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Die Zahl der getöteten Kinder in Deutschland ist 2013 gesunken, es gab aber mehr Fälle körperlicher Misshandlung
© dpa

BKA zu Gewalt gegen Kinder: "Wer wegschaut, macht sich mit schuldig"

In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 153 Kinder getötet, etwa 19.000 wurden sexuell oder körperlich misshandelt. Und das sind nur die Zahlen, die bekannt werden.

Gewalt gegen Kinder hat in Deutschland im vergangenen Jahr zugenommen: Die Zahl der unter 14-jährigen, die körperlich misshandelt wurden, ist 2013 leicht gestiegen. Der Polizeilichen Kriminalstatistik zufolge waren 4051 Kinder betroffen, ein Plus von 1,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr mit 3998 Fällen. „Die Opfer sind die Schwächsten und Schutzbedürftigsten in unserer Gesellschaft“, sagte der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, bei der Vorstellung der aktuellen Zahlen. Erfahrungen von Gewalt und sexueller Missbrauch hinterließen bei den Opfern „einen großen und zum Teil lebenslang dauernden Schaden“, mahnte er. "Wer wegschaut, macht sich mit schuldig am Leid der Kinder."

2013 wurden in Deutschland 153 Kinder getötet

Im selben Jahr wurden in Deutschland 153 Kinder getötet, in 72 Fällen blieb es beim Tötungsversuch. Besonders gefährdet sind Neugeborene und Kleinkinder, wie Ziercke erläuterte. Die Täter kämen überwiegend aus dem „sozialen Nahraum“ – also aus der Familie oder dem Umfeld, etwa neuen Lebenspartnern. In den vergangenen Jahren habe es bei den Tötungsdelikten zwar einen deutlichen Rückgang gegeben, um gut ein Drittel seit 2004, wie Ziercke berichtete. „Dennoch zeigen die Zahlen ein trauriges Bild“, sagt der BKA- Präsident. Statistisch gesehen seien in Deutschland im vergangenen Jahr jede Woche drei Kinder unter strafrechtlich relevanten Umständen ums Leben gekommen, rechnet er vor.

Bei Gewalt gegen Kindern gibt es eine hohe Dunkelziffer

Beim sexuellen Missbrauch gingen die offiziellen Fallzahlen im vergangenen Jahr leicht zurück: So wurden 2013 in der Statistik 14877 Opfer sexueller Gewalt gezählt, ein Minus von 1,8 Prozent im Vergleich zu 2012 mit 15149 Fällen. Doch auch wenn es in einigen Bereichen rückläufige Zahlen gebe, sei dies kein Grund zur Entwarnung. „Die Statistiken spiegeln nur das Hellfeld wieder, das Dunkelfeld ist wesentlich größer, sagte Ziercke. Wenn Nachbarn, Erzieher oder Kinderärzte etwas Auffälliges bei Kindern bemerkten, brauche die Polizei auch einen Hinweis, sagte Ziercke. „Ohne Anzeige geht es nicht.“ Auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kinderhilfe, Rainer Becker, forderte ein stärkeres Hingucken statt „falscher Scham“.

Die Deutsche Kinderhilfe fordert mehr Kinderschutzambulanzen

Becker kritisierte, in Deutschland gleiche der Kinderschutz immer noch einem Flickenteppich, ohne einheitliche Fachstandards. Er sprach sich unter anderem dafür aus, verstärkt in den Ausbau von Kinderschutzambulanzen zu investieren. „Überforderte Familien und alle, die mit Kindern arbeiten, müssen einen Ansprechpartner haben und Hilfe erhalten, bevor es zu einer Eskalation kommt“, forderte Becker.

Berliner Rechtsmediziner fordert Schulung von Lehrern und Erziehern, um Missbrauch zu erkennen

In Berlin gibt es eine solche Gewaltschutzambulanz seit Februar 2014, als Anlaufstelle für Gewaltopfer, unabhängig von deren Geschlecht und Alter. Sie sollen sich an die Ambulanz wenden können, ohne dass sofort die Polizei eingeschaltet werden muss. Medizinischer Leiter dieser Einrichtung ist Professor Michael Tsokos, der zugleich das Institut für Rechtsmedizin der Charité leitet. Er hält einen flächendeckenden Ausbau solcher Ambulanzen für erforderlich, ebenso von Beratungsstellen. In Deutschland sei man hier etwa im Vergleich zu den USA noch ganz am Anfang. „Immer wenn ein Kind getötet wird, ist ein Erwachsener Schuld.“ Der Rechtsmediziner verlangte außerdem, Verantwortliche wie Lehrer oder Erzieher zu schulen. „Das ist keine Kernphysik, eine Misshandlung zu erkennen“, sagte er.

In der Jugendhilfe werden mehr Sozialarbeiter benötigt

Die Sozialwissenschaftlerin Kathinka Beckmann forderte darüber hinaus eine bessere Ausstattung der Kinder- und Jugendhilfe. Die rund 8000 Sozialpädagogen und Sozialarbeiter bundesweit seien „massiv überlastet“, weil sie sich ständig steigenden Fallzahlen gegenüber sähen, sagte die Professorin von der Hochschule Koblenz. Viele seien krankgeschrieben, es gebe außerdem eine hohe Fluktuation in den Ämtern. Die Zahl der Kinder, für die die Kommunen „Hilfen zur Erziehung“ gewähren, sei inzwischen auf eine Million angestiegen, berichtete Beckmann. Das Personal in den Kinder- und Jugendämtern sei aber nicht entsprechend aufgestockt worden. Beckmann kritisierte, dass es bundesweit keine Fallobergrenzen gebe. So sei in Berlin in einigen Bezirken ein Mitarbeiter im Jugendamt für 160 hilfebedürftige Kinder zuständig, während in Nordrhein-Westfalen ein Mitarbeiter rund 30 Fälle zu bearbeiten habe. Als problematisch bezeichnete sie, dass die Kommunen die Hauptfinanziers der Jugendhilfe seien. Das könne sich vor allem in finanziell schwachen Städten und Gemeinden bemerkbar machen.

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