Demokratie in Deutschland: Wer neu hier ist, vertraut der Politik am stärksten
Keine Krise der Demokratie – aber die Bürgerinnen und Bürger zweifeln an ihrer Funktionstüchtigkeit. Migranten übrigens weniger, fand eine Studie heraus.
Wenn es um das Vertrauen zur Politik geht, können sich alteingesessene Deutsche noch etwas von Migranten abschauen: Das von Menschen aus Einwanderungsfamilien ist nämlich klar größer. Eine am Mittwoch vorgestellte Datenauswertung der Forschungsteams beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) und des migrationswissenschaftlichen DeZim-Instituts stellt fest, dass sie zum Beispiel eher der Meinung sind, dass Politikerinnen und Politiker sich um ihre Anliegen kümmern.
Das bejahen 36 Prozent der Befragten mit Migrationshintergrund, aber nur 25 Prozent derer ohne. Etwa 45 Prozent von ihnen sind zudem der Meinung, dass sie sich um Kontakt mit der Bevölkerung bemühen, während davon nur 32 Prozent der Nichtmigranten überzeugt sind.
Am höchsten sind diese Werte in den Antworten von Menschen, die von außerhalb Europas gekommen sind. Und die Vertrauenswerte werden in allen migrantischen Gruppen geringer, je länger die Befragten in Deutschland lebten. Die Studie vermutet dahinter Ernüchterung durch die deutsche Realität.
Aber auch ein ganz normaler Assimilationsvorgang" könnte dahinterstecken, so Ko-Autorin Magdalena Nowicka vom DeZim: Die Neuen übernehmen mit der Zeit die Maßstäbe der Mehrheit. Die Folgen sind nach Meinung von Nowicka aber dramatischer als die politische Enttäuschung der Mehrheit. Wenn ein hohes Niveaus der Zustimmung und Partizipationsbereitschaft enttäuscht werde, dann laufe für die Integration "ein falscher Prozess".
Die Teams von DeZim und SVR werteten für die Studie unter dem Titel "Mit der Politik auf Du und Du?" Daten des Integrationsbarometers aus, die der SVR seit Jahren erhebt. Dort ging es 2018 erstmals auch darum, die Einschätzung der politischen „Selbstwirksamkeit“ der Bevölkerung abzufragen, also ihr Vertrauen darauf, Einfluss auf Politik zu haben. Befragt wurden bundesweit 9000 Personen mit und ohne Migrationsgeschichte.
Selbst gut informierte Frauen trauen sich politisch weniger zu
Abgesehen vom unterschiedlichen Vertrauen zu Politik und Politikern, das Jan Schneider vom SVR "auffällig" nannte, weist die Auswertung auf eine weitgehende Ähnlichkeit der Einstellungen beider Gruppen zur Demokratie allgemein und zum Parlamentarismus im besonderen hin. Die Mehrheit hält sich bei beiden für politisch informiert und urteilsfähig.
Bei den einen wie den andern antworten außerdem Frauen zurückhaltender auf die Frage, ob sie sich die aktive Teilnahme an Gesprächen über Politik zutrauten – selbst dann, wenn sie sich eigentlich als ordentlich informiert einschätzen. Migrantinnen allerdings sind noch deutlich vorsichtiger als Nichtmigrantinnen.
Bei Türkeistämmigen, Männern wie Frauen, erhielt die entsprechende Frage den höchsten Wert: 53 Prozent von ihnen verneinten. Das könnte mit dem vergleichsweise hohen Anteil niedrig Gebildeter unter den Migranten aus der Türkei liegen, vermutet die Studie. Berücksichtige man auch die Bildungsabschlüsse, "schwinden die Differenzen".
Trotz der Unterschiede zwischen Migranten und Nichtmigranten: Die Werte für das Gefühl, insgesamt nicht ausreichend ernstgenommen zu werden von denen, die sie wählen beziehungsweise die Politik für sie machen, ist in beiden Gruppen nach Einschätzung der Studie zu hoch: Wenn nur ein gutes Drittel beziehungsweise ein Viertel der Bevölkerung meine, dass die Gewählten sich um sie kümmerten, dann zeige dies: "Weite Teile der deutschen Bevölkerung sehen Politik anscheinend als abstrakten Prozess, der mit den Belangen der Einwohnerschaft insgesamt wenig zu tun hat", schreiben die Autorinnen. Das sei in einer Demokratie "besorgniserregend", schreiben sie, denn die lebe wesentlich vom Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger.
"Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft gestört"
Man könne zwar nicht von einer Demokratiekrise reden, die Demokratie werde nicht als System angezweifelt, aber man werfe den Regierenden vor, die Interessen einiger weniger zu vertreten. "Die Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft scheint gestört", schreibt das Forschungsteam. Ein weiteres Problem sehen sie auch in mangelnder Repräsentanz: 2016 hätten erstmals mehr als zehn Prozent der deutschen Bevölkerung keinen deutschen Pass und damit kein Recht zu wählen gehabt. Dies machten Fachleute in den letzten Jahren bereits in der Debatte zum Doppelpass zum Thema. Studien fanden zudem heraus, dass sich die für Migranten die deutsche Staatsangehörigkeit auch auf dem Arbeitsmarkt auszahlt und ihre Integration fördert.
Um die Kluft zwischen Regierten und Regierenden wieder zu verkleinern, empfehlen die Forscherinnen und Forscher Maßnahmen für Migranten wie Nichtmigranten: Die einen sollten möglichst schon in den Integrationskursen ganz praktisch mit deutscher Politik vertraut gemacht werden, etwa durch Zusammenarbeit mit Parteien und Abgeordneten in den Kommunen.
Daneben müssten Frauen stärker angesprochen und Politik auch benachteiligten Gruppen nahegebracht werden. Repräsentative Demokratie sei zwar "möglich, aber mangelhaft", wenn etwa Niedriggebildete von ihr ausgeschlossen seien, deren Bevölkerungsanteil "nach wie vor beträchtlich" sei.
Weitere Ansätze sieht das Forschungsteam auch in den Integrationskursen. Deren Lehrpläne enthielten schon jetzt die Empfehlung, zehn Prozent des Unterrichts in Lebenspraktisches zu investieren, in Exkursionen.
Die könnten nicht nur für den Museumsbesuch und Übungen im Supermarkt genutzt werden, sondern auch für Begegnungen mit der Kommunalpolitik der eigenen Gemeinde.
Mitautorin Nowicka empfahl dazu nicht nur die Stärkung von Ausländer- und Integrationsbeiräten. Dass sie bisher nur beratende Funktion haben, könne gerade engagierte Menschen enttäuschen, die ihre Vorschläge nicht umgesetzt sehen. Aber auch die Förderung von "informeller Partizipation" sei ein Weg. Auch wer keine deutsche Staatsbürgerschaft habe, könne sich etwa in der Flüchtlingshilfe engagieren.
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