Kampf gegen den IS im Irak: Wer verfolgt welche Ziele in Mossul?
Die Militärkoalition kommt bei der Rückeroberung Mossuls vom "Islamischen Staat" schneller voran als angenommen. Doch der IS schlägt auf seine Weise zurück. Die Motive der wichtigsten Akteure.
Die Kämpfe zwischen der internationalen Anti-IS-Allianz und den Dschihadisten im Irak verschärfen sich. Dutzende bewaffnete Islamisten haben am Freitag die nordirakische Stadt Kirkuk angegriffen. Augenzeugen und ein AFP-Korrespondent berichteten über Dschihadistengruppen mit Granaten und Schusswaffen in mehreren Vierteln der Stadt. Nach Angaben der Polizei kam es zu Gefechten, bei denen mindestens sechs irakische Polizisten und zwölf Kämpfer der Dschihadistenmiliz "Islamischer Staat" (IS) getötet wurden.
Unterdessen bekannte sich die IS-Miliz über ihr Sprachrohr Amaq zu den Selbstmordanschlägen auf mehrere öffentliche Gebäude im von Kurden kontrollierten Kirkuk und auf ein Kraftwerk in Dibis 40 Kilometer nordwestlich von Kirkuk. "Die Kämpfer des IS haben die Stadt Kirkuk aus allen Richtungen angegriffen", erklärte Amaq. Bei den Anschlägen starben nach Angaben der Behörden mindestens 17 Menschen, 16 von ihnen in dem Kraftwerk. Bereits in der Nacht hatten mit Gewehren bewaffnete Selbstmordattentäter in Kirkuk mehrere öffentliche Gebäude angegriffen.
Der IS steht derzeit im Norden des Irak unter Druck, weil eine Großoffensive auf die Stadt Mossul läuft. Die Stadt ist die Hochburg der Dschihadisten im Irak und soll dem IS wieder entrissen werden. Ein Überblick über die Situation vor Ort:
Irakische Armee
Die irakische Armee führt den Sturm auf Mossul an und rückt mit ihren Truppen von Süden auf die Stadt vor. Zusammen mit den Peschmerga bildet die irakische Armee den wichtigsten Teil der Allianz im Kampf gegen den IS im Irak. Gemeinsam stellen sie rund 30.000 Soldaten. Beide Einheiten wurden in den letzten zwei Jahren von den USA ausgebildet und mit modernster Militärtechnik ausgestattet. Ziel der irakischen Armee ist es, den IS aus Mossul zu vertreiben und anschließend die Kontrolle über das gesamte Land zurückzugewinnen. Militärisch wird sich wohl zumindest das erste Ziel realisieren lassen. In den letzten zwei Jahren haben westliche Militärausbilder insgesamt etwa 26000 irakische Soldaten ausgebildet.
Doch solange die Bevölkerung die Zentralregierung in Bagdad nicht akzeptiert, dürfte es schwierig werden den gesamten Irak zu kontrollieren. In Mossul ist noch unklar, ob die Bevölkerung die irakische Armee tatsächlich als Befreier sehen wird. Die sunnitischen Einwohner der Stadt befürchten, von der schiitisch dominierten Armee für die Schreckenstaten des IS bestraft zu werden.
Peschmerga
Von Norden und Osten rücken Peschmerga-Einheiten auf Mossul vor. Die Kämpfer der kurdischen Autonomieregion im Irak kommen bislang offenbar schneller voran als die irakische Armee. Doch trotz ihrer Schlagkraft sollen die Peschmerga nicht in Mossul einrücken. Das hatte der irakische Präsident Haider al Abadi bereits vor Beginn der Offensive erklärt. Und es würde auch nicht in die Strategie der Peschmerga passen, sagt der Irak-Experte Renad Mansour. „Die Peschmerga wollen Territorium besetzen, das sie zukünftig in einen kurdischen Staat integrieren oder als Verhandlungsmasse nutzen können“, erklärt Mansour, „doch auf eine arabische Stadt wie Mossul könnten die Kurden niemals Anspruch erheben.“ Vor rund zwei Jahren hat der Bundestag Waffenlieferungen an die Peschmerga beschlossen. Seitdem wurden in Erbil unter deutscher Führung rund 11000 Peschmerga-Kämpfer ausgebildet.
Schiitische Milizen
Im Westen haben schiitische Milizen angekündigt, die Stadt Tel Afar zu erobern, um damit den Dschihadisten den Weg nach Raqqa in Syrien abzuschneiden. Bislang waren diese Milizen ein wichtiger Bestandteil der irakischen Strategie gegen den IS, aber langfristig stellen sie auch ein großes Problem für die irakische Zentralregierung dar. Die schiitischen Milizen kooperieren zwar mit Bagdad, stehen aber eigentlich unter dem Kommando des Iran, der im Irak einen schiitischen Staat im Staat unter iranischer Führung schaffen will, wie es mit der Hisbollah im Libanon bereits der Fall ist.
"Islamischer Staat"
Der IS verteidigt Mossul mit rund 5000 Kämpfern. Die Dschihadisten haben die Stadt auf die Belagerung vorbereitet, haben Sprengfallen errichtet und Tunnel gegraben. Das sei ein großer taktischer Vorteil, sagt Rayk Hähnlein von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Aber das könne die zahlenmäßige Überlegenheit an Kämpfern der Koalition nicht ausgleichen. Mossul ist mit 1,5 Millionen Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Irak. Im Juni 2014 hatten die Dschihadisten die Stadt eingenommen, wenige Tage später gründeten sie dort ihr „Kalifat“. Da der IS Mossul zu verlieren droht, greift die Terrormiliz jetzt verstärkt in anderen Gebieten wie Kirkuk an. Diese Stadt und ihr Umland wird derzeit noch von kurdischen Peschmerga-Kämpfern kontrolliert.
Syrisch-Kurdische Truppen
An der syrisch-irakischen Grenze sind kurdische Truppen stationiert. Insbesondere die sogenannten Volksverteidigungseinheiten der YPG stehen bereit, um Kämpfern des IS den Weg nach Nordsyrien zu versperren. Das erklärt Sipan Ibrahim, der offizielle Vertreter der de facto autonomen Provinz Rojava in Nordsyrien. Die YPG und ihr ausschließlich Frauen vorbehaltener Ableger YPJ zählen in Syrien rund 50000 Kämpfer. Wie viele von ihnen in der Grenzregion stehen, ist nicht bekannt.
US-geführte Allianz
Die USA führen eine Koalition von insgesamt 19 Staaten an, die den Irak bei der Befreiung Mossuls unterstützen. Diese internationale Allianz hilft der irakischen Armee und den vorrückenden Peschmerga-Kämpfern mit Luftschlägen. Frankreich nimmt daran mit dem Flugzeugträger „Charles de Gaulle“ teil, der im östlichen Mittelmeer Stellung bezogen hat. Auf ihm sind insgesamt 24 Rafale-Kampfflugzeuge stationiert. Deutschland hat die Fregatte „Augsburg“ geschickt, um den Flugzeugträger zu begleiten.
Türkei
Nur etwa 30 Kilometer nordöstlich von Mossul befindet sich der türkische Militärstützpunkt Bashiqa. Bereits seit Anfang der 90er Jahre ist die Türkei auch im Nordirak militärisch präsent, um Attacken von PKK-Kämpfern zu unterbinden, die von dort aus operiert haben. Seit 2014 bildet die Türkei dort auch Peschmerga und Kämpfer sunnitischer Milizen aus. Der türkische Präsident Erdogan will überall dort vertreten sein, wo sich die Zukunft der Region entscheidet. Erdogan versucht die Bedeutung der Türkei in der Region zu vergrößern. „Wir werden bei der Operation dabei sein“, sagte der türkische Präsident über die Rückeroberung Mossuls, „wir werden am Tisch sitzen, es ist nicht möglich, dass wir außen vor bleiben.“ (mit AFP)