Münchner Sicherheitskonferenz: Wenn Flüchtlinge reden, hört kaum einer zu
Wenn Angela Merkel redet oder Ursula von der Leyen, dann ist der Saal voll auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Wenn Flüchtlinge aus Syrien reden, müssen Helfer herbeigeschafft werden, damit überhaupt ein Publikum da ist.
Die Münchner Sicherheitskonferenz soll menschlicher werden, will die ganze Breite der Bedrohungen aufgreifen, predigt ihr Chef Wolfgang Ischinger gern. Als es dort aber um die Folgen der internationalen Politik für die Menschen geht, sind die meisten Teilnehmer nicht mehr im Saal, der so brechend voll ist, wenn die Kanzlerin oder die Verteidigungsministerin sprechen. Eilig wurden in der Nacht zum Samstag ein paar Helfer und junge Leute herangeschafft, um die leeren Reihen wenigstens etwas aufzufüllen. Wie schon im vergangenen Jahr hatte die Konferenzregie die menschliche Katastrophe in die Nacht verbannt: das Drama der Flüchtlinge.
In einem bewegenden Video berichteten Bootsflüchtlinge, was sie auf der Flucht erlebt haben. So wie der junge Syrer, der seine Frau verlor und sie weder bei Facebook noch bei Twitter wieder finden konnte. „Sie ist noch immer offline.“
Doch die Schicksale der Flüchtlinge wie die Probleme der sie aufnehmenden Länder interessieren anderswo kaum mehr jemanden, Todesfälle im Libanon „werden zu Nichtereignissen“, wie der libanesische Premier Tammam Salam beklagte. In seinem Land ist jeder zweite Bürger inzwischen ein Flüchtling. Es gebe immer mehr Kriminalität, Elend, Armut – das sei eine tickende Zeitbombe. „Die Zeit läuft uns davon.“ Er rief die Europäer auf, sich nicht vor den Funken des Feuers zu schützen, „sondern die Brandherde in unseren Häusern zu löschen“. Er zeigte sich schockiert über die Unfähigkeit der Weltmächte. Alle hätten damals auf den Arabischen Frühling geschaut, als man in Syrien etwas hätte erreichen können, und seien erst mit der Brutalität des IS aufgewacht. Er hoffe, dass Merkel und Hollande in der Ukrainemission erfolgreich seien und es dann ernstere Anstrengungen für Syrien gebe. Als Angela Merkel am Samstag Vormittag die Anstrengungen der Nachbarländer lobt, die „über ihre Grenzen“ gingen und Hilfe bräuchten, klatscht der dann wieder volle Saal wieder pflichtschuldigst.
"Dass die Masse der Flüchtlinge nach Europa dränge, ist ein Märchen"
Bevor das nächtliche Podium diskutierte, durfte der Generalsekretär von Amnesty International, Sall Shetty, die Dimension darstellen: 3,8 Millionen Flüchtlinge aus Syrien seien allein in den vier Nachbarländern aufgenommen worden. 27 Länder in Europa hätten zusammen gerade mal 9000 Flüchtlinge aufgenommen. „Öffnen Sie die Augen, öffnen Sie die Herzen, öffnen Sie die Grenzen“, rief Shetty und versprach mehr Informationen auf Twitter unter #OpenToSyria.
Dass die Masse der Flüchtlinge nach Europa dränge, sei ein Märchen, unterstrich auch UN-Flüchtlingskommissar Paolo Guterres, 86 Prozent blieben in Entwicklungsländern.
Er beklagte, dass die Länder, die ohne Migranten gar nicht überleben könnten, sich am stärksten dagegen wehrten und führte seine 91-jährige Mutter in Portugal als Beispiel an. Sie werde nicht etwa von einem Portugiesen gepflegt, sondern immer von einem Migranten. Derzeit hätten die Institutionen gar nicht mehr die Mittel, den Flüchtlingen zu helfen, mahnte er. Die Zahlen der Flüchtlinge stiegen derweil rasant. 2011 seien täglich 14000 Menschen geflohen, ein Jahr später 23000 und 2013 bereits 32000. „Wir haben keine unipolare, wir haben keine multipolare, wir haben eine chaotische Welt“, rief er erregt und forderte mehr legale Migration. Um den helfenden Ländern im Nahen Osten zu helfen, müssten diese höchste Priorität bei der Entwicklungsarbeit bekommen. „Das ist absolut essentiell.“ Zu helfen sei im Eigeninteresse der Staaten. Er gab sich überzeugt. „Wenn es einen politischen Willen gibt, könnte die Syrienkrise gelöst werden.“
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller von der CSU – der unerwarteten Beistand von der Grünen Claudia Roth bekam – kämpfte tapfer mit seiner Stimme, bis sie ganz versagte. Vorher wies er auf ein neues EU-Hilfsprogramm von einer Milliarde für die nächsten zwei Jahre hin und versprach weitere Schritte. Er beklagte das Missverhältnis von 1700 Milliarden Militärausgaben zu 130 Milliarden Entwicklungshilfe, das sich ändern müsse. Mit seinen buchstäblich letzten Tönen forderte er „eine Weißhelmtruppe ziviler Einsatzhelfer. „Es kann nicht sein, dass wir weltweit monatelang nicht einsatzbereit sind“
Europa soll mit gutem Beispiel vorangehen
Italiens Paolo Gentilani rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, mit Hilfe schon auf erste Anzeichen in Staaten zu reagieren, die abrutschten und bei gescheiterten Staaten, wo sich die erste Gelegenheit zum Wechsel biete „müssen wir sofort hinrennen und helfen“. Der Westbalkan sei ein Beispiel, dass das funktionieren könne. Außerdem müsse Schleppern das Handwerk gelegt werden. Es dürfe nicht sein wie in Libyen, wo solche kriminellen Organisationen zehn Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaften, „der zweitgrößte Faktor nach dem Öl“.
Australiens Ex-Premier Kevin Rudd forderte vom Saal aus eine „globale Lastenverteilung auf Proportionsbasis“. Japan nehme niemand auf, kritisierte er. Dafür erntete er Widerspruch von Guterres. Es könne und müsse ohne Quoten gehen. Und Europa solle da mit gutem Beispiel vorangehen. Das derzeitige „Asyl à la Carte“ sei keine Lösung.
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