Corona-Virus in China: Wenn eine 11-Millionen-Metropole zur Geisterstadt wird
Das Corona-Virus hat Wuhan ins internationale Rampenlicht gerückt. Quelle des Erregers scheinen auf dem lokalen Tiermarkt verkaufte Schlangen zu sein.
Zhou Xianwang, der Bürgermeister von Wuhan, steht zunehmend unter Druck. Am Dienstag wurde er während eines Interviews mit dem staatlichen Fernsehsender CCTV regelrecht gegrillt: Ob die Stadt zu langsam auf die Ausbreitung des Virus reagiert habe. Ob er wusste, dass das Krankenhauspersonal infiziert worden sei und warum dennoch einige öffentliche Veranstaltungen zum Neujahrsfest stattfinden durften?
Am Samstag noch veranstaltete die Stadt Potluck-Bankette, um auf die bevorstehenden Feiertage einzustimmen. Mehr als 40.000 Familien nahmen laut Medienschätzungen daran teil. Nachrichten und Fotos der Veranstaltung erschienen am Sonntag auf der Titelseite der staatlichen Zeitung in Wuhan, wurden jedoch am Dienstag zensiert und gelöscht, als Kritik am mangelnden Krisenmanagement laut wurde.
In China wurde die grassierende Krankheit erst vor ungefähr einer Woche zum Thema. Seitdem ist die chinesischen Öffentlichkeit sensibilisiert. Als dann immer mehr Epidemiologen eine Quarantäne als einzige Möglichkeit, die Ausbreitung des Virus einzudämmen, forderten, reagierte Peking und beschloss, Wuhan zu sperren.
Gegenwärtig gleicht die 11-Millionen-Metropole in Zentralchina einer Geisterstadt. Seit Donnerstag 10 Uhr Ortszeit ist der städtische Bus-, U-Bahn-, Fähr- und Personenfernverkehr eingestellt. Ohne „besonderen Grund“ dürfen Bürger die Stadt nicht verlassen und der Flughafen und der Bahnhof sind vorübergehend geschlossen.
„Wo waren die ganzen Experten vorher?“
Zum Neujahrfest teilen Millionen Chinesen in den sozialen Medien normalerweise Bilder von Urlauben, Cafés oder Festessen. Dieses Jahr sind es vor allem Meldungen über das Corona-Virus. Schutzmasken werden angeboten, Ratschläge, wie man sich derzeit am besten verhalten sollte, werden geteilt. Und es wird auch offen Kritik geübt: „Warum ist spät besser als nie?“ oder: „Wo waren die ganzen Experten vorher?“ fragt eine 55-jährige Pekingerin, die ihrer Sorge Luft macht. Sie postet in ihren „Moments“ auf WeChat auch eine Statistik: Diese zeigt, wohin in den drei Wochen, seit die Krankheit in Wuhan ausgebrochen war, die meisten Flüge gingen. Peking führt die Liste als Risikoeinschätzung.
Die drei Hauptkrankenhäuser in Wuhan sind offensichtlich hoffnungslos überfordert und können keine neuen Patienten mehr aufnehmen. Sie haben gerade einmal 800 Betten zur Verfügung – in einer Stadt von elf Millionen Einwohnern. Chen Zhenxin, stellvertretender Bürgermeister von Wuhan, erklärte auf einer Pressekonferenz, es sei geplant, 3.400 Betten in sieben weiteren Krankenhäusern zu räumen, um die Fieberpatienten zu behandeln.
Bekämpfung des Ausbruchs habe „kritisches Stadium“ erreicht
Die derzeitigen Berichte von Privatpersonen aus Wuhan zeichnen ein anderes Bild. Die Schlangen vor den Krankenhäusern sind lang, auch wenn nicht klar ist, ob überhaupt noch Patienten aufgenommen werden. Li Bin, Direktor der höchsten staatlichen Gesundheitsbehörde, meldete am Mittwoch, dass die Vorbeugung und Bekämpfung des Ausbruchs ein „kritisches Stadium“ erreicht habe und dass das Risiko bestehe, dass das Virus während des Neujahrsfestes mutieren und sich weiter ausbreiten könnte.
Wo das Virus ursprünglich herkam aber gilt als relativ klar. Seit einigen Tagen kursiert ein Foto aus Wuhan in den sozialen Medien, das auf den ersten Blick wie eine Werbung für den örtlichen Zoo aussieht, weil so viele Tierarten darauf zu finden sind: Adler, Stachelschwein, Fuchs, Schlange, Wolfswelpe und Larvenroller. Letzterer gehört zu den Schleichkatzen, jener Tiergruppe, die als Ursprung des Sars-Virus 2002/03 gilt. Die Zahlen auf dem Foto verdeutlichen, dass es sich um eine Preisliste für exotische Tiere handelt, die auf dem „Frischemarkt“ der chinesischen Stadt Wuhan verkauft worden sind. Zum Verzehr. Inzwischen ist der Markt geschlossen worden, weil dort das neuartige Corona-Virus seinen Ursprung hat. Es ist, wie chinesische Forscher herausgefunden haben, wohl von einer Schlange auf den Menschen übertragen worden. Ein US-Forscher sieht beim Erreger auch Ähnlichkeiten zu Viren, die bei Fledermäusen vorkommen. Auch diese werden in China gegessen. Offenbar zahlen nun die Chinesen in diesen Tagen einen hohen Preis für die kulinarischen Vorlieben einiger Landsleute.
Ein großes Problem bei der Eindämmung der Viruskrise ist auch Wuhans geografische Lage. Die Stadt ist Drehscheibe für mehrere wichtige Hochgeschwindigkeits-Zugstrecken, die sie mit den wichtigsten Städten Chinas verbinden. Peking ist mit dem Zug in vier Stunden zu erreichen, Hongkong in viereinhalb Stunden und Shanghai in zirka sechs Stunden. Rund 700.000 Menschen nutzen diese Züge normalerweise während der Hochsaison zur Zeit der Neujahrsferien, die diese Woche beginnen.
Zu wenig aber ist noch bekannt, wie weit die Krankheit sich inzwischen ausgebreitet hat. Deswegen fordert das Nachrichtenportal „Sanlian Life Weekly“ seine Leser und „Medienkollegen“ dazu auf, zu berichten, was um sie herum passiert. Man will das Thema nicht nur den Spezialisten und der Regierung überlassen.
Ning Wang