Geiseldrama in Kenia: Wer vom Terror profitiert
Vize-Präsident Ruto bekommt eine Woche Prozesspause vom Internationalen Strafgerichtshof Auch am Montag war das Geiseldrama im Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi noch nicht beendet.
Die kenianische Polizei sucht seit der Nacht zum Montag die Entscheidung im seit Samstag andauernden Geiseldrama in einem Einkaufszentrum in Nairobi. 24 Stunden später war nicht abzusehen, wann die Krise im Westgate-Einkaufszentrum beendet sein würde. Am späten Montagabend befanden sich noch immer islamistische Al-Schabaab-Kämpfer mit einer unbekannten Anzahl Geiseln im Gebäude. Die Miliz drohte mit der Tötung der noch verbliebenen Geiseln.
Kurz vor Mitternacht meldete das kenianische Innenministerium, dass die Geiselkrise beendet sei. Die Sicherheitskräfte seien jedoch dabei noch systematisch nach Sprengfallen zu suchen. Das Ministerium ging davon aus, dass alle Geiseln freigelassen worden seien. Der kenianische private Nachrichtensender KTN meldete, dass die noch verbliebenen "sechs Terroristen" alle getötet worden seien. Im Verlauf des Tages waren bereits drei Angreifer getötet und zehn verletzt worden, hatte die Polizei schon früher berichtet. Innenminister Joseph Ole Lenku war schon am Nachmittag optimistisch gewesen, dass die Attentäter bald überwältigt sein würden.
Das Drama begann am Samstag, als zehn bis 15 schwer bewaffnete Männer das bei den in- und ausländischen Privilegierten in Kenia beliebte Einkaufszentrum stürmten. Einige hätten sich als Frauen verkleidet, sagte Lenku. Nach Angaben des Roten Kreuzes sind mindestens 62 Menschen getötet worden, 175 wurden verletzt, mehr als 60 wurden noch vermisst. Unter den Toten und Verletzten sind auch mehrere Ausländer darunter auch die 29-jährige Diplomatin Annemarie Desloges aus Kanada. Für den 78-jährigen ghanaischen Dichter und Diplomaten Kofi Awoonor, der ebenfalls bei der Schießerei ums Leben gekommen war, fand am Montagabend in Nairobi eine Gedenkfeier statt.
Wenige Stunden nach Beginn der Offensive in der Nacht zum Montag meldete die kenianische Polizei, dass „die meisten Geiseln“ befreit worden seien. Am Montag gegen Mittag begann Rauch über dem Gebäude aufzusteigen. Von Explosionen war die Rede und von Maschinengewehrfeuer. Lenku sagte, das Feuer sei „von den Terroristen verursacht“. Offenbar hatte die Polizei versucht, sich einen Weg freizusprengen, und die Attentäter sollen Matratzen angezündet haben, um ihre Verfolger zu verwirren. Was sich im Westgate-Einkaufszentrum seit Samstagmittag abgespielt hatte, blieb jedoch in der Nacht zum Dienstag noch unklar. Der Einsatz von Armee und Polizei dauerte trotz der Nachricht, alle Attentäter seien getötet worden, bis in die frühen Morgenstunden an.
Vize-Präsident Ruto bekommt eine Prozesspause vor dem Weltstrafgerichtshof
Zumindest für ein kenianisches Regierungsmitglied hat sich der Terroranschlag als perverser Glücksfall erwiesen. Am Montagmorgen entschied der Internationale Strafgerichtshof (IStGH), die Verhandlung gegen den Vize-Präsidenten William Ruto für eine Woche zu unterbrechen. Gegen Ruto wird seit dem 10. September in Den Haag wegen seiner Verantwortung für Verbrechen nach der umstrittenen Wahl Ende 2007 verhandelt. Im November muss sich auch Präsident Uhuru Kenyatta vor dem IStGH verantworten. Im März waren die beiden nach einer Kampagne gegen das Weltgericht gewählt worden, das sie als kolonialistisches Unterdrückungsinstrument des Westens gegen die Afrikaner brandmarkten. Der Westen tut sich im Umgang mit dem umstrittenen Duo Kenyatta-Ruto schwer. Die USA haben zwischenzeitlich einen Teil ihrer großzügigen Militärhilfen gekürzt, andere Regierungen beschränken die Kontakte mit Kenyatta und Ruto auf ein Minimum.
So tragisch die Ereignisse sind, für diese diskreditierte Regierung sind sie eine Chance, aus der Isolation herauszukommen. Israel hat Anti-Terror-Experten nach Nairobi geschickt, zumal das Westgate-Einkaufszentrum einem israelischen Geschäftsmann gehört. Am Sonntagabend telefonierte der amerikanische Präsident Barack Obama erstmals mit Uhuru Kenyatta und bot Hilfe an. Am Montag versprach er auch öffentlich Unterstützung. Kenyatta hatte in seiner kurzen Ansprache am Sonntag, als er gemeinsam mit seinem einstigen Gegenkandidaten Raila Odinga vor die Presse trat, davon gesprochen, dass "wir gegen den internationalen Terrorismus kämpfen". Das scheinen auch die USA so zu sehen.
Derweil beantragte Uhuru Kenyatta beim Internationalen Strafgerichtshof, dass er während langer Phasen des Prozesses nicht persönlich anwesend sein muss. Am Montag reichten seine Anwälte den Antrag beim Gericht in Den Haag ein - wohl in der Hoffnung, dass inmitten einer Geiselkrise in Nairobi doch einsichtig sein müsste, dass ein amtierender Präsident sich nicht wochenlang als Angeklagter vor Gericht aufhalten könnte. Während des Wahlkampfes hatte er noch vollmundig behauptet, er könne das Land via Skype von Den Haag aus regieren. Doch seit Kenyatta und Ruto im Amt sind haben sie ihre gesamte diplomatische Energie darauf gerichtet, andere afrikanische Staaten und vor allem das eigene Parlament davon zu überzeugen, den Internationalen Strafgerichtshof zu verlassen. Zudem versuchten die beiden vergeblich, den UN-Sicherheitsrat dazu zu bringen, den Fall von Den Haag nach Kenia zurückverweisen zu lassen. Allerdings kann der UN-Sicherheitsrat das gar nicht, weil Kenia selbst die Fälle an den Internationalen Strafgerichtshof verwiesen hatte.
Die Islamistenmiliz Al Schabaab versucht wieder an Bedeutung zu gewinnen
Der Terroranschlag in Nairobi ist aber auch ein Versuch der somalischen Islamistentruppe Al Schabab, wieder auf sich aufmerksam zu machen. Seit Kenias Armee die Miliz aus den Städten im Süden und die Friedenstruppe der Afrikanischen Union Amisom aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben haben, gibt es vermehrt interne Kämpfe bei Al Schabab. Der Somalia-Experte Ken Menkhaus vom Davidson College in den USA schreibt in einem Blogeintrag für den Obama-nahen Thinktank Center for American Progress, der Angriff sei die Verzweiflungstat einer Terrororganisation im Zustand des Niedergangs. „Der Angriff vom 21. September könnte der Tag sein, an dem Al Schabaab sich das eigene Grab schaufelte“, schrieb er. Auf einem mehrfach geschlossenen und dann wieder aktivierten Twitter-Account meldete Al Schabaab noch kurz vor Mitternacht stolz, die Kämpfer hätten nun die dritte Nacht in Folge das Westgate-Einkaufszentrum unter Kontrolle.
Erst in der vergangenen Woche hatten die USA und Europa dem Krisenstaat Somalia hohe Summen für den Wiederaufbauplan des seit einem guten Jahr amtierenden Präsidenten Hassan Scheich Mohammed zugesagt. Zwar gelingt es Al Schabaab nach wie vor regelmäßig Selbstmordanschläge in der somalischen Hauptstadt Mogadischu zu verüben. Doch die Miliz ist offensichtlich geschwächt. Im Sommer brachen Kämpfe zwischen Milizenführern aus, die sich, wie der langjährige Afrika-Korrspondent Marc Engelhard für den Evangelischen Nachrichtendienst epd berichtete, entlang der Clanloyalitäten entwickelten. Engelhard hat in diesem Jahr ein Buch über den Konflikt in Somalia vorgelegt und das Land mehrfach besucht.
Für Al Schabaabs Führungselite geht es mit dem Anschlag in Nairobi darum, die eigene Macht in der Miliz zu sichern. Von Beginn des Attentats an verlangte die Miliz den Abzug der kenianischen Truppen aus Somalia. Für Al Schabaab war die Hafenstadt Kismayo von höchster strategischer Relevanz, weil sie von dort aus Holzkohle verschiffte, mit der die Miliz hohe Einnahmen erzielte, um ihren Krieg gegen die Regierung in Mogadischu fortzusetzen.
Das Attentat dürfte die Spannungen zwischen somalischen Kenianern, die schon immer im Land lebten, den Zehntausenden Flüchtlingen, die sich seit dem Staatszerfall Somalias nach 1991 ins Nachbarland gerettet haben und den anderen kenianischen Ethnien erhöhen. Es ist ohnehin ein nicht spannungsfreies Zusammenleben. In Dadaab, dem größten Flüchtlingscamp der Welt leben rund eine halbe Million Somalier zum Teil seit zwei Jahrzehnten. Dadaab ist für Al Schabaab jedoch auch ein Rekrutierungslager für immer neue Kämpfer. Seit Jahren drohen kenianische Regierungen immer wieder einmal damit, das Lager zu räumen und die Flüchtlinge auszuweisen und nach Somalia zurückzuschicken. Nach einem Doppelattentat auf zwei Kirchen im vergangenen Jahr in Garissa, wo somalische Kenianer die Mehrheit stellen, hatte die Polizei den Markt nieder gebrannt und auf Demonstranten, die sich dagegen wehren wollten, geschossen. In Nairobis Stadtteil Eastleigh, im Volksmund "Little Mogadischu", ist es nach einem Anschlag auf einen Minibus mit neun Toten zu tätlichen Angriffen auf die somalische Minderheit gekommen, Läden wurden geplündert und Häuser angezündet. Die somalische Minderheit in Kenia hat also allen Grund, sich vor den Konsequenzen des Angriffs von Al-Schabaab-Kämpfern auf ihre Situation zu fürchten.
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