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Ein Kondolenzbuch für Helmut Kohl im Dom zu Speyer
© AFP/Daniel Roland

Zum Tode von Helmut Kohl: Wem gehört Helmut Kohl?

Helmut Kohl verstand Amt und Person als Einheit. Heißt das deshalb umgekehrt, dass er dem Staat gehört? Warum es gut ist, dass er in Straßburg geehrt wird. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Anna Sauerbrey

Die Totenehrung Helmut Kohls findet in Straßburg statt, beerdigt wird er in Speyer. So steht es nun fest, im Einvernehmen mit Kohls Witwe Maike Kohl-Richter und trotz einer Intervention seines Sohnes Walter Kohl, der einen Staatsakt in Deutschland wünscht.

Die Debatte um das Wie und Wo der Totenehrung bringt die Familienkonflikte und Feindschaften Kohls noch einmal in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Doch es geht auch um das Bild Deutschlands. Ist es ein deutsches Deutschland, das seine Großen am Brandenburger Tor ehrt? Oder ist es ein europäisches Deutschland, das am Sitz des Europäischen Parlaments trauert? Die Frage ist also nicht nur, ob die Söhne oder die Witwe ein größeres Recht an Kohl haben. Sondern auch, welches Recht Deutschland an Kohl hat, ja, wie sich Kohl zu Deutschland verhält.

Helmut Kohl verstand Herrschaft und Person als Einheit - eine vormoderne Vorstellung

Wer ein Amt annimmt, verliert individuelle Rechte. Über ihn darf mehr und auch mehr Privates öffentlich gemacht werden. Er löst sich ein Stück weit in der Funktion auf. Bei Kohl war die Einheit von Amt und Person besonders stark – aufgrund seines eigenen Amtsverständnisses und aufgrund seiner Bedeutung für das Land.

In der Spendenaffäre, in Kohls Freund-Feind-Denken, in seinem Loyalitätsfetisch zeigt sich eine archaisch-patriarchale Vorstellung von Herrschaft. Helmut Kohl war die CDU – er hatte nicht das Gefühl, ihren Gremien Rechenschaft zu schulden. Auch der Staat existierte nicht völlig getrennt von ihm. Demnächst dürfte es zum Konflikt zwischen der Witwe und dem Bundesarchiv kommen, das die Herausgabe von Kohls Korrespondenz fordert. Hat Deutschland ein Recht darauf, um der Vollständigkeit der nationalen Identität willen? Wie sehr ist der Verstorbene Mensch mit individuellen Rechten, wie durchdrungen vom Kanzler?

Im Nicht-Unterscheiden zwischen Nation und Repräsentant hallt das Herrscherbild des Mittelalters nach. Der Historiker Ernst Kantorowicz hat es 1957 in dem Klassiker „Die zwei Körper des Königs“ beschrieben: Neben dem menschlichen, sterblichen Körper des Königs stellte man sich einen unsterblichen, politischen Königskörper vor. Dieser war Substanz gewordene göttliche Macht und verkörperte das Reich – auch über den Tod des Königs hinaus. Angelehnt an die (katholisch-) christliche Vorstellung, dass in der Eucharistie der Mensch Christus und der göttliche Christus anwesend sind, wurde der Körper des Königs mystisch aufgeladen. Er war nicht nur ein Symbol für das Reich. Er war das Reich. Auch in Kohl verschmolzen die zwei Körper – er gehörte und gehört sich nicht völlig selbst. Sein Körper, groß und massig, wie er war, wurde immer wieder auch als Verkörperung beschrieben – seiner Herrschaft.

Selbst ein Kanzler gehört sich selbst. Sein letzter Wille muss respektiert werden

Als moderner Mensch, aufgewachsen in dem nicht minder religiösen Glauben an das Selbstbestimmungsrecht des Individuums, spürt man ein Schaudern dabei, den Verstorbenen völlig zu funktionalisieren. Zuletzt war er ein alter Mann im Rollstuhl, mit leicht wirrem und hilflosem Blick, kein Gottkönig, sondern ein Mensch in all seiner Verletzlichkeit.

Deshalb ist es gut, dass mit der Ehrung in Straßburg nun den Wünschen von Maike Kohl-Richter entsprochen wird. Kohl ist die Beziehung eingegangen, bevor es irgendeinen Zweifel an seiner geistigen Verfassung gab. So scheint es am ehesten seinem Willen zu entsprechen. Den zu respektieren, ist moderner, als Kohl es je war.

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