Politik: Wenn Philipp Mißfelder Rentner ist POSITIONEN: DER KONFLIKT ZWISCHEN DEN GENERATIONEN
Die Bevölkerungsentwicklung ist dramatisch, aber dagegen hilft nur Zuwanderung, nicht Generationsegoismus
Man kann Leuten wie Philipp Mißfelder und Katherina Reiche keine Vorwürfe machen, dass sie ein wichtiges Problem, die Bevölkerungsentwicklung – immer mehr Alte, immer weniger Junge –, thematisieren. Eigentlich müssten sie es dramatisieren. Wenn nichts geschieht, werden die Bevölkerung in Deutschland bis zum Jahre 2050 auf 58 Millionen und die Zahl der Erwerbstätigen auf 26 Millionen schrumpfen. Das Verhältnis Erwerbstätige/ Rentner wird sich auf 2:1 dramatisch verschlechtern, der Konsum um 25 Prozent zurückgehen, Häuser und Grundstücke verlieren substanziell an Wert. Deutschland wird zum Auswanderungsland werden, weil kein vernünftiger junger Mensch in einer solchen Gesellschaft leben möchte.
Diese gewaltige Problematik kann aber weder durch Vorschläge wie die Verweigerung von künstlichen Hüftgelenken ab 85 noch durch eine forcierte Geburten- und Bevölkerungspolitik, die heute schon mathematisch zum Scheitern verurteilt ist, gelöst werden. Sondern – und dazu fehlt der Jungen Union und ihrem Vorsitzenden offenbar der Mut es auszusprechen – nur durch eine gezielte Einwanderungspolitik. Sie muss spätestens ab 2015 zu einer Zuwanderung von netto 300 000 führen, wenn sich für die Zeit, in der Philipp Mißfelder rentenberechtigt ist, das oben genannte Verhältnis wenigstens auf 3:1 verbessern soll. Zur Lösung der konkreten Probleme der Krankenversicherung hilft nur eines: weg von der Lohnbindung, hin zum Schweizer Modell der Bürgerversicherung.
Philipp Mißfelder und andere sind leider die mentalen Opfer einer zwar inzwischen verunsicherten, aber immer noch herrschenden Ideologie, nämlich des neoliberalen Marktfundamentalismus, der alle Probleme nur noch unter Kostengesichtspunkten diskutiert. Es ist eine Ideologie, die die solidarischen Strukturen unserer Gesellschaft zerstört und die Sozialbindungen monetarisiert. Die Gesellschaft soll sich auflösen in Individuen, die alle für sich selber zu sorgen haben; und wer nicht mitkommt, bleibt liegen.
Aber selbst Philipp Mißfelder hat sich nach seiner Geburt nicht selber gefüttert, und die Schulen, die er besuchte, und die Universitäten, an denen er studiert hat, sind exakt von den Leuten finanziert und gebaut worden, denen Philipp Mißfelder das künstliche Hüftgelenk verweigern will. Natürlich müssen auch die Alten einen solidarischen Beitrag leisten. Aber er übersieht, dass die höchsten Kosten nicht auf Grund des Alters, sondern in der relativ kurzen Zeit vor dem Tod entstehen. Dies gilt auch für junge Leute. Die Überlegungen von Philipp Mißfelder gehen ja offensichtlich davon aus, dass 85-Jährige ohnehin nicht mehr lange zu leben haben. Aber was geschieht mit dem 28-jährigen unheilbar Krebskranken oder Querschnittsgelähmten, dem die Ärzte noch zwei Jahre geben und der ebenfalls einen Schenkelhalsbruch erleidet? Soll auch er zu einem Krüppeldasein verurteilt werden, bis er endlich das Zeitliche segnet?
Philipp Mißfelder und andere lassen es an Konsequenz fehlen. Vor anderthalb Monaten haben drei Professoren auch unter Kostengesichtspunkten vorgeschlagen, Über-75-Jährigen keine lebenserhaltenden Medikamente mehr zu geben. Man könnte die Diskriminierungsgrenzen auch noch weiter nach unten legen, damit es noch billiger wird. Am besten ab 70 weder Bypassoperationen noch Dialyseapparate. Der amerikanische Film Soylent Green, der sich mit der Bevölkerungsentwicklung beschäftigt, weist einen noch radikaleren Weg. Über-65-Jährige werden in Wellness-Centern – staatlich gefördert – zusammengefasst und dort mit Hilfe psychedelischer Musik eingeschläfert. Das wäre für die heutige Generation unter Kostengesichtspunkten sicher der beste Vorschlag: Beiträge müssten sie nicht mehr bezahlen, weil sie ja wissen, dass sie ab 65 im Wellness-Center landen. Früher gab die Junge Union schon mal echte Reformanstöße. Wie wäre es denn, wenn sie der eigenen Partei einmal Dampf machte und sich an die Spitze echter Reformen, zum Beispiel einer Bürgerversicherung und einer gesteuerten Zuwanderungspolitik setzte?
Der Autor war Familienminister und Generalsekretär der CDU. Foto: Ullstein / Teutopress
Heiner Geissler
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