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Der CDU-Bundestagsabgeordnete Sepp Müller hilft bei der Corona-Kontaktnachverfolgung in Sachsen-Anhalt.
© Imago

CDU-Abgeordneter hilft bei Kontaktnachverfolgung: „Wie ein Flächenbrand im Amazonas, dem wir mit Feuerlöschern begegnen“

Der Bundestagsabgeordnete Sepp Müller hilft im Gesundheitsamt des Corona-Hotspots Wittenberg aus. Er fordert eine 14-tägige Ausgangssperre. Ein Interview.

Sepp Müller, 31, ist CDU-Bundestagsabgeordneter des Landkreises Wittenberg und der Stadt Dessau-Roßlau in Sachsen-Anhalt. Laut Tagesspiegel-Zahlen gehört eben dieser Landkreis mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 415,6 zu den 20 am schlimmsten von der Corona-Pandemie betroffenen Regionen in Deutschland.

Die Lage im Landkreis hat Müller dazu bewogen, selbst anzupacken. Seit Ende Dezember hilft er dem Gesundheitsamt mit der Kontaktnachverfolgung und lässt die Menschen in den sozialen Medien mit täglichen Neuigkeiten daran teilhaben. Der Sonntag hielt dann eine persönliche, negative Überraschung parat: Müller fühlte sich schwach und nahm einen Schnelltest vor. Das Ergebnis: schwach positiv. Das Ergebnis des PCR-Abstrichs soll am Dienstag vorliegen.

Am Montag arbeitete Müller trotzdem weiter – aus der Corona-Quarantäne. Dort haben wir ihn erreicht.

Herr Müller, Sie haben seit Weihnachten insgesamt an neun Tagen hautnah miterlebt, wie sich die Corona-Situation zuzuspitzen scheint in Deutschland. Was ist Ihr Eindruck?
Ich bin sehr überrascht über den teilweise übermenschlichen Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes. Die sind jeden Tag um 7 Uhr da und gehen um 20 Uhr nach Hause. Die tun alles – nur, wir sind nicht hinter einer Welle, sondern einem Tsunami. Sie können sich das nicht vorstellen. Es ist insofern schlimm, als dass man sieht, wie schnell das Virus um sich greift, extrem schnell derzeit – obwohl sich ein ganz, ganz großer Teil an die Regeln hält.

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Wie wirkt sich diese schnelle Ausbreitung derzeit in Ihrem Landkreis aus?
Ich kann Ihnen mal ein paar Fakten nennen: Das eine Krankenhaus bei uns hat von Anfang März bis Mitte Dezember knapp 50 Fälle aufgenommen. Von Mitte Dezember bis zum vergangenen Wochenende mehr als 200. Ein anderes Problem ist, dass wir die Kontaktketten gar nicht mehr nachvollziehen können.

Inwiefern?
Das eigentliche Ziel ist es bei einer Kontaktkette, zu ergründen: Wo kommt denn der Herd her? Das schaffen wir nicht mehr. Das ist momentan wie ein Flächenbrand im Amazonas, dem wir mit Feuerlöschern begegnen.

Also waren Sie auch zwischenzeitlich mal überfordert?
Überfordert ist das falsche Wort. Ich würde es eher „ernüchtert“ nennen. Du siehst kein Licht am Ende des Tunnels. Es ist ein Hamsterrad gerade, das sich immer schneller dreht und schneller dreht. Du freust dich über jeden Fall, den du abgeschlossen hast. Denn dazu kommt noch, dass du Bescheide erstellen musst und die Zahlen beim Robert Koch-Institut melden musst – obwohl du dazu eigentlich keine Zeit hast. Denn wir müssen ja erstmal denen Bescheid geben, die positiv getestet worden sind, die uns dann die Kontakte melden. Die Mitarbeiter wachsen da über sich hinaus.

Was Sie tun, ist nicht selbstverständlich und gehört normalerweise nicht zum Aufgaben-Portfolio eines Bundestagsabgeordneten: Warum haben Sie sich dafür entschieden, bei der Kontaktnachverfolgung mitzuhelfen?
Hintergrund ist, dass ich noch im Stadtrat und im Kreisrat bin und ein Bürgermeister uns informiert hat, dass der Landkreis um Amtshilfe gebeten hat. Daraufhin habe ich zum Telefonhörer gegriffen und gesagt: Leute, das ist die letzte Sitzungswoche, ich bin da. Daraufhin haben zwei meiner Mitarbeiter und ich losgelegt. Wir hatten 2002 und 2013 hier die Hochwasser in Sachsen-Anhalt, da stand ich auch an den Deichen und habe mitgeholfen.

Also war das Ihre Motivation, jetzt wieder zu helfen?
Ich kann das nicht ertragen, tatenlos rumzusitzen. Die Leute sterben uns teilweise weg wie die Fliegen. Jetzt hat Priorität, die Kontaktketten zu brechen. Und wenn ich nachher vielleicht zwei Menschen das Leben gerettet habe – dann habe ich schon was Gutes getan.

Haben Sie den Eindruck gewonnen, dass die derzeitigen Verordnungen und Maßnahmen zu wenig wirken und intensiviert werden müssten?
Jetzt bin ich natürlich sehr subjektiv eingetrübt. Aber letztlich kann jeder die Zahlen hochrechnen: Ich glaube, wir brauchen für 14 Tage eine Ausgangssperre, 24/7 – weil wir es so nicht mehr eingefangen kriegen. In meinem Landkreis haben wir schon eine Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr gehabt, aber wir kommen ja nicht mehr mit dem Testen hinterher.

Sie haben jetzt neun Tage mitgewirkt – wie lange soll es noch weitergehen?
Ich habe mir vorgenommen, so lange weiterzumachen, bis wir bei einer Inzidenz von 50 sind. Wobei ich glaube, dass wir es auch mit einer Inzidenz von 100 schaffen. Von der Normalität sind wir aber sehr weit entfernt, bei der Lage, die ich Ihnen geschildert habe.

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