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Mit Gasmasken bereiten sich diese Israelis auf einen möglichen Krieg mit dem Iran vor.
© dpa

Konflikt mit dem Iran: Wie die Israelis sich auf einen Krieg vorbereiten

Einem drohenden Krieg mit dem Iran begegnen die Israelis so gut vorbereitet wie möglich. Manche packen schon ihre Koffer, andere sanieren die Luftschutzbunker oder stehen Schlange, um Gasmasken zu kaufen.

Scharon Golan genießt ihr Leben in Tel Aviv. Die Architektin und Yogalehrerin fühlt sich geborgen in dieser lebensfrohen Stadt mit weißem Strand am blauen Mittelmeer. Zwischen Arbeit, Freunden und den Vorbereitungen auf die Geburt ihres ersten Kindes konnte sie bisher ausblenden, dass sie in einer Krisenregion lebt – bis sie am vergangenen Freitag die Fernsehnachrichten sah: „Sie dauern hier in Israel immer eine Stunde. Diesmal waren mindestens 40 Minuten der Sendung der Bedrohung aus dem Iran gewidmet. Ich habe es mit der Angst bekommen und das Fernsehen ausgeschaltet“, sagt die sonst recht entspannte Frau. Seither kann sie die Gedanken über einen bevorstehenden Krieg mit dem Iran nur schwer ausblenden.

Dabei sind Israelis Drohungen von ihren Nachbarn gewöhnt. Erfahrungen über den Ernst des Krieges sammeln Menschen hier von Kindesbeinen an. Kindergärten und Schulen halten regelmäßig Luftschutzübungen ab, die meisten dienen ab dem 18. Lebensjahr in der Armee. Wer im vergangenen Jahrzehnt im Land wohnte, durchlebte eine Intifada, den zweiten Libanonkrieg 2006 und den Krieg im Gazastreifen 2009. Auch wenn kein Krieg herrscht, ist die Lage oft angespannt. Es vergeht keine Woche, in der Medien nicht die Reden eines iranischen oder arabischen Würdenträgers zitieren, der dem Judenstaat mit Auslöschung droht.

Doch diesen Monat scheint Israels Führung entschlossener denn je, Irans Atomprogramm notfalls im Alleingang mit Waffengewalt aufzuhalten. Premier Benjamin Netanjahu beteuert, man könne nicht mehr lange abwarten, und die eigene Sicherheit nicht den USA überlassen. Seine Worte werden von Taten begleitet: Die Armee testete ein neues Warnsystem vor Raketenangriffen, mit dem Bürger per SMS vor einem Einschlag in ihrer Umgebung gewarnt werden, Gasmasken werden verteilt. Im Kabinett erweiterte Netanjahu seine Vollmachten auf eine Art, die es ihm erleichtern würde, den Angriffsbefehl zu geben.

Die martialische Rhetorik von Israels Feinden spitzte sich ebenfalls bedrohlich zu, wie die Hasstirade Hassan Nasrallahs, Chef der libanesischen Hisbollahmiliz, am Wochenende zeigte. Es gebe in Israel nur wenige lohnenswerte Ziele. Aber alle „können wir mit einer kleinen Anzahl genauer Raketen treffen“, sagte Nasrallah, und fügte hinzu: „Diese Raketen können das Leben von Millionen Zionisten zur Hölle machen und Zehntausende töten.“ Der iranische General Amir Ali Hadschisadeh hieß einen israelischen Präventivschlag zynisch willkommen, weil der seinem Land gestattete, „Israel für immer zu beseitigen“.

"Netanjahu will Panik verbreiten"

So ist Golan mit ihren Sorgen nicht allein: Die Telefonseelsorge „Eran“ berichtet von immer mehr Menschen, die um Hilfe bitten, weil sie sich über die möglichen Folgen eines Präventivschlags gegen den Iran Sorgen machen. Inzwischen wollten 10 bis 15 Prozent der täglich über 400 Anrufer über ihre Furcht vor einem Krieg mit dem Iran sprechen, teilte die Organisation vergangene Woche mit. Auch Nathan Scharanski, Vorsitzender der Jewish Agency, einer halbstaatlichen Organisation, die Juden aus der Diaspora zur Einwanderung nach Israel ermutigt, ist über die Folgen der erhitzten Rhetorik auf beiden Seiten besorgt. Zig potenzielle Einwanderer wollten den Präventivschlag und seine Folgen abwarten, bevor sie ins Land übersiedelten, sagte Scharanski.

Manche Politiker sind deswegen bemüht, Netanjahu und Verteidigungsminister Ehud Barak von einem Alleingang gegen den Iran abzuhalten. „Netanjahu will Panik verbreiten und uns Furcht einjagen – und wir haben tatsächlich Angst, Angst vor seinen Fehleinschätzungen, Angst davor, dass er eine gefährliche und verantwortungslose Politik betreibt“, sagt Oppositionsführer Schaul Mofaz. Auch Staatspräsident Schimon Peres, der in den vergangenen drei Jahren enger Verbündeter und Berater Netanjahus war, äußerte sich öffentlich gegen ihn. „Es ist klar, dass Israel den Iran nicht allein aufhalten kann. Es ist klar, dass wir mit Amerika kooperieren müssen“, sagte Peres in einem Interview, dass von Netanjahus Umfeld sofort aufs Schärfste kritisiert wurde.

Barak versucht derweil das Unmögliche. Er will vor der iranischen Gefahr warnen, und seinen Wählern die Konsequenzen eines Präventivschlags schmackhafter machen. Letztlich goss er mit seinen Einschätzungen aber nur noch mehr Öl ins Feuer. Der Preis, der Israel abverlangt würde, wenn es nicht rechtzeitig den Iran angreife, sei ungemein höher als der eines jetzigen Krieges, sagte er, fügte aber sofort hinzu, dass der Krieg, der auf einen Erstschlag gegen den Iran folgen könnte, „nicht mehr als 500 Todesopfer“ fordern und nicht länger als 30 Tage dauern würde. Kaum jemand war beruhigt.

Vor allem weil die meisten Sicherheitsexperten, darunter ehemalige Generalstabschefs und Topgeheimdienstler, Schreckensszenarien für wahrscheinlicher halten. Selbst der frisch ernannte Minister für die Heimfront Avraham Dichter sagte beim Amtsantritt: „Der Iran stellt erstmals eine existenzielle Bedrohung dar.“ Laut offiziellen Angaben sollen Israels Feinde wie der Iran, Syrien und die Hisbollah gemeinsam mehr als 200 000 Raketen besitzen, die jeden Punkt im Land erreichen können. Angriffe werden sich wahrscheinlich auf die Metropole Tel Aviv konzentrieren, wirtschaftliches und politisches Zentrum des modernen, zionistischen Israel. Und eine Stadt mit einer sehr problematischen Bausubstanz. Tel Avivs Trabantenstädte wuchsen vor allem in den neunziger Jahren, als bereits ein neues Gesetz in Kraft war, laut dem jede neue Wohnung über einen eigenen Luftschutzraum verfügen muss. Tel Avivs Häuser entstanden hingegen vorher, und so sind nur wenige ihrer Einwohner vor Raketenangriffen geschützt.

In den Bunkern stapeln sich Wasserflaschen, Windeln, Lebensmittel

Zwar beteuern offizielle Einrichtungen immer wieder, sie seien gut vorbereitet. So hat die Stadtverwaltung von Tel Aviv begonnen, eine Liste unterirdischer Parkplätze zu veröffentlichen, in denen Zehntausende im Ernstfall Zuflucht suchen können. Doch selbst der Verantwortliche für Tel Avivs Katastrophenschutz Mosche Tiomkin hielt die Bürger dazu an, „sich nicht nur auf die Regierung zu verlassen. Sie sollten ihr Schicksal mehr in eigene Hände nehmen. Überprüft eure Luftschutzräume, bereitet sie vor“, sagte Tiomkin. Für Bauunternehmen wie „Ani Mugan“ (Hebr: Ich bin geschützt), das Luftschutzräume saniert und Filteranlagen gegen Giftgas verkauft, bedeutet das ein gutes Geschäft. Mehr als 100 Prozent mehr Umsatz habe das Unternehmen im vergangenen Monat erwirtschaftet. Israelische Familien geben in Erwartung eines nahenden Kriegs hunderte Euros aus, um ihre Bunker auf Vordermann zu bringen.

Andernorts stehen die Bürger Schlange, um an Gasmasken zu kommen, oder zahlen fünf Euro, um sie sich nach Hause liefern zu lassen. Der Druck wächst: Das Budget des Heimatschutzkommandos, der Einheit der Armee, die sich im Ernstfall um die Sicherheit der Bürger fernab der Front kümmern soll, reichte nur aus, um 55 Prozent der Israelis mit Gasmasken auszustatten.

Für diejenigen ohne Schutzraum oder Gasmaske gibt es Ratschläge voll eines typisch israelischen, zynischen Humors. Die Tageszeitung „Haaretz“ veröffentlichte diese Woche einen ironischen Ratgeber mit dem Titel: „Essen, beten, noch was essen. Wie man den nächsten Krieg am besten verdaut.“ „Tschüss frischer Lachs, Hallo Dosenthunfisch“, lautete das Motto der Autorin die dazu riet, Haferflockenkekse zu backen, weil sie „den Magen oder die Löcher in der Bunkerwand füllen können“. Der Komiker Kobi Arieli hatte in seiner wöchentlichen Radiosendung einen Rat für seine Mitbürger: „Mit Sport haben wir es normalerweise nicht so. Juden schnitten bei der letzten Olympiade ziemlich mies ab“, so Arieli. „Dennoch glaube ich, dass wir alle anfangen sollten, das schnelle Weglaufen zu trainieren.“

Vor allem junge Familien mit Kindern finden die Lage jedoch nicht lustig. Doron und Rona, ein Paar aus einem Tel Aviver Vorort, haben für ihre zwei kleinen Kinder Pässe ausstellen lassen. Sie bereiten sich darauf vor, Israel im Ernstfall zu verlassen oder mehrere Tage in ihrem Bunker verbringen zu können. Dort stapeln sich bereits Wasserflaschen, Windeln, Milchpulver und Lebensmittelkonserven. Auch Golans Ehemann hat eine Packliste für einen Koffer zusammengestellt. Seiner Frau verursachen allein die Vorbereitungen schon großen Stress.

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