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Diener James und seine Sophie.
© dpa

Personalmangel im Fernsehen: Weißt du, wo die Diener sind?

Butler und Gärtner gibt es in Film und Fernsehen nicht einmal mehr als Mörder. Doch ohne Diener wäre alles nur noch ein Dinner for none. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Dr. Peter von Becker

Pier Paolo Pasolini war nicht nur der Dichter und Filmemacher, vielmehr auch ein emphatischer Zivilisationskritiker. Eines Sommers hatte er geschrieben, es gibt keine Glühwürmchen mehr. Pasolini meinte dies als Symbol für das Erlöschen der ländlichen Kultur Italiens. Jeder, der die grandiose Pasolini-Ausstellung im Berliner Martin-Gropius-Bau noch nicht gesehen hat, sollte das nun nachholen, die Schau endet am 5. Januar. Ein paar Glühwürmchen allerdings haben Pasolini überlebt. Ebenso wie einige Maikäfer, trotz Reinhard Meys Abgesang auf die kleinen braunen Krabbler. Aber wenn die Realität mal die Kassandrarufe der Kunst missachtet, muss das an der tieferen Wahrheit nichts ändern.

Die meisten Bösen und Reichen leiden an Personalmangel

Umgekehrt freilich schadet auch nicht ein gewisser Wirklichkeitsssinn. Zum Beispiel sieht man immer häufiger Filme, denen man die Botschaft entnehmen könnte: Es gibt keine Diener mehr! Einer der besten Thriller des soeben vergehenden Jahres war David Finchers „Gone Girl“. Weil er in manchen Kinos noch läuft, möchte ich nicht mehr verraten als das: Es taucht dort ein Multimillionär mit einer Mordsvilla auf, in der alle Räume videoüberwacht werden. Doch in der blitzenden Residenz mit Pool und Park existiert offenbar kein einziger Angestellter. Selbst als der Hausherr noch nichts zu verbergen hätte, managt er seinen Riesenladen mutterseelenallein.

An ähnlich eklatantem Personalmangel leiden auch die meisten Bösen und Reichen in deutschen TV-Krimis. Im Büro sitzt zwar als Stereotyp noch die maulige oder arrogante Vorzimmersekretärin. Zu Hause jedoch stehen die armen Reichen in ihren Villen und Großwohnungen jederzeit selber an der Tür oder nehmen das Telefon ab, wenn die Kommissarin oder ihr Kollege grad klingeln. Kein Butler, kein Gärtner als Mörder mehr weit und breit. Besonders kurios war’s neulich bei einem ambitionierten „Tatort“ mit Heino Ferch und Maria Furtwängler, wo der gute böse Ferch einen niedersächsischen Schweinemasttycoon als supercharmantes Riesenarschloch spielte, auf einem mindestens maschmeyerhaften Anwesen. Doch nachdem er seinen Chauffeur hatte erschießen lassen, war der Mann immer nur ganz allein zu Haus, was selbst Frau Furtwängler-Lindholm erstaunt hat. Die Ausrede: „Meine Angestellten schlafen draußen im Dorf.“

Mit dieser Art Dramaturgie droht ein ganzes Genre auszusterben. Denn von der antiken Komödie über die Commedia dell’Arte bis in die jüngste Vergangenheit gehörten Herr und Knecht, Dame und Zofe, Personal und Herrschaft zum wahren Spiegel der Gesellschaft. In tausend Varianten wischten die Dienstboten ihren Herren eins aus und rissen ihre Witze auf Kosten der Reichen, Mächtigen, Eingebildeten. Auch das Vergnügen an der britischen TV-Saga „Downton Abbey“ beruht ja auf dem ständigen Wechsel vom Salon in die Küche, vom Oben zum Unten – wobei alle guten Gesellschaftskomödien wissen, dass die da unten keineswegs schon die besseren Menschen sind, sondern ihre eigenen Hierarchien, Schrullen, Intrigen pflegen.

Die Dienstbotengänge sind zugemauert

Natürlich gehört es zum demokratischen und zivilisatorischen Fortschritt, dass im bürgerlichen Mittelstand keine Dienstmädchen mehr um vier Uhr morgens den Kamin befeuern müssen und um Mitternacht noch die Hemdkrägen säubern sollen. Wir haben Zentralheizung und Waschmaschinen, die Dienstbotengänge sind zugemauert, auf den Dachböden stehen die Rollkoffer oder ausrangierte Mikrowellen, dort schläft nicht mehr das zusammengepferchte Personal. Aber die Dienstleistungsgesellschaft verdrängt zugleich, dass auch heute nicht bloß Maschinen, sondern immer noch lebende Menschen die meisten niederen Arbeiten verrichten. Sklaverei und Kinderarbeit gelten zwar in Deutschland als abgeschafft, aber in Hotels, beim Paketdienst, in Krankenhäusern, Altersheimen, auf Deponien, in Schlachthöfen und an zahllosen anderen Orten schuften dafür Frauen und Männer zu Hohnlöhnen im Akkord, im Dreck, hinter den Kulissen. Und nicht nur Leiharbeitsfirmen planen bereits die Umgehung künftiger Mindestlöhne. Bis Wallraff kommt oder ein Reporter der „Zeit“, des „Spiegels“ oder von einem TV-Magazin.

Doch so kurz vor Silvester schalten wir lieber nochmal um zur Komödie. Was ist das berühmteste Stück nach „Hamlet“? Richtig, „Dinner for One“. Doch ohne Diener for one wär’s nur ein Dinner for none. Für die Katz. Wir hätten dann viel weniger Spaß, und Miss Sophie wäre zum Nachtisch ganz allein im Bett.

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