Trump und TikTok: Wie gefährlich ist TikTok?
Donald Trump will einen Verkauf von TikTok an Microsoft erzwingen. Die App aus China sei gefährlich. Hat er Recht? Wir fragen den China-Experten Kai von Carnap.
Kai von Carnap ist Mitarbeiter am Mercator Institute for China Studies in Berlin. Sein Fokus ist die technologische Entwicklung Chinas.
Dieses Interview ist zuerst in Twenty/Twenty erschienen, unserem wöchentlichen Newsletter zum Präsidentschaftswahlkampf in den USA. Hier können Sie sich kostenlos anmelden.
Der amerikanische Präsident hat gedroht, die chinesische Kurzvideoplattform TikTok vom US-Markt zu verbannen. Am Montag legte er nach: Wenn bis zum 15. September kein Verkauf an Microsoft zustande komme, mache er ernst. Was steht hinter dieser Drohung?
Hinter der Drohung steht die Wahrnehmung, dass ByteDance – der chinesische Mutterkonzern von TikTok - den Interessen der Kommunistischen Partei Chinas sehr nahesteht. Amerikanische Regierungsmitarbeiter befürchten, dass die Daten amerikanischer TikTok-Fans im Sinne der chinesischen Führung genutzt werden könnten. Trumps Drängen auf einen Kauf durch Microsoft ist ein neuer Schritt in der Politisierung von Tech-Unternehmen. Die USA machen damit das, was sie eigentlich den Chinesen vorwerfen: Auch Microsoft wird ja jetzt in den Dienst politischer amerikanischer Interessen genommen.
Wie berechtigt ist die Befürchtung, ByteDance stehe der chinesischen Regierung nahe?
Es gibt berechtigte Gründe zur Sorge. Die rechtliche Lage in China ist klar: Die chinesische Regierung sichert sich per Gesetz Eingriffsmöglichkeiten. Es gibt zum Beispiel ein Cybersicherheitsgesetz, das es den Cybersicherheitsbehörden erlaubt, Daten von Tech-Unternehmen abzufragen. Innerhalb der meisten chinesischen Privatunternehmen, gerade in der Tech-Branche, gibt es Parteizellen, die mit oder neben der Unternehmensführung Entscheidungen treffen. Diese Parteizellen haben großen Einfluss auf die Führung der Unternehmen – wobei wir bei ByteDance nicht genau wissen, wie das Zusammenspiel funktioniert. Die meisten chinesischen Tech-Unternehmen sind außerdem gehalten, ihre Daten auf chinesischen Servern zu speichern. TikTok versucht, das zu umgehen. Das Unternehmen hat die Richtlinie, Daten von Nutzern außerhalb Chinas auch außerhalb Chinas zu speichern.
TikTok sagt, es speichere seine Daten außerhalb Chinas, der US-Sitz des Unternehmens ist in Los Angeles stehen. Werden die Daten tatsächlich nicht exportiert?
Es kommt weniger auf den Export der Daten selbst an, sondern eher auf die Analyse. ByteDance lebt ja – wie auch Facebook oder Google – davon, die Daten, die durch die Nutzung anfallen, auszuwerten. Für das Unternehmen ist das zentral, um seine Algorithmen weiterzuentwickeln und zum Beispiel gezielt Werbung platzieren zu können – das ist ja das Geschäftsmodell hinter TikTok.
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TikTok hat nun eine ganze Reihe von Maßnahmen eingeleitet, die wohl das Vertrauen in die Datensicherheit erhöhen sollen: Es hat sich öffentlich dazu bekannt, die Analyse der Daten von TikTok von der Analyse der Daten der chinesischen Variante des Dienstes, Douyin, zu trennen. Im Mai wurde bekannt, dass ByteDance Kevin Mayer verpflichtet hat, einen amerikanischen Manager, der zuvor die Streaming-Dienste von Disney verantwortet hat und jetzt CEO von TikTok ist. Außerdem zitierten Medien aus einer internen Richtlinie, die einen „Minimaldatenaustausch“ zwischen TikTok in den USA und dem chinesischen Mutterkonzern vorsieht. Aber zu welchem Grad die Trennung technisch stattfinden soll oder sogar schon stattgefunden hat, ist bislang nicht bekannt.
TikTok verfügt über einen Datenschatz. Weltweit wurde die App 1,9 Milliarden Mal heruntergeladen, in den USA 172 Millionen Mal. Was wird denn befürchtet, was die chinesische Führung mit den Datenanalysen anfangen könnte?
Spätestens seit 2019 sind politische chinesische Narrative und chinesische Medienformate in den sozialen Medien des Westens wie Twitter, Youtube und Facebook viel präsenter, als zuvor. China versucht, über diese Kanäle die öffentliche Meinung in westlichen Ländern zu beeinflussen. Das kann es natürlich umso besser, je mehr es über die Nutzer weiß. Inhalte können dann zielgenauer eingesetzt werden. Es gibt spätestens seit dem Skandal um die Datenanalysefirma Cambridge Analytica, die sich Facebook-Nutzerdaten kaufte, diese auswertete und die Daten unter anderem an das Wahlkampfteam von Donald Trump verkaufte, ein Bewusstsein dafür, dass solche Daten dafür eingesetzt werden können in dem Versuch, politische Stimmungen zu beeinflussen oder sogar zu drehen. Die Voraussetzung sind allerdings sehr große Datensätze. TikTok ist eine ideale Quelle, um nicht nur die chinesische Bevölkerung besser verstehen zu können, sondern eben auch den internationalen Markt, zumal den Markt der Meinungen.
Wird die Plattform TikTok selbst auch für chinesische Propaganda genutzt?
Ja, dafür gab es Anzeichen, auch für Zensur. Es gab Videos, die sich mit der Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in der chinesischen Provinz Xinjiang befassten, die schon nach wenigen Stunden aus dem Dienst verschwunden waren. Es gab ein geleaktes Dokument, einen Katalog von Begriffen und Themen, der von der kommunistischen Partei Chinas zusammengestellt wurden. Der Algorithmus soll Videos zu diesen Begriffen und Themen entweder ganz herausfiltern oder dafür sorgen, dass weniger Leute sie sehen, es ging zum Beispiel um Tibet, Taiwan, Xinjiang und das Massaker auf dem Tiananmen-Platz 1989.
Hat Donald Trump also recht mit seinen sicherheitspolitischen Bedenken?
Soziale Medien haben generell große Einflussmöglichkeiten auf eine Gesellschaft – nicht nur chinesische. Von daher ist die Sorge berechtigt. Liberale Demokratien müssen sich auch selbst fragen, wie sie mit dieser Macht umgehen, auch bei ihren eigenen Unternehmen. Trump handelt womöglich aber auch aus wirtschaftlichen Interessen – es geht ja auch darum, amerikanischen Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen, in diesem Fall Microsoft.
Spielt der amerikanische Wahlkampf eine Rolle für Trumps Vorgehen?
Es dürfte schon in Trumps Interesse sein, die Einflussmöglichkeiten der chinesischen Regierung auf die öffentliche Meinung in den USA gerade in Wahlkampfzeiten möglichst gering zu halten. Inhaltlich ist es für ihn wichtig, möglichst hart gegenüber China zu erscheinen – damit versucht er, sich zu profilieren – in der Handelspolitik und jetzt auch mit seinem Vorgehen im Fall TikTok. Eine so große und bekannte Plattform anzugreifen, erzeugt viel Aufmerksamkeit.
Auch im Fall des chinesischen Telekommunikationsanbieters Huawei greift die amerikanische Regierung durch: Der Anbieter wird vom Ausbau amerikanischer Mobilfunknetze ausgeschlossen, bereits verbaute Huawei-Komponenten sollen entfernt und ersetzt werden. Ist TikTok ein ähnlich gelagerter Fall?
Die strategische Komponente ist bei Huawei viel stärker als bei TikTok. Im Fall von Huawei geht es um die digitale Infrastruktur, die im 21. Jahrhundert absolut zentral ist. In China wiederum hängen da ganze Wertschöpfungsketten dran. Entsprechend hart ist die Auseinandersetzung. China hat im Fall von Huawei auch viel schärfer reagiert und sich klar vor Huawei gestellt. Als zum Beispiel die Huawei-Topmangerin Meng Wanzhou in Kanada verhaftet wurde, hat China im Gegenzug kanadische Geschäftsleute in China verhaftet. Im Fall von ByteDance ist fraglich, ob es sich für China lohnt, ähnlich zu reagieren – man hat sicher Interesse an den Daten, könnte sich die aber auch anders beschaffen.
Wie groß ist denn die Resonanz in China auf den Fall TikTok? Einige chinesische Staatsmedien haben ja reagiert, die „China Daily“ spricht von „Diebstahl“?
Reagiert haben vor allem andere chinesische Tech-Unternehmen, mehrere namhafte Manager haben sich öffentlich geäußert. Sie wehren sich gegen die unterstellte Staatsnähe und meinen, TikTok sei doch nur eine Unterhaltungsplattform, die strategisch gar nicht wichtig sei. In den Medien herrscht der Tenor vor, dass es Trump lediglich um die wirtschaftlichen Interessen der USA gehe. Was mit TikTok selbst passiert, dürfte den meisten Chinesen aber egal sein, der Dienst ist ja so in China gar nicht verfügbar und auf den Schwesterdienst Douyin hätte ein Verkauf in den USA keinen Einfluss.
Würde ein Verkauf Auswirkungen auf den europäischen Markt haben?
Wahrscheinlich nicht. Die App wird vermutlich weiter funktionieren, wie sie ist. Als Nutzer oder Produzent von Videos dürfte man nichts spüren. Vielleicht würde es dem einen oder anderen auffallen, wenn dann auch Inhalte zu politischen Themen verfügbar sind, die China nicht gern sgeht, aber TikTok ist ja eher mit Unterhaltung erfolgreich, kein politischer Kanal…
Im Fall von Huawei fordern die USA auch von Ihren Verbündeten, die amerikanische Linie anzunehmen, also Huawei vom Ausbau von Mobilfunknetzen auszuschließen oder sogar verbaute Komponenten zu entfernen. Ist Ähnliches auch im Fall TikTok zu erwarten?
Nein, eher nicht. Wie gesagt, der Fall Huawei hat ein ganz anderes strategisches Gewicht. Dafür, dass es über soziale Medien oder Dienste wie TikTok die öffentliche Meinung in der westlichen Welt unterminiert werden kann, gibt es einfach noch nicht genug Belege, als dass man hier so massiv politisches Kapital einsetzen müsste. Das kann sich natürlich ändern, je nachdem, wie stark China den Weg weiterverfolgt, die öffentliche Meinung in westlichen Ländern beeinflussen zu wollen.