Debatte um Bundeswehr und Ukraine-Politik: Wie Ampel und Union sich plötzlich zusammenfinden
Angesichts des Krieges einigten sich Koalition und Union bei der Unterstützung für die Ukraine. Bei Detailverhandlungen könnte aber Streit drohen.
Sie haben hin- und herverhandelt am Mittwoch – vor den mit Spannung erwarteten Debatten um das „Sondervermögen Bundeswehr“ am späteren Nachmittag und um die Unterstützung der Ukraine am Donnerstag. Das Ergebnis: Die Union wird erstens die Grundgesetzänderung für das Sondervermögen mittragen und sie trägt – zweitens – den Antrag der Koalition zu den Hilfsmaßnahmen für die Ukraine mit. Ein Entgegenkommen an anderer Stelle, eventuell bei den Bedingungen der Union zum Sondervermögen, könnte der Teil des Deals sein, der am Mittwoch zunächst nicht bekannt wurde.
Doch eines ist deutlich geworden: Angesichts des Krieges um die Ukraine und dessen Folgen hatten weder die Koalition noch die größte Oppositionsfraktion ein Interesse daran, aus dem deutschen Parlament ein Signal der Uneinigkeit zu senden. Der Streit wird in die Details der weiteren Verhandlungen und der Umsetzung der Vorhaben verlagert.
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Das Entgegenkommen erfolgte nach einer winzigen, aber von der Union als „substanziell“ wahrgenommenen Veränderung im Koalitionsantrag zur Unterstützung für die Ukraine. In dem nun gemeinsamen Antrag findet sich die Aufforderung an die Regierung, „schnellstmöglich“ den Gesetzentwurf zur Einrichtung des Sondervermögens „und die damit verbundenen Investitionen“ umzusetzen. Gestrichen wurde die ergänzende Floskel „im Sinne der Beschlussfassung des Bundeskabinetts“.
Hundert Milliarden – wofür konkret?
Die lässt sich allerdings sehr weit auslegen, was diese Investitionen betrifft – über Militärisches im engeren Sinn hinaus. Die Union möchte die Mittel gern zu „hundert Prozent“ in die Aufrüstung der Bundeswehr stecken, wie Fraktionsvize Alexander Dobrindt in der Bundestagsdebatte zur Einrichtung des Sondervermögens betonte. Finanzminister Christian Lindner (FDP) dagegen strich heraus, die Koalition fühle sich einem erweiterten Sicherheitsbegriff verpflichtet – inklusive „Diplomatie und Krisenprävention“. Doch da Dobrindt von „guten Gesprächen“ berichtete und Lindner sie als „kollegial und sachorientiert“ bezeichnete, scheint man sich auf dem Pfad der Annäherung zu bewegen.
Zu den Bedingungen, die Unions-Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) für eine Zustimmung zu Grundgesetzänderung und Sondervermögensgesetz genannt hatte, gehört ein Begleitgremium für das Sondervermögen – sozusagen ein inoffizieller Bundestagsausschuss neben dem Haushalts- und Verteidigungsausschuss, in dem dann die Regierung und die Union die Anschaffungen aus dem Sondervermögen gemeinsam besprechen können.
In der Koalition hält man ein solches Gremium zwar für überflüssig – aber man stellt sich offenbar nicht quer. Unter Umständen sehen Teile der Koalitionsfraktionen darin sogar einen Vorteil: Mit der Union im Boot lassen sich bestimmte Vorhaben gegen Widerstände innerhalb der Ampel leichter durchsetzen.
Wo ist der Wirtschaftsplan?
Das Sondervermögen soll ein Volumen von 100 Milliarden Euro haben. Zu dem Gesetzentwurf der Regierung von Mitte April fehlte bis Mittwoch allerdings der wichtigste Teil – der so genannte Wirtschaftsplan. Wie es heißt, ist der oberste Chefsache, er liegt im Kanzleramt. Im Wirtschaftsplan werden gemeinhin die konkreten Vorhaben aufgelistet, mit Details zu Projekten, Kosten, Zeiträumen. Doch so weit ist man in der Ampel-Koalition offenbar noch nicht.
Allerdings könnte der Wirtschaftsplan informell in dem Gespräch eine Rolle gespielt haben, das Lindner am Mittwoch mit der Unionsfraktion über das Sondervermögen geführt hat. Zu diesem Gespräch sagte der Finanzminister hernach: „Ich habe feststellen können, dass es das gemeinsame Interesse gibt, hier etwas zu erreichen.“ Aus der Unionsfraktion hieß es, man habe weiter Gesprächsbedarf.
Dabei dürfte es um Details der Bedingungsliste von Merz gehen – etwa die Forderung nach einem detaillierten Tilgungsplan für die vom Sondervermögen aufgenommenen Schulden. Ein potenzieller Konfliktpunkt ist auch die so genannte Nato-Quote, also das Ziel, jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu stecken. Alle Projekte im Sondervermögen sollen laut Gesetzentwurf auf die Nato-Quote anrechenbar sein. Doch die Kriterien sind umstritten.
Wie schafft man die Nato-Quote?
Der Plan der Koalition ist, die 100 Milliarden Euro in fünf bis sechs Jahren ausgeben zu können. Die Jahresraten des Sondervermögens würden dann zum normalen Wehretat hinzuaddiert, um das Zwei-Prozent-Ziel zu erfüllen. Die Union möchte allerdings eine Verstetigung höherer Wehrausgaben erreichen. Oder wie Dobrindt unter Anspielung auf die Formulierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte: „Zeitenwende bedeutet keine Einmalzahlung an die Bundeswehr, sondern einen Dauerauftrag an unsere Verteidigungsfähigkeit“.
Einige Vorhaben im Sondervermögen immerhin scheinen schon klar zu sein. Dazu gehört die Anschaffung des US-Kampfjets F35. Unklar ist noch, welchen neuen Transporthubschrauber die Bundeswehr bekommt. Im Gespräch ist der amerikanische Chinook-Helikopter, doch gibt es in den Koalitionsfraktionen auch andere Vorstellungen. Die Regierung will auch häufiger Militärgüter „von der Stange“ kaufen – also eingeführte Waffensysteme, die man zügiger bekommt. Das Ziel, das Sondervermögen binnen weniger Jahre aufzubrauchen, lässt sich angesichts langer Planungszeiträume bei Neuentwicklungen kaum einhalten.
Weshalb mit den 100 Milliarden Euro auch nicht nur Waffen gekauft werden dürften. Sondern auch eher alltägliche Militärgüter wie Kleidung oder Munition. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) brachte das auf die Formel: „Es geht nicht nur um Aufrüstung, sondern auch um Ausrüstung.“