„In 55 Jahren Mitgliedschaft nicht erlebt“: Wie die SPD „Parteirebell“ Florian Post im Wahlkampf mobbt
Florian Post hat sich im Bundestag keine Freunde gemacht. Doch wie die Münchner SPD gegen den eigenen Kandidaten kämpft, bringt einen Parteigranden in Rage.
Florian Post bekommt gerade die Rache seiner Genossen zu spüren. Er hat sich im Bundestag einen Namen als Rebell gemacht. Mit seiner offenen Kritik war er am Sturz von Andrea Nahles beteiligt – und forderte immer wieder, ihren Vorgänger Sigmar Gabriel wieder stärker einzubinden.
„Wenn einer für die SPD einen Wahlkreis in Bayern gewinnen kann, dann der Florian Post“, sagt zum Beispiel der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Ramsauer im Gespräch mit dem Tagesspiegel, es ist ein Ritterschlag von jemandem, der seit Jahrzehnten zu den Stimmenkönigen bei Wahlen gehört.
Post tritt im Wahlkreis München-Nord an. Nun gab es eine Einladung zu einem Besuch von Kanzlerkandidat Olaf Scholz, die Bände spricht: Beim Besuch eines genossenschaftlichen Wohnquartiers wurden neben der bayerischen SPD-Vorsitzenden Ronja Endres und weiteren Funktionären „Sebastian Roloff, Bundestagskandidat München-Süd, Seija Knorr-Köning, Bundestagskandidatin München-West sowie Claudia Tausend, Bundestagskandidatin München-Ost“ als Gäste angekündigt.
Es fehlte Post, der SPD-Kandidat für München Nord - er holte bei der Bundestagswahl 2017 hier immerhin 26 Prozent, deutlich mehr als die SPD über die Zweitstimme in Bayern, es gewann Bernhard Loos von der CSU.
Nicht mehr abgesichert über die Landesliste
„Mich hat niemand informiert und eingeladen“, sagt er im Gespräch mit dem Tagesspiegel zu dem Scholz-Besuch am Dienstag in München.
Ende Juni ist er Vater von Zwillingen geworden, er war noch im Bundestag und verpasste knapp die Geburt. Trotz des neuen Glücks rackert er sich nebenher ab – aber die eigene Partei will scheinbar verhindern, dass er gewinnt.
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Über die Landesliste wurde er dieses Mal nicht mehr abgesichert. Bei der erneuten Kandidatur in München-Nord hatte er plötzlich eine SPD-Gegenkandidatin: Philippa Sigl-Glöckner, die Büroleiterin des Scholz-Vertrauen, Finanz-Staatssekretär Wolfgang Schmidt. Sie unterlag deutlich, Post ist vor Ort präsent, besucht Vereine, ist bürgernah, deftig-bayerisch.
Aber halt einer, der umstritten ist und aneckt. Zuletzt stellte er sich quer gegen die Parteilinie und stimmte im Bundestag gegen die bundesweite Corona-Notbremse mit verpflichtenden Ausgangssperren. Er hat auch Verfassungsbeschwerde eingelegt, die Klage ist noch anhängig.
Dabei klagt er auch gegen die verfügten Corona-Begrenzungen im Kultur- und Gastronomiebereich. „Ich möchte geklärt haben, ob das verfassungsgemäß war nicht oder nicht.“ Scholz‘ Sprecherin sagt auf Tagesspiegel-Anfrage, warum Post nicht dabei sein sollte, die Vorgeschichte mit der Kampfkandidatur Sigl-Glöckners und Posts‘ Agieren spiele „keine Rolle“. „Am 16. Februar war Olaf Scholz zuletzt in München, Florian Post war bei der Termingestaltung eng eingebunden und hat uns hervorragend unterstützt.“ Doch in der Zwischenzeit hat sich der Ton weiter verschärft, es kam zum endgültigen Bruch, weil Post kein Blatt mehr vor den Mund nimmt. „Ich bin Persona non grata“, sagt Post.
Auf Facebook hat die SPD München jüngst die heiße Phase eingeläutet: „Für uns geht es in dieser Wahl um alles: Wir wollen, dass Olaf Scholz unser Kanzler wird. Und wir wollen, dass Claudia Tausend, Seija Knorr-Köning und Sebastian Roloff uns die nächsten vier Jahre im Bundestag vertreten: für ein lebenswertes und bezahlbares München.“ Post wird gar nicht erwähnt.
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Christian Ude platzt der Kragen
Da platzt auch dem früheren Oberbürgermeister von München, Christian Ude (SPD) der Kragen: „Mobilisierung im Wahlkampf schaut für mein Verständnis anders aus. Da ruft man die eigenen Anhänger auf, in allen Stimmbezirken den Kandidaten der SPD zu unterstützen“, sagte Ude der „Bild“-Zeitung.
Die SPD habe bereits ihre Fraktion sowohl im Landtag als auch im Rathaus halbiert. „In solchen Situationen versuchen erwachsene Menschen eigentlich, sich nicht gegenseitig die Sandburgen zu zertreten wie streitsüchtige Kinder, sondern den Laden möglichst attraktiv erscheinen zu lassen“, sagte Ude. Das habe er in 55 Jahren Partei-Mitgliedschaft noch nie erlebt, dass eine Partei öffentlich kundtut: sie wolle in einem Wahlkreis gar nicht den Erfolg des eigenen Kandidaten.
Für Post ist das ganze symptomatisch: "Die bayerische SPD und deren Spitzenfunktionäre interessieren sich nur für Mehrheiten auf Parteitagen. Diese Leute sind intern zwar sehr gut, Mehrheiten zusammenmauscheln, aber die sind nicht bei den Leuten, da sind sie ganz weit weg.“ Das führe zu sieben Prozent in der letzten Umfrage für Bayern. „Bei Nicht-Wohlgefallen wollen die linken Sektierer einen vernichten, mit Stumpf und Stiel.“ Post verweist auf interne Umfragen, die durchaus ein enges Rennen zwischen ihm, dem erneuten CSU-Kandidaten Bernhard Loos und Doris Wagner von den Grünen versprechen. Aber klar, die Chancen sind gering. Post kritisiert, dass Teile der SPD sich zu viel mit nicht-binären Toilettenausstattungen und Gendersternchen beschäftigen würden.
Der Einsatz für menstruierende Männer
Da bezieht er sich auf einen angenommen Antrag der SPD Sachsen, wonach auf allen öffentlichen Herrentoiletten für menstruierende Männer und menstruierende nicht-binäre Personen Abfalleimer zur Entsorgung von Hygieneprodukten aufzustellen -
dabei geht es um Frauen, die sich als Mann fühlen und so leben, aber ohne Hormonbehandlung und ihre Periode bekommen. Post sagte dazu der "Bild": „Die machen eine Politik für Minderheiten in der Hoffnung, dass die Summe daraus eine Mehrheit ergibt. Das ist das Kernproblem der SPD und speziell der Landesverbände, die nahe an den 5 Prozent sind. Und je näher sie dran sind, desto irrer wird es.“
Kevin Kühnert? „Ein Bonsai-Jakobiner“
Diese Entwicklung sieht er auch bei der Bayern-SPD. „Für mich ist die Abgrenzung vom Funktionärsapparat eher nützlich, als schädlich“, sagt er im Tagesspiegel-Gespräch mit Blick auf seinen Wahlkampf. Aus seiner Sicht sei es auch der falsche Weg, im Wahlkampf zu viel „parteiinternes Zeug“ zu machen. Man müsse viel mehr raus zu den Menschen. Er fürchtet, die Fraktion im nächsten Bundestag werde zu stark auf links gebürstet, die Jusos hätten geschickt überall ihre Kandidaten in Stellung gebracht. „Das sind Bonsai-Jakobiner, Kevin Kühnert und Co.“, wettert er.
Dass der 40-Jährige nun gegen die eigene Partei kämpft und nach acht Jahren nicht mehr dem Bundestag angehören könnte, sei dann halt so. „Wenn es nicht klappt, dann kann ich mehr Zeit mit meiner Frau und den Zwillingen verbringen, das ist viel wichtiger."
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