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Bundeskanzlerin Angela Merkel
© Francois Lenoir/Pool/REUTERS

Gruppentherapie offenbart EU-Spaltung: Wie die nunmehr „Sparsamen Fünf“ die Mehrheit erpressten

Angela Merkel bemüht sich besonders um Vermittlung beim EU-Gipfel. Damit ist nicht zuletzt sie zur Geisel des Brüsseler Dramas geworden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Nach mehreren Monaten haben sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten wieder persönlich in Brüssel getroffen, um eine Lösung über Europas künftige Finanzen zu finden. Im direkten Gespräch, so lautete die Hoffnung, werde der europäische Geist schon wehen.

In schier endloser Folge hielt EU-Ratschef Charles Michel  auf der Dachterrasse des Brüsseler Ratsgebäudes Treffen mit einzelnen Gruppen von Staats- und Regierungschefs ab. Doch dabei kam vor allem zum Vorschein: Kleinkrämerei und nationalstaatlicher Egoismus.

Die europäische Gruppentherapie, die sich während des langen Brüsseler Wochenendes bis zum Beginn der Woche hinzog, hat Spaltungen in der EU offenbart, welche die „Weltpolitikfähigkeit“ der Gemeinschaft, die der frühere EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker einmal gefordert hat, deutlich in Frage stellen. Einer Minderheit von Ländern – die Niederlande, Österreich, Schweden, Dänemark und Finnland – gelang es bei dem Sondergipfel, die Mehrheit bei den Verhandlungen über das Finanzpaket mit einem Volumen von insgesamt 1,8 Billionen Euro zu erpressen.

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Weil bei solchen Gipfeltreffen das Prinzip der Einstimmigkeit gilt, konnte sich vor allem der niederländische Regierungschef Mark Rutte auf den Standpunkt stellen: Entweder folgen alle Gipfelteilnehmer den selbsternannten „sparsamen“ Staaten – oder das Treffen scheitert.

Damit ist nicht zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Geisel des Brüsseler Dramas geworden. Wie niemand sonst im Kreis der Staats- und Regierungschefs – abgesehen vom Ratschef Michel – bemüht sich die Kanzlerin als dienstälteste Regierungschefin um eine Vermittlung. Schon vor dem Beginn der Verhandlungen war klar gewesen, dass die deutsche EU-Präsidentschaft am Erfolg des Gipfels gemessen wird.

Merkel hat die Sprengkraft der niederländischen Innenpolitik unterschätzt

Merkel hat offenbar unterschätzt, wie viel negative Energie die innenpolitischen Verhältnisse in einzelnen Mitgliedstaaten auf EU-Ebene entfalten können. Rutte ist auf dem Gipfel nicht zu großen Zugeständnissen bereit, weil die Rechtspopulisten im eigenen Land vor der Parlamentswahl im kommenden März seinen Spielraum begrenzen. Und Ungarns Regierungschef Viktor Orban nutzt den Gipfel seinerseits, um die Pläne der Mehrheit der Mitgliedstaaten für mehr Sanktionsmöglichkeiten bei Rechtsstaats-Verstößen zu torpedieren.

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte beim EU-Sondergipfel in Brüssel.
Der niederländische Regierungschef Mark Rutte beim EU-Sondergipfel in Brüssel.
© REUTERS

Angesichts der zahlreichen Konflikte in der Gemeinschaft, die sich beim Streit ums Geld noch einmal bündeln, muss man zwar nicht nicht gleich wieder die Existenz der gesamten Gemeinschaft infrage stellen. Aber es lässt doch aufhorchen, dass Gipfelteilnehmer wie der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel erklärten, es habe bei den Diskussionen so diametral entgegengesetzte Positionen wie noch nie gegeben.

Wer gehofft hatte, dass sich nach dem Weggang der Briten eine einheitlichere Linie in der EU-Politik herausbilden würde, muss erkennen: Die Rolle des europapolitischen Bremsers ist von Großbritannien auf die Niederlande übergegangen.

Die EU braucht mehr Verzahnung - etwa in der Gesundheitspolitik

Die Klage des Luxemburgers Bettel zeigt auch, wo Politik in der EU nach wie vor in erster Linie gemacht wird: In den Hauptstädten der Mitgliedsländer. Das ist eine ernüchternde Feststellung für alle jene, die wie der deutsche Finanzminister Olaf Scholz angesichts der Planungen zum Corona-Hilfsfonds schon einen historischen Wendepunkt in Richtung der „Vereinigten Staaten von Europa“ erblickt haben.

Eigentlich hat die Corona-Krise ja offenbart, dass die EU-Staaten eine engere Verzahnung brauchen – nicht nur bei den geplanten Konjunkturhilfen, sondern auch in der Gesundheitspolitik. Aber den dafür nötigen Gemeinsinn sucht man bei Politikern wie Rutte und Orban vergebens.

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