Olaf Scholz: "Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch"
Olaf Scholz (SPD) will Erster Bürgermeister in Hamburg werden. Mit dem Tagesspiegel spricht er über das Wesen des Hanseaten und seinen Kurs in Hamburg als Vorbild für die Bundespartei.
Herr Scholz, sind Sie ein typischer Hanseat?
Ich bin hier aufgewachsen, meine Eltern stammen von hier, meine Großeltern auch. Was Sie hanseatisch nennen – das typische Hamburger Lebensgefühl – habe ich verinnerlicht.
Was macht den Hanseaten aus?
Hamburger sind ruhig und pragmatisch. Und wir hegen eine gewisse Abneigung gegenüber Übertreibungen.
Und wer diese Tugenden vermissen lässt, der wird mit Missachtung nicht unter fünf Jahren bestraft?
Wer sich unangemessen verhält, wer übertreibt und sprunghaft ist, wer seine Arbeit nicht ordentlich macht, der wird nicht unterstützt. Das mögen die Hamburger gar nicht.
Sprechen Sie gerade von Ihrem Konkurrenten, dem amtierenden Ersten Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU)?
Ich rede nicht abfällig über den derzeitigen Bürgermeister. Richtig ist, dass die Hamburger den Pragmatismus in der täglichen Arbeit des bisherigen Senats sehr vermissen.
Kann man sagen: Olaf Scholz verdankt seine momentane Popularität vor allem den Schwächen der anderen?
Die Stadt wird nun mal nicht gut regiert. Nehmen wir den Hamburger Hafen, der wegen einer wirtschaftsfeindlichen Ideologie völlig vernachlässigt wurde. Oder den Wohnungsbau, wo in den vergangenen zehn Jahren nur halb so viele Wohnungen gebaut werden, wie in den zehn Jahren davor. Heute fehlen zehntausende Wohnungen. Oder nehmen Sie die Kita-Gebühren, die hier erhöht worden sind und ohnehin zu den höchsten überhaupt gehören. Und das, obwohl fast jeder Politiker in Talkshows sagt, wie wichtig gute und kostenlose Kita-Betreuung sei. Gegen all das wollen wir eine neue, bessere Politik stellen.
Anders als Ahlhaus ziehen Sie nicht über die Marktplätze, die Bürger müssen zu Ihnen kommen, in Ihre Veranstaltungen. Ist das noch ein Zeichen von Optimismus oder schon von Arroganz?
Entscheidend ist für mich, ob wirklich ein Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern entsteht. Ich lade in alle 17 Wahlkreise zum Gespräch, und es kommen viele; sehr viele sogar. Dort kann ich mit den Bürgerinnen und Bürgern ernsthaft über ihre Anliegen sprechen. Ich mache einen modernen Wahlkampf. Mir geht es um Glaubwürdigkeit. Die Bürger wissen, wann sie ernst genommen werden und wann nicht.
Mancher in der SPD spricht bereits von der absoluten Mehrheit. Darf man das als hanseatischer Sozialdemokrat – träumen?
Ich hab es nicht so mit den Träumen. Es ist sehr selten in Deutschland, dass eine Partei ein Ergebnis erzielt, mit dem sie allein regieren kann. Wir wollen so stark wie möglich werden.
Aber völlig unmöglich ist eine absolute Mehrheit nicht …
Da reden jetzt viele drüber. Uns kümmert die Debatte nicht, wir spekulieren nicht. Wir sind Realisten.
Die hohe Zustimmung zur SPD rührt auch daher, dass Sie einen betont wirtschaftsfreundlichen Kurs fahren. Muss die SPD, ob in Hamburg oder anderswo, auch attraktiv für CDU- und FDP-Wähler sein, wenn sie Erfolg haben will?
Es ist die Tradition der Hamburger SPD dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft der Stadt gut läuft. In Hamburg ist es der SPD auf diese Weise immer wieder gelungen, weit mehr als klassische SPD-Wähler an sich zu binden. Für das Hamburger Bürgertum gehören wirtschaftlicher Erfolg und sozialer Zusammenhalt zusammen. Das ist das Verdienst der Hamburger Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Ich sehe keinen Grund, warum dieses Modell nicht auf den Bund übertragbar sein sollte. Das geht, wenn wir neben einer guten Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik auch die Belange der Wirtschaft in den Blick nehmen und selbstbewusst vertreten. Pragmatische Wirtschaftspolitik und Mindestlöhne können Bestandteile eines in sich geschlossenen sozialdemokratischen Konzeptes sein.
Nach dem Machtverlust 2001 hat die Hamburger SPD vor allem durch Querelen von sich reden gemacht: Landesvorsitzende traten zurück, es gab Flügelstreit, bei einer wichtigen Abstimmung verschwanden Stimmzettel. Wie können die Hamburger sicher sein, dass die Gräben nach der Wahl nicht wieder aufreißen?
Allen in meiner Partei war klar: Wenn man bei mir Führung bestellt, bekommt man sie auch. Als ich im September 2009 Landesvorsitzender wurde, haben wir sofort die Vergangenheit aufgearbeitet und schnell nach vorn geblickt. Wir sind versöhnt in den Wahlkampf gezogen, um wieder die Hamburg-Partei zu sein.
Was heißt das?
Das heißt, dass wir auch in der Regierung eine pragmatische Politik entwickeln, die nicht nur für die klassischen SPD-Anhänger attraktiv ist. Das soll unter meiner Führung gelingen.
Welchen finanziellen Spielraum hätten Sie als Erster Bürgermeister, um nicht nur die Wirtschaft zu fördern, sondern auch das Leben der „kleinen Leute“ zu verbessern?
Der Spielraum ist generell klein. Das liegt an der Schuldenpolitik hier in Hamburg, aber auch daran, dass wir uns alle in Bund und Ländern vernünftigerweise verpflichtet haben, die Schulden zu begrenzen.
Was haben die „kleinen Leute“ denn nun davon, wenn sie SPD wählen?
Zunächst das Versprechen, dass auch sie wieder ordentlich regiert werden. Wir schaffen zudem Verbesserungen, die nicht immer Geld kosten müssen. Etwa beim Wohnungsbau, wo man eben auch Bauflächen für bezahlbare Wohnungen bereitstellen muss. Wenn wir Geld ausgeben werden, wie beispielsweise für die Rücknahme der Kita-Gebühren, dann sagen wir auch genau, woher wir es hernehmen wollen.
Also, woher?
Zum Beispiel durch den Umbau innerhalb der Verwaltung und den Abbau von hohen Beamtenstellen, die der Stadt nicht helfen. Wir müssen generell aufhören, die Probleme ständig in die Zukunft zu vertagen. Politik braucht Selbstdisziplin, um mit der Schuldenmacherei endlich aufzuhören. Ein Senat unter meiner Führung wird sich streng an die Regel halten, dass unsere Betriebsausgaben um höchstens ein Prozent im Jahr steigen.
Ein berühmter Hamburger und späterer Bundeskanzler hat einmal gesagt, wer Visionen hat, soll zu zum Arzt gehen. Steht Olaf Scholz in der Tradition von Helmut Schmidt?
Helmut Schmidt ist ein großer Mann, dessen Realismus und intellektuelle Schärfe ich bewundere.
Wenn Sie in Hamburg gewinnen, rücken Sie in den Kreis der möglichen SPD-Kanzlerkandidaten auf…
Ich habe niemals an andere Aufgaben gedacht, wenn ich ein bestimmtes Amt übernommen habe. Wenn ich Hamburgs Erster Bürgermeister werde, dann will ich auch wiedergewählt werden.
Muss man als Hanseat eigentlich ein bisschen langweilig sein, Herr Scholz?
Nein. Aber verlässlich.
Manche sagen: Olaf Scholz weckt keine größeren Gefühle, auch keine negativen, weil sein eigenes Gefühlsleben keine größeren Ausschläge kennt.
Solche Zuschreibungen kommentiere ich nicht gern.
Weil das Gefühlsleben des Hanseaten keinen etwas angeht?
Wir legen unsere Gefühle und Emotionen nicht gern auf den Präsentierteller. Das ist bei mir nicht anders. Viele Bürgerinnen und Bürger wünschen sich, dass ich Bürgermeister werde. Und das sagen sie mir auch. Es muss also Vertrauen da sein, sonst würde es diesen Wunsch in dieser Häufigkeit nicht geben.
Wird Ihre Ehefrau Britta Ernst, Fachpolitikerin für Schule und Bildung, dem Senat angehören?
Sehen Sie, ich habe kein Schattenkabinett aufgestellt, und deshalb sage ich nicht, wer etwas wird und wer nicht. Aber seien Sie gewiss, dass ich den ordre public beachten werde. Klar ist: Der Senat wird hälftig aus Frauen und Männern bestehen.
Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Armin Lehmann. Das Foto machte Dirk Bleicker (Caro).
SEINE HERKUNFT
Geboren wird Olaf Scholz am 14. Juni 1958 in Osnabrück, er wächst in Hamburg auf, macht in Rahlstedt Abitur und wird auch in der Hansestadt Rechtsanwalt.
SEINE LAUFBAHN
Scholz tritt 1975 in die SPD ein und gehört lange Zeit zum linken Flügel. Er liefert sich als Jungsozialist in Wandsbek harte Kämpfe mit dem späteren Bürgermeister Voscherau. Später wird er Landeschef in Hamburg, Innensenator und wechselt in die Bundespolitik, wo er als Generalsekretär zum „Scholzomaten“ mutiert, wie man ihn wegen seiner monotonen Satzwiederholungen nannte. In der großen Koalition wird er Bundesminister für Arbeit und Soziales.
SEINE ZIELE
Seit 2009 ist er wieder SPD-Landeschef in Hamburg. Er will mindestens zwei Wahlperioden Bürgermeister sein, sagt er. Und dann? Wird er von ganz allein für alle wichtigen Aufgaben in der Bundespartei gehandelt.
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