Reform der Asylgesetze in Deutschland: Werden Flüchtlinge aus Afghanistan und vom Balkan zurückgeschickt?
Innerhalb der Union und in der Großen Koalition wird seit Wochen über den Umgang mit nicht-syrischen Flüchtlingen gestritten. Was bedeutet dies für Afghanen und Roma aus dem Balkan?
Der Streit innerhalb der Union einerseits und in der großen Koalition andererseits führte in den letzten Wochen zu mehreren politischen Beschlüssen und neuen Gesetzen. Dabei muss zwischen den juristischen Änderungen im Asylgesetz und politischen Signalen durch verschärfte Maßnahmen unterschieden werden.
Albanien, Montenegro und das Kosovo gelten seit nun einem Monat als sichere Herkunftsländer. Das ist wohl die wichtigste juristische Neuerung in diesem Jahr. Staatsangehörige aus diesen Ländern können schneller abgeschoben werden, wenn sie Asyl beantragen. Das bedeutet, dass den Betroffenen aus diesen Ländern juristisch die Perspektive auf Asyl in Deutschland genommen wurde.
Der Kompromiss zu den Registrierungszentren, die Möglichkeit Sachleistungen anstatt finanzielle Hilfen an Flüchtlinge zu verteilen und die schärferen Regeln für den Familiennachzug sollen dagegen so genannte „Fehlanreize“ vermeiden. Das bedeutet: Deutschland soll möglichst unattraktiv für Flüchtlinge werden – ohne das „wir schaffen das“ der Bundeskanzlerin zu beschädigen.
Werden nun Flüchtlinge aus dem Balkan, die schon in Deutschland sind, ausgewiesen?
Nicht direkt. Zumindest haben die betroffenen bis jetzt noch keinen entsprechenden Bescheid bekommen. Um zu verstehen, wie lange es dauern kann, bis das neue Gesetz umgesetzt wird, lohnt sich ein Blick auf Staatsangehörige aus Staaten, die schon länger als „sicher“ gelten. Es lohnt sich hierbei auf Flüchtlinge aus Serbien, Bosnien Herzegowina oder Mazedonien zu schauen. Diese Staaten gelten seit mehr als einem Jahr als so genannte „sichere Herkunftsländer“.
Petar Veljkovic ist serbischer Staatsbürger und hat im Februar 2015 in Deutschland einen Asylantrag zusammen mit seinen Eltern und seinem Großvater gestellt. Die Familie gibt an, als Angehörige der Roma-Minderheit in Süd-Serbien diskriminiert zu werden. „Ich bekomme dort keine Ausbildung, keinen Job. Sie sagen mir überall: Hau ab! Du Zigeuner“, erzählt der 21-Jährige.
Als er seinen Asylantrag gestellt hat, hatte sich die Bundesregierung schon längst vorgenommen, solche Fälle aus Serbien gar nicht erst in Deutschland für längere Zeit zu behalten. Petar Veljkovic wohnt dennoch seit mehreren Monaten in einer Einrichtung in Berlin-Marzahn. Es ist noch nicht klar, ob es bei den Ländern Albanien, Montenegro und Kosovo auch so kommt. Geplant sind für Neuankömmlinge aus dem Balkan nun die Registrierungszentren, in denen in wenigen Wochen die Asylanträge abgelehnt werden sollen. Außerdem sollen abgelehnte Asylbewerber aus den entsprechenden „sicheren Herkunftsländern“ mit einem dauerhaften Beschäftigungsverbot sanktioniert werden.
Die Abschreckung wirkt. Seit der Ankündigung der Gesetzesänderung kamen viel weniger Asylbewerber aus dem Balkan nach Deutschland. Nur noch rund zehn Prozent der Erstanträge auf Asyl werden in Deutschland von Menschen aus dem Balkan gestellt. Aus Serbien kamen im Oktober 861 Antragsteller, aus Mazedonien 703, aus dem Kosovo 619. Allein Albanien stellt eine Ausnahme dar, mit 4549 Erstanträgen im Oktober 2015. Damit sich die Haltung der Bundesregierung auch dort herumspricht ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor zwei Woche nach Tirana gereist.
Festzuhalten ist: Staatsangehörige aus egal welchen Balkanländern werden derzeit nicht direkt zurückgeschickt. Die Bundesregierung steht allerdings unter dem politischen Druck, ihre eigenen Gesetze auch anzuwenden.
Wie betrifft das neue Gesetz Afghanen, die eine große Gruppe unter den Flüchtlingen ausmachen?
Im neuen Gesetz ist Afghanistan nicht als sicheres Herkunftsland aufgelistet worden. Innenminister Thomas de Maiziere kündige aber an, mit der afghanischen Regierung darüber sprechen zu wollen. Bei einem Koalitionsgipfel im Oktober forderte Angela Merkel innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten in Afghanistan. So könne man dann afghanische Asylbewerber gewissenhaft zurückschicken. So eine Art „sicheres Herkunftsland“-Light.
Sarwar* ist seit Februar 2015 in Deutschland. Er wohnt in einem Flüchtlingsheim bei Groß Kreutz in Brandenburg. Er musste aus Afghanistan fliehen als ihn die Taliban dazu zwingen wollten, einen Anschlag zu verüben – auf seinen eigenen Vater. Sarwar ist Sohn eines Politikers. Er entschied sich zur Flucht „weil ich egal wo in Afghanistan nicht mehr sicher bin.“
„Nach den Aussagen des deutschen Innenministers brach Panik unter vielen afghanischen Flüchtlingen aus“, erzählt Sarwar. In seinem Heim wohnen bis zu 60 Afghanen, fünf von ihnen hätten sich in den letzten zwei Wochen spontan entschieden zurück nach Italien beziehungsweise weiter nach Großbritannien zu reisen. Zwar wüssten sie, dass sie aufgrund des Dublin-Abkommens eventuell wieder nach Deutschland geschickt werden könnten, „sie haben aber Angst, zurück nach Afghanistan abgeschoben zu werden“. Auch in Österreich, Haupttransitland für Afghanen spürt man die Auswirkungen der Aussagen von Politikern aus CDU und CSU. In Salzburg berichten Helfer, dass immer mehr afghanische Flüchtlinge in Österreich bleiben wollen.
Sind die Aussagen von Innenminister De Maiziere juristisch substanzlos?
Diejenigen Afghanen, die sich vor mehreren Wochen auf den Weg gemacht haben, über den Iran, die Türkei und den Balkan nach Deutschland zu kommen, erreichen die Bundesrepublik weiterhin in hohen Zahlen. Afghanistan war im Oktober 2015 mit 31051 Flüchtlingen auf Platz zwei der aktuellen Statistik aus dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – nach Syrien mit 88640 und vor dem Irak mit 21875 Asylsuchenden.
Aarash D. Spanta ist Anwalt für Ausländerrecht in Berlin. Er ist einer von wenigen Juristen mit afghanischen Wurzeln in Deutschland. Er betreut viele Flüchtlinge aus Afghanistan. „Ich muss meine Mandanten in diesen Tagen zunächst beruhigen“, berichtet Spanta in seiner Kreuzberger Kanzlei. Er sei nun öfters auch Sozialarbeiter und versuche den Flüchtlingen zu erklären, dass es sich bei den politischen Parolen des Innenministers um „juristisch substanzlose Aussagen“ handele.
Die Anerkennungsquote unter afghanischen Flüchtlingen lag im Jahr 2014 laut „Pro Asyl“ bei 68 Prozent. Allerdings liegen viele Fälle unbearbeitet beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das sich einerseits verstärkt um Syrer kümmert – und um diejenigen Flüchtlinge, die einen anwaltlichen Beistand haben und eine schnellere Bearbeitung ihres Antrags einfordern. „Für Afghanen hat sich nach der Gesetzesänderung juristisch nicht viel verändert“, versichert Anwalt Aarash D. Spanta. Und es sieht nicht so aus als könne die Bundesregierung juristisch die Situation für afghanische Flüchtlinge verschärfen.
* Name von der Redaktion geändert.