Nach dem Putschversuch in der Türkei: Wer ist Fethullah Gülen?
Seit 1999 lebt der anatolische Prediger in den USA. Bis 2013 war er ein wichtiger Verbündeter des türkischen Präsidenten. Nun wirft Recep Tayyip Erdogan ihm vor, beim Putschversuch die Fäden gezogen zu haben. Gülen kontert mit der Vermutung, Erdogan habe den Coup selbst inszeniert.
Für die einen ist er ein Vertreter eines modernen und gemäßigten Islam, der den hohen Wert der Bildung betont und Schulen baut, für die anderen ein finsterer Strippenzieher, der Intrigen gegen die gewählte Regierung der Türkei und deren Präsidenten spinnt: Der 75-jährige Fethullah Gülen steht nach dem Putschversuch in der Türkei im Zentrum von schweren Vorwürfen. Präsident Recep Tayyip Erdogan beschuldigt ihn, den Umsturzversuch organisiert zu haben, und fordert von den USA die Auslieferung Gülens, der seit 1999 in Amerika lebt. Gülen weist die Anschuldigungen zurück.
In einem Gespräch mit mehreren internationalen Medien am Samstag sagte Gülen in seinem Wohnsitz in Saylorsburg im Bundesstaat Pennsylvania, möglicherweise habe Erdogan den Putsch selbst inszeniert, als Vorwand um den Druck auf die Gülen-Bewegung in der Türkei weiter erhöhen zu können.
Es ist nicht das erste Mal, dass Gülen mit den Mächtigen in der Türkei über Kreuz liegt. Der aus dem ostanatolischen Erzurum stammende Prediger wurde schon Mitte der 1960er Jahre zum ersten Mal festgenommen, auch nach dem Putsch von 1971 wurde er interniert. Als die Militärs neun Jahre später erneut die Macht an sich rissen, stellte sich Gülen auf die Seite der Generäle. In den 1990er Jahren war er auf dem Höhepunkt seines Einflusses: Die Gülen-Bewegung, die über mehrere hunderttausend Anhänger in zum Teil einflussreichen Positionen verfügt, galt als Republik-kompatible Alternative zum politischen Islam.
Gülen ist ein harter Gegner der Kurden
Gülens Lehren werden häufig als Ausdruck eines sanften Islam charakterisiert, der Muslime auffordert, sich in der modernen Welt zu etablieren und eine möglichst gute Ausbildung anzustreben. Allein in den USA betreibt die Gülen-Bewegung, zu der auch Wirtschaftsunternehmen und Medien gehören, rund hundert Schulen.
Kritiker weisen jedoch auf eine dunklere Seite des Gülen-Systems hin: Der anatolische Prediger ist ein überzeugter türkischer Nationalist, der zum Beispiel in der Kurdenfrage eine harte Linie befürwortet, den modernen westlichen Lebensstil ablehnt und eine „Verklärung des Osmanischen Reiches als türkisch-muslimische Großmacht“ betreibt, wie es der Türkei-Experte Günter Seufert von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik einmal ausgedrückt hat.
Ende der 1990er Jahre wurde Gülen den Militärs in Ankara jedoch suspekt und floh in die USA. Obwohl er in einem späteren Prozess wegen eines mutmaßlichen islamistischen Umsturzversuches freigesprochen wurde, ist er bis heute nicht in die Türkei zurückgekehrt. Lange Jahre unterstützten die Gülen-Anhänger, die in der Türkei in Justiz und Bürokratie aufstiegen und starke Seilschaften bildeten, Erdogan und dessen Regierungspartei AKP.
Der Bruch kam vor drei Jahren, als Gülen dem heutigen Präsidenten zu mächtig wurde. Erdogan warf Gülen die Bildung „paralleler Strukturen“ im Staatsapparat vor und begann mit der Entfernung von Gülenisten aus dem Staatsdienst. Gülen-Anhänger sprechen von einer undemokratischen Hexenjagd, besonders seit die türkischen Behörden damit begonnen haben, Unternehmen und Medien der Bewegung unter staatliche Zwangsverwaltung zu stellen.
Gülen selbst ging in seiner Pressebegegnung nach dem gescheiterten Putsch noch einen Schritt weiter und verglich die Erdogan-Anhänger in der Türkei mit „Hitlers SS“ in einem diktatorischen System: „Sie tolerieren keine Gruppe, die nicht von ihnen kontrolliert wird.“ Gleichzeitig lobte Gülen seine eigenen Anhänger in der Türkei, die trotz des staatlichen Drucks friedlich geblieben seien.