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Intensivpflegerinnen sind auf einer Covid-19-Station im sächsischen Pulsnitz mit der Versorgung von Corona-Patienten beschäftigt.
© Robert Michael/dpa

Rennen gegen die Zeit: Wie gefährlich ist die dritte Pandemie-Welle?

Die Impfzahlen steigen, aber auch die Covid-19-Fälle nehmen wieder zu. Schon zu Ostern droht ein neuer Höchststand.

Die Zahlen steigen. Langsam zwar, sagt Jens Spahn (CDU), „aber sie steigen“: Als der Gesundheitsminister am Freitag sein wöchentliches Corona-Lagebild vorlegt, steht die Sieben-Tage-Inzidenz im ganzen Land schon bei 72,4 – der zweite deutliche Anstieg in Folge. Bereits an Ostern droht ein neuer Höchststand der Infektionszahlen.

Obwohl sich auch erste Erfolge der Impfkampagne zeigen, blicken Bundesregierung und Experten mit wachsender Sorge auf die Pandemie. Die dritte Welle baut sich in Deutschland auf. Die entscheidende Frage ist, ob sie als neuer Sturm übers Land fegt oder flach gehalten werden kann.

Was macht die dritte Welle aus?

Dass es sich tatsächlich um eine neue Welle handelt und nicht um eine statistische Täuschung, daran lässt der Chef des Robert-Koch-Instituts (RKI) keinen Zweifel. Lothar Wieler betont: „Der Anstieg hängt nicht damit zusammen, dass mehr getestet wird.“ Sein Institut kann anhand vieler Indikatoren prüfen, dass die 12.834 gemeldeten Neuinfektionen, 2254 Fälle mehr als vor einer Woche, den realen Pandemieverlauf abbilden. Dabei bleiben die regionalen Unterschiede groß mit den höchsten Zahlen in Grenzregionen zu Tschechien, den niedrigsten in Schleswig-Holstein. Aber auch im Norden steigen sie wieder an auf knapp unter 50.

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Wie die dritte Welle ausfällt, darüber entscheiden nicht nur die Inzidenzzahlen oder das Tempo, mit dem sich ein exponentielles Wachstum aufbaut. Selbst relativ hohe Ansteckungsraten wären theoretisch verkraftbar, wenn sie nicht wie in der ersten und zweiten Welle drei, vier Wochen später zu vollen Intensivstationen und vielen Toten führen.

Doch davon, den Anstieg gelassen zu sehen, ist Deutschland noch weit entfernt. Selbst Impfweltmeister Israel erlebte während seiner Kampagne noch einmal eine massive Todeswelle.

Eine gute Nachricht dank Impf-Fortschritt kann Wieler immerhin melden. Die Zahl der Todesfälle insbesondere unter alten Menschen gehe kontinuierlich zurück, sagt er. Das zeige, dass die Prioritätenliste fürs Impfen richtig sei: „Das Alter ist der wesentliche Risikofaktor.“ Und zwar nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für das Gesundheitssystem: Je älter ein Covid-19-Patient, desto wahrscheinlicher muss er ins Krankenhaus und umso eher stirbt er. Von einer Entspannung, warnt Wieler, könne insgesamt aber keine Rede sein: Der Marathon gegen die Pandemie sei im letzten Drittel, „und das ist bekanntlich besonders anstrengend.“

Wie verstärken die Lockerungen die Welle?

Großbritannien und Irland haben es durchgemacht: nachdem die Fallzahlen im Lockdown auf ein relativ niedriges Niveau sanken und dann gelockert wurde, wuchsen die Zahlen wieder rasant. „Es ist exakt das, was wir gerade in Deutschland tun“, sagte der System-Immunologe Michael Meyer-Hermann dem Tagesspiegel. Treibende Kraft hinter dem in Deutschland einsetzenden Anstieg ist die höhere Ansteckungsgefahr durch die Virusvariante B.1.1.7.

Welchen Anteil hat die britische Variante?

In den Tests ist der Anteil von B.1.1.7 in der vergangenen Woche auf 55 Prozent angestiegen. Das RKI stuft diese Entwicklung als „besorgniserregend“ ein, weil B.1.1.7 nach bisherigen Erkenntnissen ansteckender als andere Varianten ist.

Eine Untersuchung von Fällen in Großbritannien zeigt, dass sie sehr wahrscheinlich auch gefährlicher ist. Ein Forschungsteam um Robert Challen von der University of Exeter verglich die Krankheitsverläufe von je etwa 55.000 Erkrankten, die mit herkömmlichen Varianten oder B.1.1.7 infiziert waren. Unter 1000 Menschen aus der ersten Gruppe kam es zu durchschnittlich 2,5 Todesfällen. In der B.1.1.7-Gruppe waren es 4,1, berichteten die Forschenden in der Fachzeitschrift „British Medical Journal“. Das entspricht einem um 64 Prozent höheren Risiko, mit der Infektion zu versterben. Das absolute Risiko sei jedoch relativ gering, sagten die Forscher.

Wie können sich hohe Inzidenzen aus den Nachbarländern auf die Welle auswirken?

Der erste Blick auf die Deutschland-Karte des RKI zeigt vor allem eines: An den Grenzabschnitten zu Österreich und Tschechien gibt es weiterhin besonders viele Infektionen. Daran haben offenbar auch die stationären Grenzkontrollen nichts geändert, mit denen Innenminister Horst Seehofer (CSU) den grenzüberschreitenden Verkehr Mitte Februar eingeschränkt hat. Zahlreiche Covid-19-Fälle gibt es entlang der Grenze auf einem durchgehenden Abschnitt von Niederbayern bis zum sächsischen Erzgebirge. Besonders hoch sind die Infektionszahlen auf der deutschen Seite gegenüber der tschechischen Stadt Cheb.

Anlass zur Besorgnis gibt inzwischen auch das Infektionsgeschehen in einigen Regionen im benachbarten Polen. Nach Angaben der EU-Krankheitsbekämpfungsbehörde ECDC wurden in der Woiwodschaft Lubuskie, die an Brandenburg und Sachsen grenzt, bis Anfang März innerhalb von zwei Wochen mehr als 500 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner registriert.

Größere Sorgen macht den Experten in Deutschland indes das Saarland. Dort taucht vermehrt die südafrikanische Corona-Mutante auf, gegen die manche Impfstoffe nicht so gut wirken. Die Südafrika-Version wird offenbar über den kleinen Grenzverkehr aus Frankreich an die Saar eingeschleppt. Dort mache sie schon rund 15 Prozent der entdeckten Fälle aus, berichtet Spahn. Jetzt wird erwogen, durch gezielte Impfung der Pendler und ihrer Kontakte einen Schutzring zu schaffen.

Ab wann kann die Impfkampagne großflächig greifen?

Bis die Impfkampagne eine breitere Wirkung entfaltet, dauert es noch. Denn dafür müssten mindestens die Personengruppen geimpft sein, die als besonders gefährdet gelten. Und das sind eben nicht nur die über 80-Jährigen und Heimbewohner aus der ersten Priorisierungsgruppe, sondern auch die über 60-Jährigen sowie Menschen mit Vorerkrankungen, die in vielen Bundesländern noch nicht einmal einen Impftermin haben. Aktuell verfügen in Deutschland laut RKI rund 3,3 Prozent der Gesamtbevölkerung über den vollständigen Impfschutz. Mindestens eine erste Impfung haben knapp sechs Millionen Personen erhalten (7,2 Prozent).

Laut einem Simulationsrechner des Zentralinstituts der kassenärztlichen Versorgung könnte es bis Mitte Mai dauern, bis alle aus den ersten beiden Priorisierungsgruppen durchgeimpft sind. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht von noch drei, vier schweren Monaten, bis wirkliche Effekte des Impfens zu sehen seien.

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