Die Tücken der Kurzarbeit: Welche Risiken eine Ausweitung auf 24 Monate bergen kann
Die Kurzarbeit rettet in der Rezession Millionen Arbeitsplätze. Aber ein Dauereinsatz des Instruments kann auch unerwünschte Nebenwirkungen haben.
Als Finanzminister Olaf Scholz vor einer Woche eine Verlängerung des Kurzarbeitergelds auf bis zu 24 Monate forderte, wird er vermutlich auch an seine Erfahrungen aus der Finanzkrise 2008/2009 gedacht haben. Damals war der SPD-Politiker Arbeitsminister – und die von ihm betriebene Ausweitung der Kurzarbeit rettete in Deutschland mehrere hunderttausend Jobs.
Auch in der Corona-Krise wird die Kurzarbeit massiv genutzt, sogar weitaus häufiger als während der letzten Finanzkrise oder der Ölpreiskrisen der 70er Jahre: Das Ifo-Institut schätzt die Zahl der Kurzarbeiter im Juli auf etwa 5,6 Millionen Menschen.
Finanzminister Scholz ist sich mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einig, dass dieses Instrument Unternehmen auch weiter bei der Krisenbewältigung helfen soll. Doch es birgt auch Risiken, wenn Kurzarbeit zum Dauereinsatz kommt und der Zugang für Betriebe stark erleichtert wird.
Risiko 1: Die Ausweitung kommt zum falschen Zeitpunkt.
Grundsätzlich beurteilen viele Arbeitsmarktforscher Kurzarbeit positiv. Die letzten Monate waren aus Sicht des Ökonomen Christian Merkl von der Uni Erlangen-Nürnberg ein „Paradebeispiel“ dafür, dass Kurzarbeit Jobs retten kann. „Die Nachfrage blieb durch den Lockdown von einem auf den anderen Tag weg, Deutschland ist in die schwerste Rezession der Nachkriegsgeschichte gerutscht“, sagt er. Im Rückblick werde man vermutlich zum Ergebnis kommen, dass mindestens eine Million Arbeitsplätze durch Kurzarbeit gerettet wurden.
Die Frage sei aber, ob die „zusätzliche Komponente“, also etwa die Erleichterungen bei den Sozialversicherungsbeiträgen oder die Verlängerung der Bezugsdauer, tatsächlich Arbeitsplätze rette, sagt der Volkswirt. „Wenn Kurzarbeit zum falschen Zeitpunkt ausgeweitet wird, ist das kontraproduktiv. Sie entfaltet ihre beste Wirkung in einer tiefen Rezession“, sagt er. Wenn die Konjunktur sich hingegen schon wieder erhole, könne es zu „massiven Mitnahmeeffekten“ kommen. Das bedeutet: Das Instrument wird dann von Unternehmen genutzt, die ohne Kurzarbeit keine Arbeitsplätze abgebaut hätten.
Er hält es deshalb für zu früh, schon jetzt über eine Verlängerung des Kurzarbeitergelds auf 24 Monate zu entschieden „Wir wissen noch nicht, wie sich das zweite Halbjahr ökonomisch entwickelt“, sagt er. Wenn es zu einem zweiten Lockdown komme, könne das sinnvoll sein. „Es reicht aber, darüber frühestens Ende des Jahres zu entscheiden“, sagt er.
Ähnlich sieht es Sebastian Link vom Ifo-Institut, der die weitere Entwicklung der Krise und der Kurzarbeiterzahlen abwarten würde. In den auf der Konjunkturumfrage basierenden Schätzungen könne man sehen, dass die Kurzarbeit in vielen Wirtschaftsbereichen bereits stark zurückgefahren werde – etwa in den meisten Dienstleistungsbereichen und im Handel.
Auch Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) rät davon ab, das Instrument „auf immer und ewig“ zu verlängern. Es sei sinnvoller, „auf Sicht zu fahren“. Statt das Kurzarbeitergeld noch einmal um zwölf Monate zu verlängern, würde er erst einmal sechs Monate empfehlen.
Risiko 2: Unternehmen kehren zu spät zum Normalbetrieb zurück
Eine deutlich erleichterte Kurzarbeit kann aus Sicht von Ökonomen unerwünschte Anreizwirkungen entfalten. Sie könne dazu führen, dass die wirtschaftliche Dynamik gebremst werde, sagt DIW-Forscher Michelsen. „Für manche Unternehmen ist es attraktiver, ihre Mitarbeiter zu Hause zu lassen, als wieder die Produktion hochzufahren“, sagt er und warnt: Wir müssen aufpassen, dass nicht Freizeit subventioniert wird.“
Risiko 3: Strukturwandel wird verzögert.
Die durch die Corona-Pandemie hervorgerufene Wirtschaftskrise unterscheidet sich von der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009. Damals waren es vor allem Industriebetriebe, die ihre - vergleichsweise gut bezahlten - Mitarbeiter in Kurzarbeit schickten. Viele von ihnen waren überzeugt, dass sie diese auch nach der Krise benötigen würden.
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Das Kalkül dahinter war: Wer Mitarbeiter nicht entlässt, muss keinen Aufwand betreiben, neues Personal zu rekrutieren und dieses einzuarbeiten, wenn es wieder bergauf geht. Auch für die Volkswirtschaft lohnte sich die Rechnung: Im Jahr 2009 ging das Bruttoinlandsprodukt um mehr als fünf Prozent zurück, während Beschäftigung und Arbeitslosigkeit fast unverändert blieben. Gleichzeitig arbeiteten zwischenzeitlich bis zu 1,5 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit.
In der aktuellen Krise sind nicht nur andere Branchen von Kurzarbeit betroffen, von der Gastronomie bis zum Dienstleistungsbereich. Teile der Wirtschaft sahen sich auch schon vor der Krise mit der Frage konfrontiert, wie sie Digitalisierung oder den ökologischen Wandel stemmen.
Ifo-Forscher Link hat beobachtet, dass in vielen Industriebereichen – wie zum Beispiel bei Automobilzulieferern und im Maschinenbau – die Kurzarbeit in den vergangenen Monaten nicht rückläufig ist, sondern eher zu stagnieren scheint. In diesen Bereichen spielten neben der akuten, coronabedingten Nachfrageschwäche auch strukturelle Probleme eine bedeutende Rolle, sagt er.
Der Ökonom Merkl warnt davor, Kurzarbeit als „Schutzprogramm gegen Strukturwandel“ einzusetzen. Im verarbeitenden Gewerbe seien die Anzeichen eines solchen Wandels deutlich sichtbar, etwa durch den Umstieg der Autoindustrie vom fossilen Verbrenner zur Elektromobilität. „Es besteht die Gefahr, dass Arbeitskräfte in diesen Fällen durch Kurzarbeit an unproduktive Unternehmen gebunden werden und produktive Firmen unter Umständen nicht im gewünschten Umfang wachsen können“, sagt er.
Hinzu kommt: Auch die Krise selbst verändert Geschäftsmodelle. „Beispielsweise in der Luftfahrtindustrie, im stationären Einzelhandel oder in Teilen der Veranstaltungswirtschaft werden wir wahrscheinlich keine Rückkehr in die Zeit vor Corona erleben“, sagt DIW-Forscher Michelsen. Kurzarbeit und Liquiditätshilfen könnten dazu führen, dass Unternehmen in diesen Sektoren am Leben gehalten würden, die sonst womöglich keinen Bestand hätten.
Auch Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) warnt davor, notwendige Entwicklungsprozesse zu verschleppen. Längere Kurzarbeit solle deshalb für die Weiterbildung der Beschäftigten genutzt werden. Qualifizierung wiederum könne beitragen, die „erheblichen Kosten“ des Kurzarbeitergeldes langfristig auszugleichen - etwa durch höhere Produktivität und Löhne, die zu mehr Steuereinnahmen führen.
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