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Parteichefs und Kanzlerkandidaten der Ampel-Parteien haben sich für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen.
© Christof Stache/AFP
Update

Steuern, Aktien-Rente, Mindestlohn: Wer sich wo bei den Ampel-Verhandlungen durchgesetzt hat

Die Ampel-Verhandler sprechen von einem „Geben und Nehmen“. Was im Sondierungspapier steht – und wer welche Forderungen durchsetzen konnte. Ein Überblick.

Grünen-Chefin Annalena Baerbock spricht von einem neuen „Aufbruch“, SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz preist das Projekt als sozial-ökologisch-liberale „Fortschrittskoalition“. Und FDP-Chef Christian Lindner lobt ein „Geben und Nehmen“ bei den Verhandlungen.

„Wir sind eine Konstellation, die drei Parteien mit unterschiedlichen Traditionen und unterschiedlichen Sichtweisen zu einem innovativen Bündnis zusammenbringen kann“, heißt es in der Präambel des Sondierungspapiers.

Und weiter: „Wir können einen Beitrag leisten, politische Frontstellungen aufzuweichen und neue politische Kreativität zu entfachen. So schaffen wir einen neuen gesellschaftlichen Aufbruch auf Höhe der Zeit.“

Wo zum Beispiel nach den Sondierungen zwischen Union und SPD jede Seite ihre Erfolge feierte, ganz nach einer Ideologie des Gewinnens und Verlierens, werden dieses Mal die Gemeinsamkeiten betont. Erfolge den anderen gegönnt, eben wie in der gemeinsamen Philosophie beschrieben, das Brückenbauen hin zu einem Aufbruch- statt einem ungewollten Bündnis beschrieben. Da es für die FDP der schwierigste Weg ist, in ein Bündnis mit zwei eher linksorientierten Parteien einzutreten, konnten die Liberalen als kleinster Partner verhältnismäßig viel rausholen.

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Aber wer konnte sich wo durchsetzen im zwölfseitigen Ampel-Sondierungspapier und wo lauern Knackpunkte für Koalitionsverhandlungen? Ein Überblick.

Umwelt und Klima

Die Ampel-Parteien wollen ein Klimaschutz-Sofortprogramm verabschieden und den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv vorantreiben. So sollen alle geeigneten Dachflächen künftig für die Solarenergie genutzt werden. Bei gewerblichen Neubauten solle das verpflichtend sein, bei privaten Neubauten „die Regel“. Man sehe darin auch ein Konjunkturprogramm für Mittelstand und Handwerk, heißt es im Sondierungspapier.

Für Windkraft an Land sollen zwei Prozent der Landesfläche ausgewiesen werden. Aus der Kohle wollen die Ampel-Parteien früher aussteigen als bisher geplant 2038. „Idealerweise gelingt das schon bis 2030.“ Das sind alles Punkte, die die Handschrift der Grünen tragen.

Die Finanzierung der Erneuerbare-Energien-Umlage über den Strompreis solle so schnell wie möglich beendet werden, sie macht bisher mehrere hundert Euro im Jahr für einen normalen Haushalt beim Strompreis aus.

[Lesen Sie hier einen Kommentar zum Sondierungspapier von Tagesspiegel-Chefredakteur Christian Tretbar: Mehr als ein farbloser Kompromiss (T+)]

Im Papier heißt es zudem, man unterstütze die Vorschläge der EU-Kommission zum Klimaschutz – auch dass bis 2035 in Europa nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden sollen. Ein früheres Verbrennerverbot, wie es viele Grüne fordern, ist bisher nicht geplant.

Ein echter Dämpfer für die Grünen: Ein generelles Tempolimit von 130 auf Autobahnen zur Emissionsminderung soll es in Deutschland nicht geben.

Um die Wirtschaft und Industrie klimaneutral umzubauen, sollen Planungs- und Genehmigungszeiten deutlich verkürzt und Investitionen mit einem „Superabschreibungsprogramm“ angeschoben werden - das war zunächst eine FDP-Idee, halten aber alle für sinnvoll.

Und dass die Genehmigung etwa für ein neues Windrad nur noch sechs Monate statt bis zu sechs Jahre dauert, war ein wichtiges Anliegen von Olaf Scholz im Wahlkampf.

Arbeit, Rente und soziale Sicherheit

Der gesetzliche Mindestlohn soll in einer „einmaligen Anpassung“ von derzeit 9,60 Euro im Jahr 2022 auf zwölf Euro pro Stunde erhöht werden – das war ein Kernanliegen im „Respekt“-Wahlkampf von Scholz. FDP-Chef Lindner machte deutlich, dass seine Partei hier Grünen und SPD entgegen gekommen sei.

Erleichtert worden sei das dadurch, dass auch die FDP etwas bekommen hat: Bei den sogenannten Mini- und Midi-Jobs soll es Verbesserungen geben. Künftig orientiert sich etwa die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von zehn Stunden zu Mindestlohnbedingungen. Sie wird demnach auf 520 Euro erhöht.

[Das komplette Sondierungspapier können Sie hier als PDF herunterladen.]

Bei der Rente versichern die Parteien, dass es keine Rentenkürzung und keine Anhebung des Renteneintrittsalters geben soll. Das war der SPD sehr wichtig. Das Mindestrentenniveau von 48 Prozent solle gesichert werden. Der deutschen Rentenversicherung wollen SPD, Grüne und FDP ermöglichen, ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen.

Und die von der FDP geforderte Aktien-Rente soll kommen: Zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz will man ähnlich wie in Ländern wie Norwegen in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Milliarden Euro zuführen“, betonen die drei Parteien. Ein echtes Novum, auch um immer weitere Beitragssteigerungen zu verhindern, sofern die Aktienmärkte mitspielen.

Das System der privaten Altersvorsorge soll also grundlegend reformiert werden. Geprüft wird auch die Möglichkeit eines öffentlich verantworteten Fonds genauso wie die Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen als Riester.

Besonders wichtig für SPD und Grüne ist, dass anstelle von Hartz IV künftig ein Bürgergeld eingeführt werden soll. Digital und unkompliziert zugänglich müsse es sein. Auch die Zuverdienstmöglichkeiten wollen die Ampel-Parteien verbessern „mit dem Ziel, Anreize für Erwerbstätigkeit zu erhöhen.“

Ein großes Thema von Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist es, Kinder aus der Armut zu holen. „In einem Neustart der Familienförderung sollen bisherige Leistungen in einem eigenen Kindergrundsicherungsmodell gebündelt und automatisiert ausgezahlt werden“, heißt es nun. So kämen Hilfen ohne bürokratische Hürden bei den Kindern an.

Bauen und Wohnen

Hier will Scholz auf seine Ansätze aus der Zeit als Erster Bürgermeister in Hamburg zurückgreifen, ein großes Bündnis für bezahlbares Wohnen mit allen Beteiligten schmieden und Planungssicherheit für die Bauindustrie zum Aufbau von Baukapazitäten garantieren. Das Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, darunter 100.000 Sozialwohnungen. Durch mehr Entbürokratisierung und Serien-Wohnungsbautypen, statt individueller Bauten, sollen die Kosten gesenkt werden. Eine Regelung, um Mietmoratorien oder Mietendeckel in Regionen mit hohen Mieten einzuführen, ist nicht geplant - das ist mit der FDP nicht zu machen. Aber bisherige Mieterschutzregelungen sollen auf den Prüfstand. Wenn sich die Mieten weiter so entwickeln, liegt bei diesem Thema noch viel Zündstoff.

Gesellschaft und Diversität

Die Ampel-Parteien wollen sich für eine vielfältige Gesellschaft einsetzen und mit mehreren Reformen den Veränderungen Rechnung tragen. So soll etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz des Grundgesetzes um ein Verbot der Diskriminierung wegen sexueller Identität ergänzt werden.

Das Wahlalter wollen die Parteien für Bundestagswahlen und Europawahlen auf 16 Jahre herabsetzen. Davon könnten besonders Grüne und FDP präsentieren, denen das beiden ein wichtiges Anliegen ist. Bei jungen Wählern schnitten beiden Parteien bei der jüngsten Bundeswahl am besten ab, während die Union nur bei zehn Prozent landete; gerade sie stemmt sich gegen eine Herabsetzung des Wahlalters.

Deutschland soll als „Einwanderungsland“ zudem ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht erhalten. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wollen die Ampel-Parteien „praktikabler“ ausgestalten und ein Punktesystem wie in Kanada „als zweite Säule zur Gewinnung von qualifizierten Fachkräften“ einführen.

Wer gut integriert ist und für seinen eigenen Lebensunterhalt sorgen kann, soll schneller einen rechtssicheren Aufenthaltsstatus erhalten können.

Steuern und Schuldenbremse

Hier gibt es in den Koalitionsverhandlungen, wenn die Gremien von SPD, Grünen und FDP allesamt grünes Licht dafür geben, noch einige Hürden. Das Papier bleibt in vielem vage, wie das Ziel von 50 Milliarden Euro Investitionen im Jahr zu schaffen sein soll.

Denn die Sondierer bekennen sich wie von der FDP verlangt zur Schuldenbremse: „Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur“, heißt es.

Aber wie konkret? Über Nebenhaushalte, was verfassungsrechtlich schwierig werden dürfte? Da wegen der Coronakrise 2022 die Schuldenbremse erneut ausgesetzt werden darf, könnte das für neue Schulden in der Größenordnung von 100 Milliarden Euro oder mehr genutzt werden, um quasi Investitionen vorzufinanzieren.

Steuererhöhungen sind vorerst nicht geplant, auch nicht für Spitzenverdiener ab 100.000 Euro Einkommen (Singles), außerdem keine Vermögensteuer.

Damit kann ein zentrales Vorhaben von SPD und Grünen, die sich für mehr Umverteilung und Gerechtigkeit in der Gesellschaft eingesetzt haben, nicht umgesetzt werden.

Das könnte gerade für Scholz noch zum Problem werden, er wich bei einer Nachfrage, ob er hier nicht eine klare Niederlage erlitten und zu viel nachgegeben habe, aus. Die Juso-Bundesvorsitzende Jessica Rosenthal zeigte sich sehr enttäuscht: „Was wir nicht verstehen können, ist, wie die Investitionen am Ende bezahlt werden sollen und warum die Umverteilungsaspekte, die für uns wichtig sind, dort nicht vorkommen“, sagte die SPD-Politikerin dem Nachrichtensender Phoenix. Laut ZDF-Politbarometer sind 75 Prozent für eine etwas stärkere Belastung sehr hoher Einkommen.

Was aber noch wichtig werden könnte, ist der Wortlaut der Formulierung, sie klingt ganz nach dem Verhandlungsprofi Scholz: "Wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen."

Die Erbschaftssteuer wird hier nicht erwähnt, die wird von Experten auch als Hebel gesehen, um etwas mehr umzuverteilen, viel mehr als die ohnehin verfassungsmäßig komplizierte Vermögenssteuer.

Das Ganze ist aber so oder so erstmal ein großer Erfolg für FDP-Chef Lindner. Dafür kann er sich bei der Abschaffung des Soli auch für Spitzenverdiener nicht durchsetzen – hierzu wird aber ohnehin demnächst das Verfassungsgericht entscheiden.

Staatseinnahmen stärken

Stattdessen sollen - neben Mehreinnahmen durch mehr Wachstum - die Staatseinnahmen anderweitig gestärkt werden: „Den Kampf gegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Steuervermeidung werden wir intensivieren. Wir werden uns weiter aktiv für die Einführung der globalen Mindestbesteuerung einsetzen."

Die Mindeststeuer für global agierende Konzerne könnte Deutschland ab 2023 bis zu sechs Milliarden Euro im Jahr bringen. Zusätzliche Haushaltsspielräume sollen entstehen, indem überflüssige, unwirksame und umwelt- und klimaschädliche Subventionen und Ausgaben gekappt werden. Und wie in anderen Bereichen soll es auch hier einen Bürokratieabbau geben: „Wir wollen Steuerbürokratie spürbar verringern, beispielsweise durch höhere Schwellenwerte und volldigitalisierte Verfahren.“

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