Auf dem Weg zum Krieg: Wie die Staatengemeinschaft den Terror des IS bekämpfen will
Der Kampf gegen den "Islamischen Staat" muss sowohl in Syrien geführt werden wie auch in Europa. Was getan wird und getan werden muss - Fragen und Antworten zum Thema.
Experten sehen drei Orte, an denen der Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) stattfinden muss: im Nahen Osten selbst, auf den Marktplätzen der Terrorfinanzierung – und vor allem hier, bei uns. Regelrecht gegen das selbst ernannte „Kalifat“ in den Krieg zu ziehen ist zwar der spektakulärste Ansatz. Für die Sicherheit der Bürger Europas vordringlicher ist der Kampf gegen den Feind in den eigenen Städten.
Wie sehen militärische Optionen aus?
Der IS hatte bis Mitte 2014 in einem überraschend schnellen Vorstoß ein Gebiet von Nordsyrien bis in den Nordirak unter seine Kontrolle gebracht. Den Durchmarsch bis Bagdad stoppten vereinte Kräfte einheimischer Kämpfer am Boden und Kampfjets, vor allem der USA, aus der Luft. Seither hat die Terrormiliz ein „Kalifat“ mit quasi-staatlichen Strukturen aufgebaut. Militärisch kommt er aber nicht weiter voran.
Seine Gegner allerdings auch nicht. Erfolgen wie der Rückeroberung von Kobane stehen Rückschläge gegenüber. Die USA und ihre britischen und französischen Verbündeten mussten erneut die Erfahrung machen, dass ein Luftkrieg gegen einen verstreuten Gegner keine Wende bringen kann, wenn die Helfer am Boden so schwach sind wie die irakische Regierungsarmee. Ende Oktober genehmigte US-Präsident Barack Obama einen – allerdings im Umfang sehr begrenzten – Strategiewechsel mit dem Einsatz von bis zu 50 US-Elitekämpfern in Syrien.
Wird der Krieg jetzt intensiviert?
Präsident François Hollande hat die Mordanschläge von Paris als „Kriegsakt“ bezeichnet und französische Kampfjets vom Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ aus Attacken gegen IS-Stellungen fliegen lassen. Doch bisher deutet nichts auf einen regelrechten Feldzug im syrisch-irakischen Wüstensand hin. Bei der Nato wird im Vorfeld des Außen- und Verteidigungsministerrats am Dienstag über größere Truppenkontingente oder den Bündnisfall nicht einmal diskutiert.
Die Erfahrungen westlicher Militärs mit Interventionen von Irak bis Afghanistan sind ja auch ernüchternd. Zudem hat der IS inzwischen Ableger in Libyen, Jemen und Ägypten, islamistische Terrorgruppen von Nigeria bis auf die Philippinen erklären sich zu IS-Gefolgsleuten. Diese vielarmige Krake in kurzer Zeit militärisch niederzuringen dürfte selbst die vereinten Kräfte des Westens überfordern. Ein gemeinsames Vorgehen mit Russland kann sich derzeit niemand vorstellen, trotz des gemeinsamen Interesses am Kampf gegen einen Feind, der spätestens seit dem mutmaßlichen Anschlag auf einen Ferienflieger in Ägypten ganz konkret auch ein Feind Russlands ist.
Welchen Beitrag leistet Deutschland?
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat von ihrem letzten Besuch im Nordirak eine längere Wunschliste mitgebracht. Die Bundeswehr leistet dort Ausbildungshilfe für kurdische Kämpfer, die sich bisher als einzige schlagkräftige Truppe gegen den IS erwiesen haben. Die Liste wird im Moment geprüft; es geht da um Gerät wie Handwaffen, Munition und weitere Milan-Panzerabwehrraketen, um Sanitätshilfe, zusätzliche Ausbilder und Minenräum-Gerät. Das klingt unspektakulär, ist aber konkret am Ort wichtig. Denn die meisten Verluste der Kurden-Kämpfer seien „unnötig“, sagt ein westlicher Militärbeobachter. Von deutschen Kampftruppen hingegen ist weiterhin keine Rede.
Wie können die Geldquellen des IS trockengelegt werden?
Dem Terror-„Kalifat“ die Mittel zu entziehen gilt als eines der wichtigsten und effektivsten Mittel der Anti-IS-Koalition. Beim G-20-Gipfel von Antalya beschlossen die großen Industrienationen, die Aufgabe jetzt ernsthaft anzugehen. Doch einfach ist das nicht. Der IS verfügt über beträchtliches Vermögen. So fiel den Extremisten in der nordirakischen Stadt Mossul im Juni 2014 ein Depot der irakischen Zentralbank in die Hände. In Presseberichten war von 425 Millionen Dollar Beute die Rede, US-Kreise sprachen später von „nur“ einigen Millionen.
Doch der IS hat viele Geldquellen: den Schwarzhandel mit Rohöl und Diesel, Zwangssteuern in seinem Machtbereich, Verkauf von Raubgut aus antiken Stätten, Lösegelder aus Entführungen und allerlei Spenden reicher IS-Sympathisanten aus dem Nahen Osten. Ob zumindest anfangs verdeckt auch Regierungen aus der Golfregion die Extremisten gefördert haben, ist umstritten. Die US-Kampfjets nehmen inzwischen verstärkt die Öl-Förder- und Verladeeinrichtungen in IS-Hand ins Visier. Ein zweiter Ansatzpunkt ist der Geldtransfer. Seit März sucht eine Spezialisteneinheit der internationalen Anti-ISAllianz nach Wegen, Überweisungen an den und vom IS zu stoppen, die zum Beispiel über Banken in Syrien laufen.
Was wird getan, um den Syrienkonflikt politisch zu lösen?
Mehr denn je. Die internationale Diplomatie versucht jetzt geradezu fieberhaft, den Krieg mit diplomatischen Mitteln zu beenden. Das ist eine Kehrtwende. Denn jahrelang hat sich die Welt nicht sonderlich für das Elend, die Not und das massenhafte Sterben in Syrien interessiert. Doch dann standen erstmals Flüchtlinge zu Tausenden an Europas Grenzen – und Russland intervenierte militärisch, um seinem engen Verbündeten Baschar al Assad das politische Überleben zu sichern. Damit wurden Fakten geschaffen, die die Staatengemeinschaft zum Handeln zwangen. Vergangenes Wochenende gelang es sogar, in Wien so etwas wie einen Fahrplan in Richtung Frieden zu vereinbaren. Demzufolge soll so rasch wie möglich ein Waffenstillstand zwischen dem Assad-Regime und gemäßigen Kräften unter den Rebellen vermittelt werden. In einem nächsten Schritt ist vorgesehen, dass sich Regierung und Opposition über eine Übergangsregierung für Syrien verständigen. Innerhalb von 18 Monaten könnte es dann unter Aufsicht der Vereinten Nationen Neuwahlen geben. Dieser Rahmen war Konsens bei dem Treffen in Wien. Auch Russland und der Iran als enge Verbündete von Machthaber Assad stimmten zu. Allerdings pochen Moskau und Teheran darauf, dass Assad vorerst im Amt bleiben und sich später auch zur Wahl stellen kann. Darauf will sich vor allem Washington nicht einlassen. Deshalb warnte US-Außenminister John Kerry auch vor verfrühtem Optimismus: „Vor uns liegt noch viel harte Arbeit.“
Wie kann der Terror von Europa fern gehalten werden?
Sowohl von Europa in das IS-Gebiet als auch zurück ist ein regelrechter Terror- Tourismus im Gang. Die Türkei ist dabei wichtigstes Transitland. Zumindest einer der Attentäter von Paris ist über diese Route nach Europa gelangt: Der Mann war am 3. Oktober auf der griechischen Ägäis-Insel Leros als Flüchtling registriert. Er wurde aber trotz des korrekten Verfahrens nicht als gefährlich erkannt, weil seine Fingerabdrücke offenbar in keiner Warndatei standen; erst nachträglich zeigte ein Abdruck-Vergleich, wer sich da in den Flüchtlingstreck gemischt hatte – womöglich eine absichtlich gelegte Spur, um die Stimmung gegen Flüchtlinge in Europa anzuheizen.
Die Zusammenarbeit zwischen Europäern und der Türkei wird immer wieder durch wechselseitige Vorwürfe belastet. Die Europäer werfen den Türken Untätigkeit vor. Die Türkei antwortet mit dem Ggenvorwurf, in Europa würden Hinweise nicht ernst genug genommen. Die Anschläge von Paris liefern nach türkischer Lesart dafür ein neues tragisches Beispiel. Türkische Ermittler hätten ihre französischen Kollegen mehrfach vor Omar Ismail Mostefei gewarnt, der zu den Attentätern von Paris gehörte. Die französischen Stellen hätten die Warnungen aber ignoriert, hieß es in Ankara.
Die Türkei weist jedenfalls darauf hin, dass mehr als 15000 Personen auf einer Schwarzen Liste für ein Einreiseverbot stehen. Mehrere tausend Ausländer seien schon unter IS-Verdacht festgenommen und abgeschoben worden. Kurz vor dem G-20-Gipfel fingen türkische Flughafenpolizisten 40 Marokkaner ab, die in Istanbul mit einem syrischen Begleiter unterwegs nach Syrien waren.
Was ist mit den „hausgemachten“ IS-Kämpfern in Deutschland?
Sie sind aus Sicht von Innenexperten das größte Problem: Terroristen, die gar nicht erst anreisen müssen, weil sie schon da sind. Die meisten der Attentäter von Paris stammen aus Europa, und auch jene Bombenbauer, die in Deutschland noch rechtzeitig an Anschlägen gehindert werden konnten, waren meist mit Wohnsitz hier gemeldet.
Etwa 330 „Gefährder“ aus der islamistischen Szene halten die Sicherheitsbehörden derzeit im ganzen Land unter Beobachtung – extreme Fanatiker, zum Teil mit Kampferfahrung in IS-Lagern in Nahost. Fast noch größere Sorgen machen junge Menschen, die Hasspredigern in Hinterhof-Moscheen oder im Internet verfallen und oft in kürzester Zeit vom braven Schüler zum Terrortouristen mutieren. Dass der IS in seinen Kampf-, Folter- und Mordvideos wie ein Zitat aus Hollywoodstreifen und Computerspielen auftritt, dürfte kein Zufall sein – die Bilder und Szenen sprechen künftige Rekruten an. Nach Angaben von Innenexperten besteht die Szene etwa zu gleichen Teilen aus Deutschen, eingebürgerten Migranten und Ausländern.
Wie schützt sich Deutschland gegen weitere Anschläge?
Die Polizei ist schon verstärkt und bewaffnet auf den Straßen, Minister fordern alle Bürger zu Wachsamkeit auf, die Sicherheitsdienste sind im Alarmzustand – für weitere Maßnahmen, heißt es in Regierungskreisen, sei die Lage momentan noch zu unübersichtlich. „Aber alles, was sinnvoll und machbar ist, wird geprüft“, versichert ein Regierungsvertreter. Nur die CSU ist – wohl nicht zufällig kurz vor ihrem Parteitag – schon wieder weiter: Der Parteivorstand fordert in einer Resolution, die Bundeswehr in ein Gesamtkonzept für die Sicherheit „auch im Inneren“ einzubinden.
Und was ist mit den Flüchtlingen?
Natürlich könnten sich Terroristen auf dem Rückweg von Syrien unter die Flüchtlinge mischen, wie es offenbar einer der Täter von Paris getan hat. Aber selbst Innenpolitiker wie der CDU-Mann Wolfgang Bosbach, der in seiner Partei für eine deutlich restriktivere Flüchtlingspolitik als seine Kanzlerin eintritt, halten nichts von einem Generalverdacht.
Man müsse die Sache differenziert sehen: Einerseits kämen die allermeisten Flüchtlinge zu uns, weil sie genau wüssten, wie grausam die IS wüte. „Aber im Strom der Flüchtlinge können natürlich auch solche sein, die sich infizieren lassen“, sagt Bosbach – etwa von den Salafisten, die in Flüchtlingslagern Anhänger rekrutieren wollten. Ein wachsamer Blick sei da notwendig.
„Aber das ist kein Grund, alle Flüchtlinge ab jetzt mit spitzen Fingern anzufassen“, sagt der CDU-Politiker. Auch andere Politiker aus CDU, SPD und selbst CSU warnen davor, das Flüchtlingsproblem mit der Terrorfrage zu vermischen. Allerdings: „Wir müssen schon wissen, wer da einreist“, sagt Bosbach.