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Immer dabei, oft mit wichtigen Papieren gefüllt: Olaf Scholz mit seiner 30 Jahre alten Aktentasche.
© Michael Kappeler/dpa

Die ungewöhnliche Kamin-Runde: Wie der künftige Kanzler seinen Corona-Coup eingefädelt - und einige verärgert hat

Olaf Scholz will weniger Durchstechereien in den Bund-Länder-Runden. Daher dachte er sich etwas Neues aus. Das ging nach hinten los.

Olaf Scholz will als Kanzler vieles anders machen, dabei verfolgt er Strategien, die sich nicht jedem sofort erschließen. Und dann kommunikativ zunächst etwas in die Hose gehen können. So geschehen bei seinem Überraschungs-Coup für das neue Corona-Paket in der Ministerpräsidentenrunde. Das Vorgehen erzählt viel, wie er Politik macht.

Er selbst sagt, dass er nicht der Typ sei, der für die schnelle Schlagzeile irgendwelche Forderungen raushaut, Durchstechereien und illoyales Verhalten sind ihm ein Graus.

„Es sollte ums Machen gehen, nicht um Show“, betont er in einem aktuellen Interview mit der „Zeit“.

Während sich viele Bürger zuletzt fragten, wo ist eigentlich Olaf Scholz, hat er tagelang mit führenden Vertretern von SPD, Grünen und FDP geschaut, wo liegen die Schmerzgrenzen, für was kann er im Bundestag auch eine Mehrheit finden für welche Corona-Verschärfungen. Besonders die FDP musste einiges schlucken. Zu Scholz' Regierungsstil gehört eine gewisse Wendigkeit, auch er wollte von einer Impfpflicht lange nichts wissen.

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Keine roten Linien mehr

„Für meine Regierung gibt es keine roten Linien mehr bei dem, was zu tun ist. Es gibt nichts, was wir ausschließen", sagt er nun der "Zeit". Was er aber ausschließen möchte, sind so chaotische Bund-Länder-Runden wie im Frühjahr, wo diverse Beschlussvorlagen zirkulieren und dann hektisch diskutiert wird, begleitet von Durchstechereien - und am Ende etwas Unausgegorenes wie der Osterlockdown herauskommt, der rasch wieder kassiert werden muss.

Zunächst hatte Scholz Verwirrung gestiftet, als durch Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) publik wurde, dass die Bund-Länder-Runde am Dienstag keine Beschlüsse fassen soll. Schnell hieß, Scholz werde seiner Verantwortung ob der dramatischen Lage nicht gerechnet. Inzwischen ist die Zahl der täglichen Corona-Toten auf über 400 geklettert. Zwar geht die Zahl der Neuinfektionen etwas zurück, aber in den nächsten Tagen wird die Todeszahl ansteigen.

Denn bei bis zu 75.000 Neuinfektionen täglich in den vergangenen Wochen werden davon rund 600 Menschen sterben, die Todesrate liegt nach Angaben von RKI-Chef Lothar Wieler bei 0,8 Prozent der täglichen Neuinfektionen.

Was es mit dem "Kamin"-Format auf sich hat

Doch Scholz wollte, dass die Runde im "Kamin"-Format tagt. Denn bei dieser informellen Runde, die es sonst vor allem vor Bundesratssitzungen gibt, um im vertraulichen Kreis Mehrheiten zu finden, sind nur die Ministerpräsidenten dabei.

Bei einer regulären Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) sind mit allen Referenten und sonstigen Mitarbeitern rund 80 Personen dabei - und bei den virtuellen Schalten weiß dann keiner, wer noch mithört, entsprechend viel dringt nach draußen und füttert die Live-Ticker. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte dieser Tage auf die Frage von ZDF-Moderator Markus Lanz, wie sie das gemacht hätten, dass aus den Ampel-Koalitionsverhandlungen nichts durchgestochen wurde: "Die Union war nicht dabei".

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Also "nur" eine Kamin-Runde: "Das ist kein beschlussfähiges Gremium", sagte Angela Merkel daher eingangs. Die Idee von Scholz, so berichtet es sein Umfeld: Sein abgestimmtes Paket der Unions-Seite bis hin zur Impfpflicht vorstellen, dann vertraulich und ohne Entscheidungsdruck diskutieren. Die Ergebnisse der Debatte sollten dann geschwind im Zusammenspiel mit den Chefs der Staatskanzleien in einen gemeinsamen Vorschlag für den Corona-Winter münden. Um endlich wieder mehr Gemeinsamkeit zu demonstrieren und wegzukommen von gegenseitigen Schuldzuweisungen.

An diesem Donnerstag um 11 Uhr wird es dann eine formelle Ministerpräsidentenkonferenz in großer Runde geben, die das Ganze beschließt, da das meiste aber vorgeklärt ist, könnte es schnell gehen, vieles soll dann spätestens Mitte Dezember gelten, die Impfpflicht wird aber erst später geregelt. Scholz hält sich selbst für besonders schlau, doch hatte er den Ärger der Gegenseite unterschätzt.

"Scholz packt das alleine an?"

Die Unions-Seite war sauer ob fehlender Absprachen im Vorfeld. Scholz redete mit vielen, offensichtlich aber nicht so viel mit deren Ministerpräsidenten, ein Vorwurf der immer wieder auf ihn zielt, dass er nicht allumfassend den Dialog suchte, sondern in diesem Fall vorrangig mit den Ampel-Leuten. Daher preschte die Union mit einer eigenen Beschlussvorlage vor, die Scholz zunächst als Getriebenen darstellte.

Bis er anfing, seinen Vortrag zu halten, sogar Bayerns Ministerpräsident Markus Söder lobte danach die bis dahin unbekannten Vorschläge als richtige Richtung.

„Hendrik, Euer Papier ist doch auch schon bei der Bild“

Im Wahlkampf lautete der Slogan "Scholz packt das an", aber mit dem Vorgehen nach dem Motto "Scholz packt das alleine an" hat er sich auf der Unions-Seite keine Freunde gemacht - und sie praktisch vor vollendete Tatsachen gestellt.

Vor allem der Vorsitzende der MPK, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst echauffierte sich über das überraschende Scholz-Papier mit dem Titel "Was wir jetzt tun müssen", das dann auch rasch publik wurde. Weshalb Merkel - so berichten es Teilnehmer - intervenieren musste: "Hendrik, Euer Papier ist doch auch schon bei der Bild."

Viel zu klären auf den letzten Metern, wegen Corona: Olaf Scholz und Angela Merkel.
Viel zu klären auf den letzten Metern, wegen Corona: Olaf Scholz und Angela Merkel.
© Kay Nietfeld/dpa

SPD und Union nah beieinander bei Verschärfungen

Zum Beispiel bei den geplanten Kontaktbeschränkungen (ein Haushalt sowie höchstens zwei Personen eines weiteren Haushaltes bei Ungeimpften) geht Scholz über die Pläne der Unions-Seite hinaus. Sein größtes Handicap bleibt aber, dass zuvor viel Zeit verloren wurde, weil unbedingt die epidemische Lage nationaler Tragweite mit raschen Entscheidungen durch die Exekutive aufgehoben werden musste, hier bleibt die FDP hart. So muss das Infektionsschutzgesetz nun noch einmal nachgebessert werden. All die Debatten, ob auf der bisherigen Basis etwa Clubs und Diskotheken geschlossen werden können oder nicht (wie zum Beispiel der Berliner Senat argumentiert), zeigt auch, dass es handwerklich nicht präzise gestaltet worden ist.

Scholz verhandelt gerne erstmal, bevor es dann Lösungen gibt

Dem Versuch einer Kurskorrektur vorausgegangen waren intensive Beratungen am Wochenende, sein Umfeld betont, dass er auch den Virologen Christian Drosten zu Rate gezogen habe. Es gehört zu Scholz' Naturell, dass er sich ähnlich wie die scheidende Kanzlerin Angela Merkel von öffentlichem Druck nicht kirre machen lässt und das aussitzen kann. Das gehört letztlich auch zu seiner Jobbeschreibung. Aber selten hatte ein Noch-nicht-Kanzler einen so komplizierten Start, am 8. Dezember soll er gewählt werden. Dann ist er im Kanzleramt nicht mehr zu Gast. Scholz saß während der Runde mit seinem Staatssekretär und künftigen Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt bei Merkel und Kanzleramtschef Helge Braun.

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General Carsten Breuer soll für Olaf Scholz und Angela Merkel das Impftempo erhöhen.
General Carsten Breuer soll für Olaf Scholz und Angela Merkel das Impftempo erhöhen.
© dpa

Merkel verzichtete lieber auf ein gemeinsames Statement

Eigentlich sollte danach öffentlich der neue Krisenstabschef Generalmajor Carsten Breuer, der die Impfkampagne nun zum Erfolg bringen soll, im Kanzleramt vorgestellt werden. Aber es gab dann nur ein Foto, mit Rücksicht auf die ob der Entwicklungen überraschte Unions-Riege verzichtete Merkel lieber auf ein gemeinsames Statement mit Scholz und Breuer – denn da wäre es dann vor allem um die Scholz-Pläne gegangen.

Letztlich war das Vorgehen auch der Versuch, die bisherige Vertraulichkeit aus den Ampel-Verhandlungen in dieses Gremium zu tragen, zum Start allerdings mit einigen Verstimmungen und Verwirrungen.

Weshalb Scholz danach erst einmal bei Bild-TV heute-journal und Tagesthemen in einem Interviewmarathon die Dinge einzuordnen versuchte. „Da ist noch Luft nach oben“ heißt es in SPD-Kreisen mit Blick auf diese Methode Scholz.

Übrigens will diese auch für seine Regierung etablieren, um mehr Raum für Debatten und Nachdenken zu haben. „Ich werde das gemeinsame Handeln durch viele Gespräche sorgfältig vorantreiben“, sagte er der „Zeit“. Dafür werde er die Kabinettssitzungen später beginnen lassen, „um vorher Raum zu haben für ein Gespräch abseits der Tagesordnung“

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