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Die umkämpfte Stadt. Mit der neuen Straßenverkehrsordnung sollen Radler und Roller mehr Platz und Sicherheit bekommen.
© Soeren Stache/picture alliance/dpa

Linderung im Straßenkampf: Wer künftig in den Städten Vorfahrt hat

Fußgänger, Roller- und Radfahrer sollen künftig sicherer unterwegs sein und mehr Platz bekommen. Müssen die Autos weichen? Fragen und Antworten.

Kein Carsharing-Auto, kein Leihfahrrad, kein E-Tretroller. „Stattdessen Porsche, bevorzugt mit einer Person drin“, beschreibt der Mobilitätsforscher Ingo Kollosche den Blick aus dem Fenster seines Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung in Schlachtensee – Fahrzeuge eines neuen Mobilitätsanbieters kann er nicht entdecken.

So unterschiedlich kann die neue Verkehrswelt aussehen: In der Berliner Innenstadt liegen dagegen Räder und elektrische Tretroller achtlos auf dem Bürgersteig herum, einige werden sogar zu einem Turm gestapelt, fotografiert, kommentiert und getwittert. Durch den Tiergartentunnel zischen E-Tretroller, anderswo in der Stadt sind sie auf Fußwegen unterwegs – beides ist nicht erlaubt.

Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) steht mitten in diesem Spannungsfeld. Er will es sich auf keinen Fall mit den Autofahrern und -herstellern verscherzen – und betont andererseits neuerdings, er sei „auch Fahrradminister“. Mit seiner geplanten Novelle der Straßenverkehrsordnung will Scheuer den Verkehr „noch sicherer, klimafreundlicher und gerechter“ machen.

Es ist eine der größten politischen Herausforderungen der nächsten Jahre: Der Verkehr soll umweltverträglicher werden. In den vergangenen Jahren hat das nicht funktioniert, wenn man sich die CO2-Emissionen anschaut. Immer neue Anbieter drücken Fahrzeuge in die Innenstädte, weil sie sich dort eine Zukunft und gute Geschäfte versprechen. Und immer mehr Menschen wollen in den Städten wohnen und nach Möglichkeit auch arbeiten. Die Konkurrenz um Stadt- und Straßenraum nimmt zu.

Hier ein Überblick, was sich bald in den Städten ändern könnte und was sich ändern muss:

Warum die Politik handeln muss

Grundsätzlich geht es bei der städtischen Mobilität um eine Neuverteilung des öffentlichen Raums. Sowohl der Städtetag als auch Wissenschaftler wie Ingo Kollosche fordern mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer. Radschnellwege werden nicht erst 2038 gebraucht – soviel Zeit nimmt sich Berlin, um seine gesamten Projekte umzusetzen. Städte wie Kopenhagen haben schon vor Jahrzehnten damit begonnen und können jetzt auf ein großes Netz verweisen.

„Eine Trendwende braucht viel mehr“

Deutlich erhöhte Strafen für illegales Parken in zweiter Reihe oder auf Geh- und Radwegen, wie sie Scheuer plant, von künftig 100 Euro statt bisher 15 Euro können helfen, das Verhältnis von Autofahrern zu den anderen Verkehrsteilnehmern neu zu klären. In vielen anderen Ländern sind die Geldbußen für solche Vergehen, aber auch für Verstöße gegen Tempolimits und Alkohol am Steuer schon deutlich höher. Deshalb findet auch Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, die vorgesehenen höheren Bußgelder richtig, um den Verkehr für Fußgänger und Radfahrer sicherer zu machen.

„Eine Trendwende hin zu nachhaltiger Mobilität braucht allerdings viel mehr“, sagte er dem Tagesspiegel. Angesichts von rund elf Milliarden Fahrgästen pro Jahr in Deutschlands ÖPNV sei die Infrastruktur in den Kommunen dramatisch unterfinanziert: „Es müssen dringend Tunnel- und Gleisanlagen saniert, neue Busse und Bahnen beschafft und Haltestellen umgebaut werden.“ Weil immer mehr Menschen nicht mehr mit dem Auto unterwegs seien, müssten die Taktfolgen bei Bus und Bahn dichter werden. All das kostet aber. Weil die Kommunen das allein nicht stemmen können, fordert der Städtetag eine Investitionsoffensive von Bund und Ländern mit einem Volumen von 20 Milliarden Euro über zehn Jahre.

Mobilitätsexperten legen viel Wert auch auf die sogenannte „letzte Meile“ – also den Weg zwischen Haltestelle oder Bahnhof und Wohnung oder Arbeitsplatz. Dafür sind Infrastruktur und Regeln für Fußgänger, Radfahrer, Roller und Carsharing wichtig.

Was würde eine Maut bringen?

Der deutsche Städte- und Gemeindebund möchte die „chronische Unterfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur“ durch eine „intelligente Maut“ beheben. Deren Höhe soll abhängen vom Schadstoffausstoß des Pkw sowie Zeit und Ort der Nutzung: Wer zur Rush-Hour über die Stadtautobahn fährt, müsste mehr bezahlen als jemand, der die Straße nachts nutzt.

Dieser Preismechanismus hätte sicherlich eine Steuerungswirkung. Für eine solche Maut für alle und auf allen Straßen wäre es allerdings notwendig, alle Pkw mit Erfassungsgeräten auszurüsten, wie sie schon für die Lkw-Maut eingesetzt werden. Allein der Datenschutz wäre eine Herausforderung. Eine technisch und ökonomisch kleinere Lösung wäre die City-Maut für Innenstädte, wie sie Verkehrssenatorin Günther fordert.

Wie sinnvoll ist Scheuers geplante Reform?

Vergleicht man die vielen Reformen seit Einführung der Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung von 1934, sticht Scheuers geplante Reform, die noch in diesem Jahr in Kraft treten soll, tatsächlich heraus. Oft ging es nur um die Form von Verkehrsschildern oder die Einführung von Blinkern. Verwegen war die Novelle von 1953, als sämtliche Geschwindigkeitsbeschränkungen fielen – das wurde erst 1957 korrigiert, weil es mehr Autos und schwere Unfälle auf den Straßen gab.

Der enorm gestiegenen Zahl an Vier- und Zweirädern will jetzt auch der Verkehrsminister im Jahr 2019 Rechnung tragen. Er möchte Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung wieder mehr Geltung verschaffen: „Leitgedanke ist das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme.“

Fahrräder sollen mehr Freiheiten, mehr Platz und mehr Sicherheit bekommen. Da widersprechen weder Experten noch politische Gegner. Anders sieht es aus mit Scheuers Idee, Fahrgemeinschaften mit mindestens drei Mitfahrern im Auto auf Busspuren fahren zu lassen. Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) warnt, dass dadurch der öffentliche Personennahverkehr behindert werde. Oft sind die Spuren auch schon für Räder und Roller freigegeben. Eine Überprüfung der Fahrzeuge nach Zahl ihrer Insassen würde die Polizei wohl überfordern.

Auch der Präsident des Deutschen Taxi- und Mietwagenverbandes, Michael Müller, sieht das kritisch. Eine nachhaltige und ökologisch sinnvolle Mobilität könne nur durch ein verbessertes Angebot gelingen: „Wir brauchen durchlässige Busspuren, die Vorfahrt für den ÖPNV wirklich garantieren.“ Über Scheuers Idee, die Busspuren für andere Fahrzeuge freizugeben, sagte er, das sei gut gemeint, aber kontraproduktiv: „Sollen künftig vollbesetzte Busse hinter gedrosselten E-Rollern herfahren müssen?“

Auch das SPD-geführte Verkehrsministerium von Mecklenburg-Vorpommern warnt, eine pauschale Freigabe von Busspuren für mehr Verkehrsteilnehmer könne zu gefährlichen Situationen und Unfällen führen.

Wie verbindlich sind Scheuers Pläne?

Die Straßenverkehrsordnung regelt gewissermaßen das Zusammenleben von Autofahrern, Zweiradnutzern aller Art und Fußgängern. Scheuers Reform soll vieles ermöglichen, kann aber nicht alles vorschreiben. Umsetzen müssen die Verkehrswende die Bundesländer, Städte und Gemeinden. Er muss seine Novelle auch durch den Bundesrat bringen, braucht also die Zustimmung der Bundesländer.

Schon im Frühjahr hatte er sich dort eine Abfuhr geholt: Die Länder lehnten seinen Plan, E-Tretroller auf Bürgersteigen fahren zu lassen, einhellig ab. Sie einigten sich mit dem Verkehrsminister auf die Nutzung von Radwegen oder Straßen – woran sich nicht nur in Berlin viele nicht halten. Wahrscheinlich muss Scheuer auch bei seiner Novelle der Straßenverkehrsordnung nachbessern, um die Länder auf seine Seite zu bekommen.

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