Wie sicher ist Deutschland?: Wie Anschläge hierzulande vereitelt werden
Das islamistische Milieu, aus dem sich gewaltbereite Angreifer rekrutieren, wird hierzulande immer größer. Wie sicher ist Deutschland, und wie werden Anschläge vereitelt? Lesen Sie hier Fragen und Antworten zur Sicherheitslage in Deutschland.
Der Anschlag von Paris alarmiert die deutschen Sicherheitsbehörden, auch wenn bislang keine Verbindung zwischen den Tätern und einschlägigen Milieus in der Bundesrepublik zu erkennen ist. Allerdings haben Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst schon lange vor dem Angriff auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ eine Zunahme der Gefahren registriert.
Wie ist die aktuelle Lage?
Nach der Tat in Paris befürchten die Sicherheitsbehörden zunächst vor allem Angriffe von Trittbrettfahrern aus dem salafistischen Spektrum. Dass deutsche Medien demonstrativ Mohammed-Karikaturen von „Charlie Hebdo“ veröffentlicht haben, könnte das Wutpotenzial bei radikalisierten Muslimen noch steigern. Experten verweisen auf den Kosovaren Arid Uka aus Frankfurt am Main, der sich über das Internet radikalisiert hatte. Uka zog am 2. März 2011 nach dem nächtlichen Konsum islamistischer Hetzvideos mit einer Waffe los und erschoss am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten.
Und die Salafistenszene wächst weiter rasant. Für das vergangene Jahr sei eine Zunahme auf 7000 Personen zu verzeichnen, sagen Sicherheitskreise. Das sind 1500 mehr als 2013 und bedeutet einen Anstieg um 27 Prozent.
Terrorverdächtige rekrutieren sich fast alle aus der Salafistenszene
Auch wenn nicht alle Salafisten gewaltbereit sind, fällt doch auf, dass Terrorverdächtige nahezu ausschließlich aus dieser Szene stammen. Das gilt vor allem für die etwa 260 „Gefährder“, die Polizei und Nachrichtendienste im Blick haben. Das sind Islamisten, denen militante Aktionen zugetraut werden müssen. Zu den 260 zählt auch ein beträchtlicher Teil der 180 Männer und Frauen, die sich in den syrischen Bürgerkrieg begeben hatten und nach Deutschland zurückkamen. Etwa 30 davon hätten an Kämpfen teilgenommen, sagt das Bundesamt für Verfassungsschutz. Insgesamt seien seit Beginn des Bürgerkrieges mehr als 550 Personen aus Deutschland nach Syrien gereist.
Die Terrorgefahr in Deutschland war angesichts der Drohungen und Aktionen von Al Qaida und anderer Vereinigungen gegen Deutschland auch vor dem Ausbruch der Kämpfe in Syrien hoch, hat aber durch die Siege der Terrormiliz „Islamischer Staat (IS)“ noch einmal deutlich zugenommen. Paradoxerweise aus zwei Gründen. Da ist nicht nur das Risiko, dass Kämpfer des IS nach Deutschland zurückkehren oder gezielt geschickt werden, um Anschläge zu begehen. Sicherheitsexperten sorgen sich auch, Al Qaida könnte versuchen, mit spektakulären Angriffen zu zeigen, dass mit ihr trotz der Erfolge des abtrünnigen IS weiter in puncto Terror gerechnet werden muss.
Deshalb sind Hinweise brisant, einer der beiden mutmaßlichen Attentäter von Paris, Said Kouachi, habe 2011 bei dem Al-Qaida-Ableger im Jemen ein Terrortraining absolviert. Die jemenitische Al Qaida stachelt seit Jahren mit dem professionell gestalteten Internetmagazin „Inspire“ radikalisierte Muslime an, in ihren Heimatländern Anschläge zu verüben. Das Magazin gibt auch detaillierte Anweisungen zum Bau von Sprengsätzen. In einer Ausgabe wurde zudem der Angriff von Arid Uka auf die US-Soldaten am Frankfurter Flughafen gelobt. Angesichts der zunehmend aufgeheizten Debatte über den Islam in Deutschland steigt allerdings auch das Risiko gewaltsamer Aktionen von rechten Islamhassern gegen Moscheen und gegen Muslime überhaupt. Attacken auf islamische Gotteshäuser nehmen seit Jahren zu, von 2012 bis März 2014 stellte die Polizei 78 Taten fest.
Wie viele islamistische Anschläge wurden bisher verhindert?
Außer den Schüssen von Arid Uka in Frankfurt wurden bislang alle geplanten Anschläge vereitelt – oder scheiterten an technischen Fehlern der Täter. Polizei und Nachrichtendienste haben seit dem Jahr 2000 etwa ein halbes Dutzend Angriffe rechtzeitig gestoppt. So nahmen Beamte im Dezember 2000 in Frankfurt am Main mehrere Algerier fest, die einen verheerenden Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg vorbereitet hatten. Im April 2002 wurden Mitglieder der mit Al Qaida liierten Terrorgruppe Al Tawhid verhaftet. Die Männer wollten mit Handgranaten und Schusswaffen das Jüdische Museum in Berlin und zwei von Juden besuchte Lokale in Düsseldorf angreifen.
Verhindern konnten Polizei und Nachrichtendienste auch die Anschläge, die der Tunesier Ihsan G. im März 2003 in Berlin gegen amerikanische und jüdische Einrichtungen geplant hatte, als Reaktion auf den beginnenden Einmarsch der US-Armee und ihrer Verbündeten im Irak. Ebenfalls in Berlin wollten Islamisten der kurdisch-irakischen Terrorvereinigung Ansar als Islam im Jahr 2004 den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Ijad Allawi bei einem Staatsbesuch in Deutschland ermorden. Die Polizei griff gerade noch rechtzeitig zu. Der spektakulärste Fall war allerdings der Einsatz gegen die Sauerlandgruppe. Die von dem Konvertiten Fritz Gelowicz geführte Gruppe bereitete Anschläge mit Autobomben auf amerikanische Einrichtungen vor. Im September 2007 wurden Gelowicz und Kumpane im Sauerland festgenommen.
Die deutschen Behörden mussten aber auch Niederlagen hinnehmen. Die härteste war das Attentat von Arid Uka am Frankfurter Flughafen. In zwei weiteren Fällen hatten Polizei und Nachrichtendienste, wie ein Beamter später sagte, „einfach viel Glück“. Im Juli 2006 deponierten zwei junge Libanesen auf dem Kölner Hauptbahnhof zwei Trolleys mit präparierten Gasflaschen in je einem Regionalzug. Die fuhren los, doch die Sprengsätze explodierten nicht, weil die Zündung falsch konstruiert war. Andernfalls wären die beiden Züge von Feuerbällen erfasst worden.
Gerade dieser Fall zeigt, dass sich der Angriff auf das wegen seiner Mohammed-Karikaturen bei Islamisten verhasste Magazin „Charlie Hebdo“ in Deutschland wiederholen kann. Die in Deutschland und dem Libanon gefassten Kofferbomber nannten als ein Motiv für ihre Tat die Wut über den Nachdruck von Mohammed-Karikaturen in deutschen Zeitungen. Am Donnerstag rechtfertigte in Berlin ein Salafist beim Beginn eines Terrorprozesses den Angriff auf „Charlie Hebdo“, weil das Magazin angeblich mehr als eine Milliarde Muslime provoziert hat.
Eine Warnung für die deutschen Behörden ist auch die Beinahe-Katastrophe von Bonn. Im Dezember 2012 legte mutmaßlich der Konvertit Marco G. auf dem Hauptbahnhof der rheinischen Stadt eine Sporttasche ab, in der ein Sprengsatz steckte. Die Bombe explodierte nicht, ahnungslose Schüler hatten gegen die Tasche getreten. Polizei und Nachrichtendienste kamen dem mutmaßlichen Bombenbauer erst auf die Spur, als Marco G. gemeinsam mit drei weiteren Salafisten offenbar noch ein Verbrechen vorbereitete, die Ermordung des Chefs der islamfeindlichen Partei Pro NRW. Nur Stunden vor dem mutmaßlich geplanten Attentat im März 2013 nahm die Polizei die Gruppe fest. Die vier Männer müssen sich derzeit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten.
Wie gehen die Behörden vor?
Bei der Beobachtung von Terrorverdächtigen gibt es meist eine enge Kooperation von Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst. Auch V-Leute können eine wertvolle Hilfe sein. Im Fall des Tunesiers Ihsan G., der im März 2003 in Berlin zuschlagen wollte, profitieren die Behörden von Hinweisen eines Spitzels. Und dank der Kooperation der Nachrichtendienste mit dem amerikanischen Partner NSA konnte 2007 die Sauerlandgruppe identifiziert und nach längerer Beobachtung aus dem Verkehr gezogen werden.
Reichen die Maßnahmen aus?
Das ist fraglich. Allein für die Observation eines terrorverdächtigen Syrien-Rückkehrers sind mindestens 16 Beamte nötig. Die Behörden kommen an die Grenze ihrer Kapazität. Politiker und Experten fordern zudem, die Videoüberwachung auszubauen und doch noch die umstrittene Vorratsdatenspeicherung einzuführen.
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