Zwangsbehandlung in der Psychiatrie: Wenn die Einwilligung fehlt
Die Bundesregierung will die Zwangsbehandlung von psychisch Kranken im Betreuungsrecht gesetzlich regeln. Warum ist das nötig – und wie soll das Gesetz aussehen?
Es ist ein schwer wiegender Eingriff in das Grundrecht auf Selbstbestimmung – einen Menschen ohne seine Zustimmung zu einer Behandlung in einer Psychiatrie zu zwingen. Etwa 120 000 Menschen werden pro Jahr in Deutschland gegen ihren Willen in psychiatrische Kliniken eingewiesen. In der Regel stehen sie unter rechtlicher Betreuung. Schätzungen zufolge wird bei jedem Zehnten eine Zwangsbehandlung angeordnet, am häufigsten eine Therapie mit Psychopharmaka. Betroffen sind vor allem Personen mit schweren psychischen Erkrankungen, Demenzkranke, geistig Behinderte, aber auch nach Hirnschädigungen oder Schlaganfällen in ihrer Einwilligungsfähigkeit zeitweise oder dauerhaft eingeschränkte Menschen.
Mit dem nun vorgelegten Gesetzentwurf von Union und FDP sollen Zwangsbehandlungen im Betreuungsrecht juristisch abgesichert werden. In der Vergangenheit ging die Rechtsprechung davon aus, dass eine solche Zwangsbehandlung durch den Paragrafen 1906 des Bürgerlichen Gesetzbuches gedeckt sei. Dort ist festgelegt, dass eine Unterbringung, also eine Freiheitsentziehung, nur zulässig ist, wenn zum einen wegen einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Gefahr besteht, dass der Betroffene sich selbst tötet oder sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Zum anderen ist die Zulässigkeit daran gebunden, dass ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, zu dessen Zustimmung der Betroffene wegen seiner psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung nicht in der Lage ist.
Im Juni dieses Jahres entschied der Bundesgerichtshof allerdings, dass es für die betreuungsrechtliche Behandlung gegen den Willen eines Patienten keine ausreichende, verfassungsgemäße gesetzliche Grundlage gebe. Weil die Rechtsunsicherheit in der Praxis dazu führen könnte, dass ein Betroffener ohne eine solche Behandlung schwere gesundheitliche Schäden davonträgt, sah sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition genötigt, rasch zu reagieren. Sie legte einen Gesetzentwurf vor, der dem Betreuer des Betroffenen ermöglichen soll, diesen auch gegen seinen Willen behandeln zu lassen.
Der Gesetzentwurf fordert nun, dass die ärztliche Zwangsmaßnahme genau definiert wird. Die engen Voraussetzungen für die Einwilligung des Betreuers werden klar geregelt. Die Zwangsbehandlung selbst kann nur im Rahmen der Unterbringung des Betroffenen nach Maßgabe des Paragrafen 1906 erfolgen. Wie die Unterbringung selbst muss auch die ärztliche Zwangsmaßnahme gerichtlich genehmigt werden.
Die gesetzliche Regelung sollte ursprünglich im Eilverfahren durch den Bundestag gebracht werden. Wegen der schwer wiegenden Abwägung zwischen Grundrechten und ethischen Normen – dem Persönlichkeitsrecht einerseits und unterlassener Hilfeleistung durch Ärzte andererseits – wollte die Opposition sich mit diesem Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht zufrieden geben und erzwang eine Expertenanhörung. Am Montag fanden sich dazu Mediziner, Juristen und Vertreter von Verbänden im Bundestag zusammen. Fast alle begrüßten in ihren Stellungnahmen, dass die Bundesregierung auf diesem diffizilen Feld Rechtssicherheit schaffen will – und hatten doch Anmerkungen zu Details. Mit großer Übereinstimmung sprachen sich die Experten dafür aus, vor einer ärztlichen Zwangsbehandlung alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die Einwilligung des Betroffenen doch noch zu erreichen. Das erfordert nicht selten Zeit – und kostet damit in aller Regel auch mehr Geld. Mehrfach vertreten wurde auch die Meinung, die richterliche Genehmigung dürfe nicht ohne ein Zweitgutachten erteilt werden. Das müsse von einem Facharzt für Psychiatrie kommen, der nicht in der gleichen Einrichtung tätig sei, in der der Patient untergebracht ist. Der Bundesverband Psychiatrie-Erfahrener lehnt Zwangsbehandlungen grundsätzlich ab. Sie führten bei den Betroffenen zu neuen traumatischen Erfahrungen. Die gegenwärtige Situation müsse genutzt werden, um Zwang und Gewalt gänzlich zu vermeiden.
(mit epd)