Ministerin für Integration: Wer ist Aygül Özkan?
Vor sechs Jahren ist sie in die CDU eingetreten - wegen des "C" im Namen der Partei. Nun wird sie Ministerin für Integration. Als erste Muslimin in Deutschland überhaupt.
Was ist Aygül Özkan für ein Typ?
Das Erste, was auffällt, ist die Kleidung – stets dunkel und korrekt, fast schon feierlich, nicht sehr einprägsam und auch nicht farbenfroh. Aygül Özkan will offenbar nicht durch ihr Äußeres auffallen, sondern durch ihre Äußerungen. Sie lächelt, behält ihr Gegenüber im Blick und antwortet knapp und freundlich. Keine langen, verschachtelten Sätze, kein Verwaltungsdeutsch.
Stefan Gilica, Özkans früherer Chef bei der Firma T-Mobile, sagte kürzlich in einem Interview, die künftige Ministerin sei immer schon „unglaublich zielstrebig, engagiert und wissensdurstig“ gewesen, sie habe auch nie Probleme gehabt, direkt mit den Chefs zu sprechen, wenn sie etwas klären wollte. Die Frau, die nach ihrer Wahl am kommenden Dienstag in der niedersächsischen Landesregierung neben Sozialem, Frauen, Familie und Gesundheit vor allem auch für Integration zuständig sein soll, hat ihre eigene Integration in die Gesellschaft sehr früh betrieben – mithilfe ihrer Eltern, die vor 45 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Der Vater ist Schneider in Hamburg, und drei Jahre nach ihrer Geburt 1971 kam Özkan in den Kindergarten, lernte die Sprache und die deutsche Kultur.
Wofür steht sie politisch?
Es reize sie, „Führungsverantwortung in einem dynamischen und multikulturellem Team“ zu haben, sagte Özkan. Zuletzt war sie in der Logistik-Branche bei TNT als Bereichsleiterin Vertrieb für die Region tätig – in der Welt der Wirtschaft, der Zahlen und kühl kalkulierten Entscheidungen fühlt sie sich wohl. Politisch geprägt wurde sie in der Wirtschaftspolitik, in Hamburg, der Stadt der Händler. Dort engagierte sie sich im Landesfachausschuss der CDU, war Gründungsmitglied und Chefin der Arbeitsgemeinschaften Türkischer Unternehmer und der selbstständiger Migranten. Auch im CDU-nahen Wirtschaftsrat war sie aktiv. Wenn Özkan in Hamburg mit politischen Inhalten identifiziert wurde, hatte dies meist mit der Interessensvertretung für Unternehmen zu tun. Zu Jahresbeginn flammte in der Hansestadt ein Streit über das „Hafenprivileg“ auf, über die Frage, ob der Naturschutz die Hafenentwicklung beeinträchtigen kann. Özkan ergriff dabei klar Partei für die Interessen der Wirtschaft.
Eine sozialpolitische Prägung, etwa durch eine Nähe zu Gewerkschaften oder zu Initiativen für sozial Schwache, fehlt der neuen Sozialministerin. Aber sie sieht sich selbst als „vermittelnden Typ“Sie versuche, unterschiedliche Positionen zusammenzuführen und in Streitfragen immer sachlich, nie emotional zu reagieren. Sie nennt sich selbst „einen sehr strukturierten Menschen“, will als Chefin viel delegieren und so lange nicht eingreifen, wie ein von ihr erteilter Arbeitsauftrag nicht abgeschlossen ist. „Danach allerdings kann ich sehr schnell Entscheidungen treffen“, betont sie. Auf die Frage, wie sie in Zeiten der Finanznot ihren Etat gegen den Finanzminister verteidigen will, antwortete sie keck: „Der Finanzminister entscheidet ja nicht allein über den Haushaltsplan.“
Wie muslimisch ist sie, und wie türkisch?
Özkan hat sich aus dem türkischen Kulturkreis nie ganz verabschiedet, ihr Mann ist türkischstämmiger Frauenarzt in Hamburg, sie selbst bekennt sich als Muslimin. Allerdings sei es das „C“ im Parteinamen gewesen, das sie in die CDU gelockt habe – wegen der Werte wie Familie und Zusammenhalt: „Da finde ich mich am besten wieder“, sagt sie. Zu Weihnachten werde auch bei ihnen Festbraten aufgetischt. Ein Kopftuch trägt sie nicht, das Kopftuchverbot für Lehrerinnen findet sie richtig – Positionen, mit denen sie bei manchen Türken aneckt. Wie mit der Aufforderung, diese müssten sich in Deutschland stärker integrieren. Aber sie teilt auch in die andere Richtung aus: Sie ist für ein Verbot von Kruzifixen an deutschen Schulen – was ihr prompt die Frage aus der CSU eintrug, ob sie in einer christlichen Partei an der richtigen Stelle sei. Auch die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wünscht sie sich „ergebnisoffen“. Und das, obwohl ihre Parteifreundin im Kanzleramt, Angela Merkel, eine der härtesten Gegnerinnen eines EU-Beitritts der Türkei ist.
Was hat Christian Wulff von ihrer Berufung?
Der niedersächsische Ministerpräsident nimmt sich ein Beispiel an seinem Kollegen in Nordrhein-Westfalen. Nachdem Jürgen Rüttgers dort Armin Laschet zum Minister für Integration berief, wurde dieser bundesweit bekannt. Die Integration von Zuwanderern und deren Nachkommen ist in Deutschland noch ein Reizthema – vor allem in der CDU, in der es in vielen ländlichen Gebieten noch große Vorbehalte gegenüber Fremden gibt. Mit der Berufung der ersten Frau mit türkischer Abstammung und türkischem Namen zur Ministerin in Deutschland setzt sich Wulff nun an die Spitze einer Modernisierungsbewegung in der Partei. Monatelang schien er abgetaucht und weckte schon Mutmaßungen, er habe die Lust an der Politik verloren. Nun meldet er sich mit einem Paukenschlag zurück, gibt der CDU bundesweit den Anstrich einer modernen Volkspartei und lenkt das Medieninteresse auf die neue Ministerin. Dass er gleichzeitig daheim vor drastischen Kürzungen steht, auch in dem künftig von Özkan verantworteten Sozialetat, wird womöglich nicht weiter auffallen.
Wulff will sich mit dieser Berufung als Vertreter der Liberalen und Fortschrittlichen in der Partei profilieren. Auch seinem Kronprinzen in Hannover, CDU- Fraktionschef David McAllister, kommt der neue Ministername entgegen. McAllister wirbt seit Jahren, auch gegenüber der Bundeskanzlerin, für eine stärkere Verankerung der Migranten in der CDU. Dass türkische Zeitungen angesichts der Berufung von einer „Revolution in Deutschland“ schreiben, lenkt die Aufmerksamkeit zusätzlich auf Wulff und seine moderne Personalpolitik.
Warum ist Aygül Özkan die erste?
Deutschland ist spätestens seit dem ersten Anwerbevertrag mit Italien 1955 ein Einwanderungsland und wollte es doch erklärtermaßen bis vor kurzem nie sein. Auch die inzwischen dritte Generation hier aufgewachsener Migranten hat es kaum nach oben geschafft, an die Spitze der Gesellschaft schon gar nicht. Die Elitenforschung weiß seit geraumer Zeit, woran das liegt: Oben, wo die Luft dünn ist, sind Leistung und Intelligenz eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung, um akzeptiert zu werden. Die Eintrittskarten bekommen häufig die, die mitbekamen, was den Kindern von Schneidern, Bauern, Dorfschmieden nicht in die Wiege gelegt ist und was die sich nur selten erarbeiten können: Parkettsicherheit und das damit verbundene selbstverständliche Auftreten. Aufgenommen wird, wer ähnlich ist. Da sind Migranten besonders wenig – übrigens wie Frauen, die auch erst langsam in Spitzenpositionen aufrücken.
Was bedeutet Özkans Berufung für Deutschlands Migranten?
Sie könnte ein Stück nachholender symbolischer Integration werden. Menschen mit Migrationshintergrund machen inzwischen ein knappes Fünftel der deutschen Wohnbevölkerung aus, in Städten wie Frankfurt am Main und Stuttgart sogar etwa 40 Prozent. Tendenz steigend. Sind sie in Schlüsselpositionen von Wirtschaft, Kultur und Politik nicht vertreten, wird es, demokratisch bedenklich, auch für die Vertretung ihrer Interessen schwierig. Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, erhofft sich deshalb durch die Berufung der Quereinsteigerin Özkan eine kleine Revolution von oben: „Wenn Türkischstämmige Spitzenpositionen in der Politik erreichen, kann das auch ihr Bild in der Bevölkerung positiv verändern.“ Kolat setzt auf die positive Wirkung des Kulturschocks „Die Türken regieren uns sogar!“ Die Präsenz von Migranten könnte 55 Jahre nach dem ersten Anwerbevertrag selbstverständlich werden: „Wir kämen weg vom ,Die‘ und ,Ihr‘ und endlich zum ,Wir‘.“ Dass das Volk vielfach noch so weit nicht ist, sieht man auch an der CDU: Der rührige Chef des Deutsch-Türkischen Forums der NRW-CDU, Bülent Arslan, scheiterte gleich mehrfach mit Parlamentskandidaturen.
Was bedeutet es, dass Özkan Muslimin ist?
Kopftücher, Ehrenmorde, Zwangsehen – das sind die Bilder, die spätestens seit dem 11. September 2001 in Europa die Sicht auf den Islam prägen. Eine bekennende Muslimin, die zwar politisch konservativ ist, aber das Haar offen trägt, Juristin und Managerin ist, und die sich, glaubt man ihren Aussagen, so wenig um angebliche Sittenvorschriften des Islam schert wie die meisten Katholikinnen um die Sexualmoral des Vatikans: Das wäre ein neues Bild – und könnte die alten Stereotype etwas älter aussehen lassen. Die Realität der Mehrheit der etwa vier Millionen Muslime in Deutschland bilden sie ohnehin nicht ab.
ZUR PERSON
GEBOREN
Aygül Özkan wurde am 27. August 1971 in Hamburg geboren.
AUSBILDUNG
Nach dem Jurastudium in Hamburg hat sie bei der Handelskammer der Hansestadt und beim Europäischen Parlament gearbeitet; es folgten ein Trainingsprogramm bei der Telekom, ein Mentoring-Programm für Nachwuchsmanagerinnen und 2004 die Verantwortung für den Geschäftskundenvertrieb von T-Mobile in Norddeutschland. Zwei Jahre später wechselte sie in die Logistik-Branche zu TNT, zuletzt war sie dort Bereichsleiterin Vertrieb für die Region. Am 27. April soll sie zur neuen Ministerin für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration in Niedersachsen gewählt werden.
FAMILIE
Sie ist mit einem türkischstämmigen Frauenarzt verheiratet. Die beiden haben einen siebenjährigen Sohn.
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