zum Hauptinhalt
Wer übernimmt die Führung der SPD?
© AFP/Tobias Schwarz
Update

Ergebnis des Mitgliederentscheids: Wer übernimmt bei den Sozialdemokraten?

Die SPD wollte mit dem Votum über die neue Parteispitze die Basis mobilisieren. Aber die scheint nur mäßig interessiert. Am Abend wird das Ergebnis verkündet.

Freitagnacht um 24 Uhr ist die Frist abgelaufen. Bis dahin mussten die ausgefüllten Briefwahlunterlagen im Willy-Brandt-Haus eingegangen und die Online-Abstimmungen jener Sozialdemokraten abgeschlossen sein, die über die Führung ihrer Partei entscheiden. Sechs Kandidaten-Duos standen für die rund 430.000 Mitglieder noch zur Wahl. Kurz vor Ende des aufwendigen Verfahrens hatten sich die Indizien gemehrt, dass die SPD womöglich nicht das bekommt, was sie sich erhofft hatte: eine klare, unanfechtbare Entscheidung.

Welche Folgen kann die Abstimmung für die große Koalition haben?

Seit Samstagmorgen zählen 250 Helferinnen und Helfer aus ganz Deutschland im Willy-Brandt-Haus in Berlin die Stimmen aus, das Ergebnis wird voraussichtlich gegen 18 Uhr verkündet werden. Wenn dann keines der sechs Paare über 50 Prozent der Stimmen für sich verzeichnen kann, müssen die beiden erfolgreichsten in die Stichwahl ziehen.

Lange galt das Duo aus der Brandenburgerin Klara Geywitz und Finanzminister Olaf Scholz als Favorit, das als Sieger in den erwarteten zweiten Wahlgang einziehen würde. Doch nun tauchen Hürden für die beiden auf, die zuvor nicht absehbar waren. Wenn aber erklärte Gegner der großen Koalition oder auch nur Skeptiker vorne liegen sollten, dann steht das Regierungsbündnis mit der Union zur Disposition. Zwar war die Groko-Frage bei den Regionalkonferenzen kein dominierendes Thema. Der Mitgliederentscheid aber kann sie kippen.

Olaf Scholz und Klara Geywitz zählen zu den bekanntesten Kandidaten für den Vorsitz der SPD.
Olaf Scholz und Klara Geywitz zählen zu den bekanntesten Kandidaten für den Vorsitz der SPD.
© Marijan Murat/dpa

Ist das Verfahren rechtlich angreifbar?

Davon ist zumindest der Jurist und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert überzeugt. Er begründet seine Zweifel mit einer „fragwürdigen Ungleichbehandlung von Online- und Briefwählern“. Für als Online-Wähler registrierte SPD-Mitglieder sei die Wahl kostenlos gewesen, Briefwähler hätten dagegen 80 Cent Porto zahlen müssen. „Das dürfte die Wahlbeteiligung beeinträchtigen und das Wahlergebnis verzerren“, sagt Danckert. Vor allem ältere Genossinnen und Genossen würden durch das Verfahren benachteiligt. Die älteren Briefwähler gelten in der Partei als weniger Groko-skeptisch und damit weniger kritisch gegenüber Olaf Scholz, als es die Jusos oder viele Funktionäre aus den Landesverbänden sind.

Danckert rief die SPD-Führung dazu auf, das Ergebnis der ersten Runde des Mitgliederentscheids nicht wie geplant am Samstag zu veröffentlichen, da es „womöglich keine Gültigkeit“ habe. Er behalte sich vor, juristisch gegen das Verfahren vorzugehen. „Wir sehen dem gelassen entgegen“, sagt dazu ein Parteisprecher. Schon in der Vergangenheit seien rechtliche Einwände gegen Mitgliedervoten gerichtlich abgewiesen worden.

Bei der aktuellen Abstimmung gibt es zumindest eine gute Nachricht: Das nötige Quorum von 20 Prozent wurde bereits kurz nach Beginn des Wahlgangs Mitte Oktober erreicht. Der Bundesvorstand hatte die Latte dafür aber auch bewusst niedrig gelegt.

Wie rege ist die Beteiligung an der Abstimmung?

Knapp 130.000 Stimmen zählte man in der Parteizentrale bis Sonntagabend – online und postalisch. Das entspricht einer Beteiligung von 30 Prozent. „Da dürften wohl noch zehn Prozent dazukommen“, schätzt ein Mitglied des Bundesvorstands. Dabei hatte die kommissarische Parteiführung auf „maximale Beteiligung“ der Basis gesetzt.

Das Ziel könnte die SPD deutlich verfehlen. Dafür erscheint die Zahl der Genossen, die sich bislang an der Wahl beteiligten, viel zu gering. Sie steht in keinem Verhältnis zu den rund 430.000 Mitgliedern. Bis Mittwochabend hatten sich nach Informationen des Tagesspiegels 180.000 SPD-Mitglieder online registrieren lassen – eine Zahl, die ein SPD- Sprecher dementierte. Demgegenüber sei der Rücklauf bei der Briefwahl „überschaubar“, hieß es in der SPD.

Welche Folgen hätte eine geringe Wahlbeteiligung?

In Parteikreisen wächst die Sorge, die Wahlbeteiligung könne bis zum Ende nicht genug anziehen, um wenigstens die 50-Prozent-Marke zu knacken. Und selbst wenn insgesamt die Hälfte der Mitglieder ihre Stimme abgibt, wäre das immer noch eine „schwere Enttäuschung“ für die Partei, sagt ein langjähriger Insider. Es würde zeigen, dass die andere Hälfte der Mitglieder längst resigniert habe – und sie keines der insgesamt sechs Kandidatenpaare wirklich überzeugen konnte. Das Desinteresse an der neuen Doppelspitze wäre offiziell verbrieft. Viele würden dann fragen, ob sich der Aufwand gelohnt habe, den die Partei mit 23 Regionalkonferenzen über Monate betrieben hat.

In der Parteizentrale hofft man nun auf Rettung durch die „Spätentschlossenen“, die kurz vor Schluss noch ihre Stimme abgeben wollen. Die Zahlen aus dem Jahr 2018 werde man „sicher nicht“ erreichen, heißt es im Willy-Brandt- Haus. Damals beteiligten sich 76 Prozent der Genossen an der Mitgliederbefragung über die Neuauflage der großen Koalition. Davon sprachen sich 66 Prozent für die Groko aus.

Welchen Kandidaten schadet eine niedrige Wahlbeteiligung?

Bleibt es bei der geringen Wahlbeteiligung, dürfte das vor allem für Geywitz und Scholz zum Problem werden. „Das schadet Olaf Scholz“, sagt ein Mitglied aus dem Vorstand. Die bis Sonntag abgegebenen 130 000 Stimmen, so glaubt man in der Partei, stammten vor allem von den Aktiven aus den „Strukturen“, wie es im SPD-Sprech heißt: also von den engagierten Sozialdemokraten, die das Verfahren eng verfolgt haben, von den Funktionären in den Landesverbänden und von den Jusos, die ihre Mitglieder traditionell gut mobilisieren können.

All diese Genossen verbinde eines, sagt eine SPD-Bundestagsabgeordnete: die „kritische Stimmung gegen Scholz“. Wenn solche Parteimitglieder die Abstimmung dominieren, dürfte es eng werden für Geywitz und Scholz. Die bräuchten für einen Sieg die Breite der Basis, die weniger Scholz-skeptischen „Karteileichen“, heißt es in der SPD.

Dass der Vizekanzler als mit Abstand bekanntester Bewerber so hart um den Vorsprung kämpfen muss, sei eine Demütigung für ihn, meint Forsa-Chef Manfred Güllner, der selbst SPD-Mitglied ist. Die geringe Wahlbeteiligung überrascht ihn nicht. „Wenn Urwahlen oder direkte Abstimmungen ermöglicht werden, nehmen in der Regel aber nur wenige teil“, weiß Güllner

In der SPD sei das Problem aber verschärft, sagt der Forsa-Chef. Nicht nur habe ein Großteil der Basis inzwischen resigniert angesichts der andauernden Krise ihrer Partei. Abgesehen von Scholz seien dazu die meisten der Kandidaten selbst unter Genossen weitgehend unbekannt. „Das ganze Auswahlverfahren zeigt, wie dünn die Personaldecke der SPD ist.“

Was würde eine niedrige Wahlbeteiligung für die Partei bedeuten?

Schaden könnte die geringe Wahlbeteiligung am Schluss auch den Siegern des parteiinternen Wettbewerbs, sagt Güllner. „Wer auch immer die Abstimmung gewinnt, wird ein großes Legitimitätsproblem haben, vor allem mit einer geringen Wahlbeteiligung.“ Die neue Doppelspitze wäre zwar dann durch eine Direktwahl bestimmt, aber möglicherweise nur von einer Minderheit der Mitglieder. Genau das wollte die SPD mit dem aufwendigen Verfahren eigentlich verhindern.

Zur Startseite