Essener Tafel: Wenn Probleme an die Gesellschaft delegiert werden
Der Staat darf sich nicht weiter aus der sozialen Infrastruktur zurückziehen. Es entsteht der Eindruck, dass aus dem "Wir schaffen das" ein "Ihr schafft das schon" geworden ist. Ein Kommentar.
Die Diskussion hat den Ort erst halb verlassen. Halb klemmt sie noch fest in der Tür der Tafel in Essen. Es geht noch immer darum, ob die Tafel deutsche Hilfsbedürftige denen anderer Herkunft vorziehen durfte. Eine ideologisch aufgeladene Scheindebatte ist so entstanden, in der es vor Diffamierungen wimmelt und die dadurch Bestandteil des Problems bleibt, anstatt zur Lösung beizutragen.
Wer sich anstellt bei der Tafel, macht öffentlich auf der Straße deutlich: Ich bin bedürftig, ich brauche Unterstützung. Wenn zu diesem Schritt noch die Angst kommt, ob man sich in der Schlange heute wird durchsetzen können, ist das ein äußerst demütigender Zustand. Es gab auch schon vor 2015 Tafeln und Warteschlangen und nicht beseitigte Bedürftigkeit etwa von älteren Menschen oder Alleinerziehenden. Aber nun ist ein Verteilungskampf hinzugekommen, der nicht einfach durch eine Erhöhung von Lebensmittelspenden gelöst werden kann und schon gar nicht durch Benimmregeln in der Warteschlange.
Es geht um die Grundversorgung
Anstatt die Entscheidung der Essener Tafel wortreich zu bewerten, müssen die Verantwortlichen in der Politik genau diese eigene Verantwortung anerkennen. Und einem fatalen Eindruck entgegenwirken: Dass sie die Lösung dieses sozialen Problems an die Gesellschaft delegieren. Dass in der sozialen Infrastruktur der Staat weiter auf dem Rückzug ist. Dass aus dem „Wir schaffen das“ heimlich ein „Ihr schafft das schon“ geworden ist.
An diesem Fall entzündet sich auch deshalb so viel, weil es ums Essen geht, um die Grundversorgung. Und weil auf der einen Seite der Gesellschaft Luxusdebatten über Inhaltsstoffe und Zubereitungsarten geführt werden, während andere nehmen müssen, was sie kriegen. Weil die wirtschaftlichen Rahmendaten des Landes so golden glänzen, die nächste Regierung Milliarden verteilen kann und noch genießbare Lebensmittel zum Beispiel von Supermärkten tonnenweise weggeworfen werden. Im günstigen Fall landen diese Lebensmittel noch bei den Tafeln.
Die politischen Antworten auf diesen Fall lassen also auf sich warten. Sie könnten darin liegen, sich der Bedürftigen neu anzunehmen. Zu ermitteln, was ihnen wirklich helfen würde und wie sich das erreichen lässt. Ob und wie die Hartz- IV-Sätze neu zu berechnen sind, besonders wenn sie das Essen betreffen. Zumal gerade die von vielen als zu niedrig kritisiert werden. Was gegen steigende Mieten getan werden kann. Und auch einzugestehen, dass die Tafeln ein Symptom sind. Auf Tafeln sollten Menschen in diesem Land nicht angewiesen sein.
Wer Menschen aufnimmt, übernimmt Verantwortung
Aber auch auf solche Verteilungskämpfe wie in Essen sollte politisch reagiert werden. Wer Menschen aus anderen Ländern aufnimmt, übernimmt für sie auch Verantwortung. Das Bedürfnis geflüchteter Menschen, selbst zu kochen, notfalls eben mit Lebensmitteln der Tafeln, ist alles andere als dekadent.
Die nächsten Konfliktfälle werden kommen. Gerade teilte die pfälzische Stadt Pirmasens mit, den Zuzug von anerkannten Flüchtlingen ohne Arbeits- oder Ausbildungsplatz zu stoppen. Aufgrund der geringen Mieten seien mehr gekommen als eigentlich vorgesehen. Auch hier könnte es wieder Diffamierungen in alle Richtungen geben.
Das einzig Gute am Fall der Essener Tafel wäre, wenn davon ein Signal ausginge: Dass es so nicht weitergeht.
Friedhard Teuffel
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