbehörden die Kampfgebiete verlassen. Ladenbesitzer verrammeln ihre Geschäfte mit Metallgittern. „Manche Städte und Stadtviertel im Südosten der Türkei sehen aus wie in Syrien“, sagt der Politologe Behlül Özkan. Er erwartet, dass die Gewalt das neue Jahr in der Türkei prägen wird. „2016 wird ein schwieriges Jahr“, sagte Özkan.
Die Regierung in Ankara sieht keine Alternative zur militärischen Option. Premier Ahmet Davutoglu sagte, er sei unglücklich über die Ausgehverbote, doch seien sie zum Schutz der Zivilbevölkerung nötig. Wenn erforderlich würden die kurdischen Städte „Haus für Haus, Straße für Straße“ von der PKK „gesäubert“.
Rückkehr an den Verhandlungstisch? Undenkbar
Kurdenvertreter machen dem Staat schwere Vorwürfe. Die legale Partei HDP erklärte, der Staat führe Krieg gegen die Kurden. Auch sie sei als Partei gegen das Ausheben von Gräben. Doch diese Aktionen seien die Folge des von der Regierung provozierten Abbruchs der Friedensgespräche. Menschenrechtler beklagen, die Ausgehverbote gingen vielfach mit Strom- und Wassersperren einher, die den Zivilisten das Leben erschwerten. Dagegen sagt Ankara, Stadtverwaltungen der HDP im Kurdengebiet stellten den PKK-Mitgliedern die Baumaschinen zur Verfügung, mit denen die Gräben ausgehoben werden.
Eine Rückkehr zum Verhandlungstisch erscheint derzeit unmöglich. Die Schuld liege auf beiden Seiten, sagen Beobachter. Der Staat behaupte, er kämpfe gegen eine Terrororganisation, richte den Konflikt aber gegen die kurdische Bevölkerung, schrieb die Kolumnistin Oya Baydar in einem Beitrag für das Nachrichtenportal T24. Die PKK behaupte, sie kämpfe für das kurdische Volk, bewirke mit diesem Kampf aber, dass Besitz und Wohlergehen der Menschen zerstört würden. Beide Seiten tragen ihren Machtkampf auf dem Rücken der Zivilisten aus, analysiert Baydar.