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Der Sozialdemokrat Pittella, der Liberale Verhofstadt und der Konservative Tajani (v.l.n.r.) wollen EU-Parlamentschef werden.
© AFP

Nächster Präsident des Europaparlaments: Wer folgt auf Martin Schulz?

Bei der Wahl eines Nachfolgers für EU-Parlamentschef Martin Schulz ist alles offen. Am Ende könnten Populisten und EU-Gegner den Ausschlag geben.

Am kommenden Dienstag wird in Straßburg der Nachfolger des scheidenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz (SPD) gewählt. Die Wahl steht turnusgemäß in der Mitte der Legislaturperiode des EU-Parlaments an. Schulz, der lange Zeit seine politischen Zukunftspläne offen ließ, hatte im November seinen Wechsel in die Bundespolitik bekannt gegeben. Mit dieser Entscheidung werden nun die Karten im Europaparlament neu gemischt: Anders als sonst üblich gibt es vor der Wahl des Schulz-Nachfolgers diesmal keine – zumindest öffentlich bekannt gewordenen – Absprachen zwischen den Fraktionen zur Unterstützung einzelner Kandidaten.

Wer hat ernst zu nehmende Chancen auf die Nachfolge von Schulz?

Es sind drei Männer, die die Wahl des EU-Parlamentschefs unter sich ausmachen dürften. Die besten Chancen unter ihnen hat der Italiener Antonio Tajani. Der Vertraute des ehemaligen italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi ist der Kandidat der größten Fraktion, der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP). Auf die Unterstützung der zweitgrößten Fraktion, der Sozialdemokraten, kann wiederum Gianni Pittella bauen – ebenfalls ein Italiener. Geringere Chancen hat dagegen der ehemalige belgische Regierungschef Guy Verhofstadt, der als Kandidat der Liberalen antritt, der viertstärksten Fraktion.

Die Entscheidung über den neuen Parlamentspräsidenten wird bei der Wahl voraussichtlich erstmals im vierten Wahlgang fallen. Der Grund: Während in den ersten drei Wahlgängen eine absolute Mehrheit der 751 Abgeordneten nötig ist, reicht im vierten Wahlgang die einfache Mehrheit. Dann treten nur die beiden Bestplatzierten gegeneinander an. Beobachter tippen darauf, dass dies Tajani und Pittella sein werden.

Damit dem Belgier Verhofstadt das Kunststück gelingt, in einen möglichen vierten Wahlgang einzuziehen, müsste der Liberale zwei Dinge fertigbringen: Er müsste nicht nur Abgeordnete der Grünen und Linken auf seine Seite ziehen, sondern auch abtrünnige Sozialdemokraten.

Um seine Chancen zu erhöhen, hatte Verhofstadt vergangene Woche ein Manöver unternommen, das gründlich schief ging. Der Belgier erwog eine Aufnahme der italienischen Abgeordneten der Euro-feindlichen Fünf-Sterne-Bewegung in der eigenen Fraktion. Damit stieß er aber bei seinen liberalen Fraktionskollegen auf Widerstand und ließ das Vorhaben wieder fallen.

Wer tritt bei der Wahl sonst noch an?

Nicht nur Konservative, Sozialdemokraten und Liberale haben Kandidaten aufgestellt, sondern sämtliche übrigen fünf Fraktionen im EU-Parlament. Als drittstärkste Fraktion schicken die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) die flämische Belgierin Helga Stevens ins Rennen. Sie hat kaum Chancen – nicht zuletzt wegen der Anti-EU-Positionen, die gelegentlich von der EKR vertreten werden. In der EKR gilt die polnische Regierungspartei PiS als treibende Kraft.

Ähnlich chancenlos dürften auch die übrigen Kandidaten sein. Die Grünen haben die Britin Jean Lambert aufgestellt, während die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne (GUE/NGL) mit der Italienerin Eleonora Forenza antritt. Aus Italien kommt auch Piernicola Pedicini, der Kandidat der Fraktion Europa der Freiheit und der direkten Demokratie (EFDD). Die EFDD ist ein reines Zweckbündnis zwischen den EU-Feinden des britischen Brexit-Vorkämpfers Nigel Farage und der anti-europäischen Fünf-Sterne-Bewegung. Die kleinste Fraktion, Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) um die rechtsextreme französische Front-National-Chefin Marine Le Pen, hat schließlich den Rumänen Laurentiu Rebega als Kandidaten aufgestellt.

Könnten Populisten und Anti-Europäer bei der Wahl den Ausschlag geben?

Das ist durchaus möglich. Da die Wahl geheim ist, wird sich am Ende nicht mehr eindeutig nachvollziehen lassen, wer dem siegreichen Kandidaten als Steigbügelhalter gedient hat. Vor allem die Sozialdemokraten erheben den Vorwurf, dass es der konservative Italiener Tajani darauf ankommen lasse, sich in einer möglicherweise entscheidenden Stichwahl mithilfe von EU-kritischen Abgeordneten aus den Reihen der polnischen PiS, der britischen Konservativen und Ukip-Partei sowie des Front National auf den Schild heben zu lassen. Umgekehrt kritisieren die Konservativen, dass der Sozialdemokrat Pittella auf die Stimmen europafeindlicher Linksextremer schiele.

Ist die informelle große Koalition in Straßburg am Ende?

Dass die beiden größten Fraktionen anders als sonst üblich bei der Wahl des Parlamentschefs gegeneinander antreten, wertet der Sozialdemokrat Pittella als einen Beleg dafür, dass die informelle große Koalition mit den Konservativen beendet ist. Allerdings spricht die Arithmetik dagegen: Zur Verabschiedung von EU-Gesetzen ist die absolute Mehrheit von 376 der 751 Stimmen nötig. Und die bringen in erster Linie Konservative und Sozialdemokraten gemeinsam auf die Waage.

Wird sich das Verhältnis zwischen EU-Parlament und Kommission ändern?

Möglicherweise wird das Parlament dem EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode genauer auf die Finger schauen als bisher. So lassen sich zumindest die entsprechenden Ankündigungen von Pittella und anderer Aspiranten auf den Chefposten in Straßburg deuten. Pittella sagte dem Tagesspiegel, dass sich EU-Kommissionschef Juncker zwar wohltuend von seinem Vorgänger José Manuel Barroso dadurch unterscheide, dass er zahlreiche Maßnahmen zum Wachstum und zur Investitionsförderung in der Europäischen Union angestoßen habe. „Ich will eine konstruktive Arbeitsbeziehung mit dieser Kommission“, sagte Pittella weiter. Dennoch werde das Parlament die Kommission unter anderem zu „weiteren Schritten gegen Steuervermeidung und Steuerflucht“ sowie bei der Förderung von Wachstum und Investitionen auffordern.

Es gibt allerdings ein Indiz, welches dagegen spricht, dass das EU-Parlament künftig die offene Konfrontation mit der Kommission sucht: Bei der Anhörung des früheren Digitalkommissars Günther Oettinger, der sich vergangene Woche in seiner neuen Rolle als Haushaltskommissar den Fragen der Abgeordneten stellte, zeigten sich die Parlamentarier auffallend zahm. Dabei hatten Oettingers Bemerkungen über Chinesen, die er als „Schlitzaugen“ bezeichnete, und die engen Beziehungen des Kommissars zum ehemaligen Daimler-Manager und russischen Honorarkonsul Klaus Mangold Kritik ausgelöst.

Die Zurückhaltung der Abgeordneten bei der Anhörung Oettingers hängt aber möglicherweise auch damit zusammen, dass das Parlament nicht nur den deutschen Kommissar, sondern auch dessen 27 Kollegen im Paket hätte ablehnen müssen. Ein derartiges Veto hätte zu einer tief greifenden institutionellen Krise in Brüssel geführt. Und Baustellen hat die EU derzeit schon genug, vom Aufstieg der Populisten über den Brexit bis zur Infragestellung des kontrollfreien Schengen-Raums. Eine hausgemachte Krise kann sich die Gemeinschaft da nicht noch zusätzlich leisten.

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