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Pegida-Jubiläumsdemo am Montagabend in Dresden.
© Fabrizio Bensch/Reuters

Pegida und die Politik: Wie die besorgten Bürger böse wurden

Ein Jahr lang hatten viele Politiker Verständnis für besorgte und ängstliche Pegida-Anhänger. Was ist jetzt anders? Eine Analyse.

Es ist noch gar nicht lange her, da war Verständnis für Pegida-Gänger in den beiden Volksparteien allerorten anzutreffen. Bei den Menschen, die zu Tausenden in Dresden aufmarschierten, handele es sich in der großen Mehrheit um besorgte Bürger mit ernsthaften Anliegen, lautete der Tenor vieler Wortmeldungen aus CDU und CSU. Die Landeszentrale für politische Bildung startete Dialogversuche mit den Pegidisten. Selbst SPD-Chef Sigmar Gabriel schien die These nicht für abwegig zu halten – er tauchte bei einer der Dialogrunden in Dresden als interessierter Zuhörer auf.

Heute ist von Verständnis keine Rede mehr: Die Politik geht parteiübergreifend und deutlich auf Abstand. Vordergründig liegt das an den immer schrilleren Tönen auf den Pegida-Märschen. Doch entscheidend ist ein anderes Motiv. Die Flüchtlingskrise lässt keinen Raum mehr für feine Unterscheidungen zwischen angeblich bloß besorgten Bürgern, gedankenlosen Schreihälsen und Aufputschern. Hunderttausende von Flüchtlingen im Land zwingen zur klaren und eindeutigen Positionsbestimmung.

Wieso hatte die Politik so viel Verständnis für Pegida?

Als Pegida vor einem Jahr von einer obskuren Veranstaltung einiger Tresen-Schwadroneure zum Massenaufmarsch anschwoll, erwischte das die etablierten Parteien kalt. Vor allem in der Union nahmen sie das Phänomen ernst, und ganz besonders in der sächsischen Landes- CDU. Vieles von dem fremdenängstlichen und -feindlichen Gedankengut, das auf dem Platz in Dresden offen hinausposaunt wurde, findet in sächsischen CDU- Köpfen Widerhall. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) zeigte denn auch viel Verständnis für Menschen, die „Angst vor dem Islam“ hätten, „weil Terrorakte im Namen des Islam verübt werden“. Tillich sah im „größeren Teil der Teilnehmer“ der montäglichen Demonstrationszüge Menschen, mit denen sich reden lasse, um sie für die Demokratie zurückzugewinnen.

Er lag damit im Trend. Unter den Demonstranten gebe es „ganz schön viele, die bringen ihre Sorgen zum Ausdruck vor den Herausforderungen unserer Zeit“, befand etwa der Bundesinnenminister und Wahl-Dresdner Thomas de Maizière (CDU). Auch andere Spitzenpolitiker von CDU und CSU warben für verständnisvollen Umgang mit den Protestlern – oder warnten wie der eigentlich sehr pegidakritische Fraktionschef Volker Kauder zumindest davor, sie „pauschal als rechten Mob“ abzustempeln. Als Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Neujahrsansprache die Bürger aufrief, sich von Pegida fernzuhalten („Folgen Sie denen nicht!“), murrte es vernehmlich im konservativen CDU-Lager.

Anfang 2015 besuchte SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel in Dresden eine Diskussionsveranstaltung mit Pegida-Anhängern und -Gegnern.
Anfang 2015 besuchte SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel in Dresden eine Diskussionsveranstaltung mit Pegida-Anhängern und -Gegnern.
© Erik Olsen/dpa

Das Motiv für die sanften Töne ist nicht schwer zu erkennen: Der zeitgleiche Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ (AfD) zeigte den Unionsparteien, dass es viel Raum für eine Partei rechts von ihnen gibt. Pegida schien das Zeug zu haben, zum Straßenkämpfer-Arm der AfD zu werden. Auch die SPD vermutete, wie Gabriels Kurzbesuch illustriert, verirrte Anhänger unter den Demonstranten. Wenn aber die Analyse stimmte, dass unter den jubelnden Zuhörern des Hitlerbärtchen- Posierers Lutz Bachmann viele enttäuschte Normalbürger waren, schien die Sorge berechtigt, dass die Bewegung auf die Republik übergreift. Zwischen Verführten und Verführern zu unterscheiden, erschien manchem ein geeignetes Mittel, die Bewegung zu spalten. Als die Demonstrationen in Dresden an Zulauf verloren und die Ableger in anderen Städten meist rasch wieder verschwanden, schien diese Theorie sich ja auch zu bewähren.

Warum haben sich die Reaktionen der Politik auf die Rechtspopulisten nun geändert?

Die Sorge, dass die frisch belebte Pegida aufs ganze Land übergreift, besteht heute wieder – allerdings auf ganz andere und viel konkretere Weise. Wo zehntausende Flüchtlinge dieser Tage in Turnhallen, Kasernen und Wohnungen unterkommen, wird oft auch Protest laut. Das Internet erleichtert ihn sehr; per Facebook-Gruppe lässt sich leicht der Eindruck schüren, die halbe Stadt sei gegen die Ankömmlinge vereint – in Angst und Hass.

Unter dem Motto "Herz statt Hetze" protestierte am Montag ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen und Initiativen mit einem Sternmarsch in die Dresdner City.
Unter dem Motto "Herz statt Hetze" protestierte am Montag ein breites Bündnis aus Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen und Initiativen mit einem Sternmarsch in die Dresdner City.
© Michael Kappeler/dpa

Dass in dieser Situation auch die Pegida-Aufmärsche rund um ihren ersten Jahrestag wieder massiven Zulauf bekommen, ist nicht verwunderlich. Dass den 10.000 bis 15.000 Pegidisten an diesem Montag fast genauso viele Gegendemonstranten gegenüberstanden, ist allerdings auch nicht erstaunlich. Denn die Flüchtlingskrise wirkt quer durch die Gesellschaft als Katalysator für politische Positionen. Die Banken- oder Euro-Krise spielte sich fern der eigenen Lebenswelt ab; da konnte sich jeder eine Gratismeinung ohne Haftungsrisiko leisten. Die Haltung zu den Flüchtlingen vor der eigenen Haustür hat hingegen konkrete Folgen.

Das gilt für jeden Bürger – für Politiker aber doppelt und dreifach. In der Polit-Szene gibt es jede Menge Differenzen über die Frage, wie man mit den ankommenden Flüchtlingen richtig umgeht. Aber dass Hetzreden kein guter Weg sind, darüber herrscht Einigkeit. Zumal jeder zumindest ahnt, dass von der Attacke mit Worten zum Brandanschlag oder zum Messerattentat der Weg gefährlich kurz geworden ist. Vom Galgen für Kanzlerin und Vizekanzler führt eine zumindest gedankliche Linie zum Mordversuch an der Kölner Oberbürgermeisterkandidatin und Drohungen gegen andere.

Ein Publikum, das einem Jubiläumsredner Akif Pirinçci für verschwurbelte KZ-Vergleiche zujubelt, wird zu willigen Statisten solcher Täter. Da hört das Verständnis denn auch sofort auf. „Es ist jetzt an der Zeit, auch gegenzuhalten“, fordert Justizminister Heiko Maas (SPD). Sein Parteichef Gabriel nennt die Demonstranten den „verlängerten und sprachlich brutalisierten Arm der AfD und NPD“. SPD-Vize Ralf Stegner forderte den Verfassungsschutz auf, die Pegida-Organisatoren genau zu beobachten. Auch über ein Demonstrationsverbot wird diskutiert, hier herrscht jedoch Uneinigkeit. Innenminister de Maizière diagnostiziert ein „unerträgliches Maß des Hasses gegen Flüchtlinge und Politiker“. Auch Landesvater Tillich erkennt nun „unerträgliche Hetze“ auf seinen Straßen und findet: „Wer hetzt, kann sich nicht auf die freie Meinungsäußerung berufen.“

Nur bei der AfD legen sie nach wie vor Wert auf feine Differenzierung. Er habe volles Verständnis für die Menschen, die auf der Straße ihren Unmut äußerten, sagt etwa ein AfD-Frontmann in Baden- Württemberg – was aber nicht heiße, dass man sich mit den Veranstaltern solidarisiere. Ein AfD-Sprecher in Mecklenburg-Vorpommern nennt es „ärgerlich“, dass bei einer AfD-Aktion gegen die Asylpolitik auch NPDler auftauchten.

Die Bundesvorsitzende Frauke Petry sagt erst einmal nichts. Als sächsische AfD-Chefin hatte sie noch versucht, Pegida als Hilfstruppe zu werben. Der Versuch ging schief. Aber er wirkt bis heute: In den einschlägigen Kreisen gilt Petrys AfD als verlängerter Arm in das, was man dort „System“ nennt. Es ist nicht bekannt, dass ihr das unangenehm wäre.

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