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Im Kernteam. Andrea Nahles (SPD) und Volker Kauder (CDU) zählen zur sogenannten Sechsergruppe.
© Jörg Carstensen, dpa

Vor den Sondierungen: Welche Differenzen Union und SPD überwinden müssen

Nach nur einer Woche soll das Sondierungsergebnis von CDU,CSU und SPD stehen. Das soll ein straffer Arbeitsplan und ein Interview-Verbot möglich machen.

In fünf Tagen sollen sie schaffen, was die Jamaika-Unterhändler in vier Wochen nicht zustande gebracht haben. Von diesem Sonntag an machen sich die Delegationen von CDU, CSU und SPD auf die Suche nach Gemeinsamkeiten und Kompromissen, dem Fundament für eine stabiles Regierungsbündnis also. Vom Geschick der drei Dutzend Unterhändler, vor allem aber von der Führungskraft der angeschlagenen Parteichefs Angela Merkel, Horst Seehofer und Martin Schulz in den Sondierungsgesprächen hängt es ab, ob den Deutschen Neuwahlen erspart bleiben.

Ein straffer Arbeitsplan und ein Talkshow- und Interviewverbot für alle Beteiligten sollen verhindern, dass die Sondierungen aus dem Ruder laufen. Die möglichen Großkoalitionäre von morgen haben sich Stringenz und Disziplin verordnet – eine Lehre aus den Jamaika-Verhandlungen. Deren Zwischenstände wurden über Wochen hinweg öffentlich breitgetreten, was die Kompromissfindung schwierig machte und dem Ansehen der Sondierer schadete.

Größtmögliche Kontrolle

Überhaupt bemühen sich die Spitzen der drei Parteien um größtmögliche Kontrolle. Am Ende eines jeden Sondierungstages will die sogenannte Sechsergruppe zusammenkommen, um Ergebnisse zu bewerten und wenn nötig Konflikte auszuräumen. Neben den Parteichefs gehören auch die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU), Andrea Nahles (SPD) und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt dazu. Das Plenum aller 39 Verhandler (13 aus jeder Partei) und die insgesamt 14 Facharbeitsgruppen sollen im Wechsel beraten. Mit diesem Vorgehen hoffen die Parteispitzen, Streitigkeiten zu begrenzen. Und umstritten ist vieles zwischen CDU, CSU und SPD.

Da ist etwa die Flüchtlingspolitik. Die Union beharrt darauf, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus weiterhin auszusetzen, die SPD will das nicht mittragen. Wenige Tage vor dem Beginn der Sondierungen hat die CSU mit Forderungen nach drastischen Einschränkungen der Leistungen für Asylbewerber die Latte noch einmal höher gelegt. In der Arbeitsgruppe Integration und Migration werden harte Auseinandersetzungen erwartet, zumal die SPD wohl ihren Vize-Vorsitzenden Ralf Stegner zum Verhandlungsführer macht. Der Vertreter der Parteilinken in der SPD gilt nicht gerade als Weichei.

Auf dem Feld der Gesundheitspolitik sperrt sich die Union gegen ein Lieblingsprojekt der SPD: die Bürgerversicherung, mit der die Sozialdemokraten der „Zwei-Klassen-Medizin“ ein Ende setzen wollen. Die Union will die privaten Kassen unbedingt erhalten, weil nur so Wettbewerb im Gesundheitswesen gesichert sei. Keine Bürgerversicherung, dafür aber die hälftige Beteiligung der Arbeitgeber an den Krankenversicherungsbeiträgen – so könnte ein Kompromiss aussehen. Einig sind sich die drei Parteien auch darüber, dass viel Geld nötig ist, um gravierende Missstände im Pflegebereich zu beheben. Investieren wollen sie auch in eine bessere Arztversorgung auf dem Land.

Streit um Finanzen und Steuern

Flüchtlings- und Gesundheitspolitik sind nur zwei von vielen Streitthemen. Dazu kommen etwa Differenzen in der Steuerpolitik. Hier will die SPD die Reichen stärker zur Kasse bitten, die Union lehnt dies ab. Beide Lager wollen aber Bezieher mittlerer und unterer Einkommen entlasten. Die Sozialdemokraten schicken voraussichtlich Olaf Scholz in die Arbeitsgruppe Finanzen und Steuern. Der Parteivize und Hamburger Bürgermeister hat zuletzt als Verhandlungsführer der SPD bei der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzen bewiesen, dass er komplexe Probleme lösen und auseinanderstrebende Interessen zusammenführen kann. In seiner Partei wird Scholz bereits als möglicher Bundesfinanzminister gehandelt, sollte es tatsächlich zu einer großen Koalition kommen.

Wen die CDU in die wichtige Arbeitsgruppe Finanzen schicken wird, will sie erst am Samstag mitteilen. Die Entscheidung könnte Hinweise auf die Machtverhältnisse in der Partei geben. Im Gespräch ist neben Kanzleramtsminister Peter Altmaier auch Finanzstaatssekretär Jens Spahn. Das CDU-Präsidiumsmitglied zählt zu jenen in der Union, die vor zu vielen Zugeständnissen an die SPD warnen. Spahn, der wegen seines konservativen Profils vielen Merkel-Kritikern in der Union als Hoffnungsträger gilt, hat bereits eine Minderheitsregierung für den Fall ins Gespräch gebracht, dass die Sondierungen scheitern. Der Aufstieg des 37-Jährigen könnte dann weitergehen. Die Kanzlerin muss dagegen um ihr Amt fürchten, wenn sie es nicht schafft, eine Regierung mit der SPD zu bilden.

Vorbehalte gegen große Koalition

Merkel steht in den fünf Sondierungstagen von zwei Seiten unter Druck. Sie muss der SPD Zugeständnisse machen, damit die Genossen auf ihrem Sonderparteitag am 21. Januar die Tür für Koalitionsverhandlungen nicht zuschlagen. Auf der anderen Seite ist ihr Spielraum begrenzt, weil die CSU und Teile der CDU das Profil der Union nicht verwässern lassen wollen. Außerdem muss sie dafür sorgen, dass eine weitere Koalition mit den Sozialdemokraten nicht als kraftloses Bündnis der Verlierer gesehen wird, denen es nur um den Machterhalt geht.

Die Vorbehalte der Wähler sind groß. Glaubt man dem aktuellen ARD-Deutschlandtrend, steht eine Mehrheit von 52 Prozent einer Neuauflage von Schwarz- Rot skeptisch bis ablehnend gegenüber. Gefragt ist daher eine gedankliche Klammer, mit der sich die einzelnen Vorhaben begründen lassen. Die Mission könnte darin bestehen, erschüttertes Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates wiederherzustellen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken, der in der Flüchtlingskrise gelitten hat. Und dann wäre auch ein Signal der Aufbruchs hilfreich – ein ehrgeiziges Zukunftsprojekt, damit die große Koalition nicht schon am Anfang wie von gestern wirkt.

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