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Romney ist Mormone, Obama ist schwarz: Damit sind beide Kandidaten keine "WASPs". Ein Novum im amerikanischen Wahlkampf.
© dapd

Countdown zur US-Wahl: Noch 13 Tage: Weiße Protestanten wenden sich von ihrer Kirche ab

Weder Barack Obama noch Mitt Romney ist ein "WASP", ein "White Anglo-Saxon Protestant". Dabei waren die mal äußerst mächtig in der amerikanischen Gesellschaft. Jetzt nimmt deren Platz zunehmend eine ganz andere Gruppierung ein - und einer Religion hängen die nicht an.

Kurz vor Halloween ist ein Gespenst verloren gegangen, das einst umging in Amerika. Es war reich und einflussreich, wohnte in bewachten Villengegenden, schickte seine Kinder auf sündhafte teure Privatuniversitäten, spielte Golf und Polo, bildete Familienclans, besuchte regelmäßig die Gottesdienste der Episcopal Church, hielt viel von guten Manieren, Pünktlichkeit, Disziplin und Hygiene. Man nannte das Gespenst oft abfällig den WASP, das stand für „White Anglo-Saxon Protestant“.  Die Wasps galten als sehr mächtig.

Und heute? Zum erstenmal überhaupt in der amerikanischen Geschichte haben weder Demokraten noch Republikaner einen Wasp im Präsidentschaftsrennen. Barack Obama ist nicht weiß, Mitt Romney ein Mormone, Joe Biden und Paul Ryan sind katholisch.

Seit zweieinhalb Jahren bereits sitzt kein Wasp mehr im Supreme Court, dem obersten Verfassungsgericht. Die neun Richter sind entweder Katholiken (sechs) oder Juden (drei). Die Zahl der Protestanten im Kongress ist auf 55 Prozent geschrumpft, vor fünfzig Jahren waren es noch 74 Prozent. Außerdem bilden erstmals in der amerikanischen Geschichte die Protestanten nicht mehr die Bevölkerungsmehrheit.

Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.
Countdown zur Wahl: Malte Lehming berichtet.
© Tsp

Vor zwei Wochen veröffentlichte das in Religionsfragen führende Forschungszentrum Pew eine Studie, die den gesellschaftlichen Wandel drastisch illustriert. Während sich vor 40 Jahren noch zwei Drittel der erwachsenen Amerikaner einer protestantischen Kirche verbunden fühlten – sowohl evangelikaler als auch traditioneller Denomination -, sind es heute nur noch 48 Prozent. Die Verluste gehen ausschließlich auf das Konto der weißen Protestanten, nicht der schwarzen oder anderer ethnischer Minderheiten.

Weiße Protestanten sind die Stammwähler der Konservativen. Vor vier Jahren stimmten zwei Drittel von ihnen für den Republikaner John McCain. Auch Romney, obwohl Mormone, wird mehrheitlich von ihnen unterstützt. Doch diese Mehrheit wird sowohl in absoluten Zahlen als auch in Relation zur Gesamtbevölkerung immer kleiner. Die Wasps schrumpfen und schrumpfen, doch nicht etwa zu Gunsten anderer Religionsgemeinschaften, sondern zu Gunsten der „Nones“.

Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA
Malte Lehming berichtet in seinem Countdown zur Wahl aus den USA
© Tsp

„Nones“ sagen, dass sie sich keiner real existierenden Glaubensgemeinschaft zugehörig fühlen. Doch nicht alle von ihnen sind agnostisch oder atheistisch. Einige „Nones“ beten regelmäßig und glauben an eine überirdische Macht. Bloß leben sie ihre Spiritualität außerhalb der bestehenden Denominationen. Fast jeder Fünfte, nämlich 19,6 Prozent der Amerikaner, rechnet sich inzwischen zu den „Nones“.

Und der Trend ist eindeutig: Vor vierzig Jahren waren es 7 Prozent, vor fünf Jahren 15,3 Prozent. „Nones“ sind überwiegend jung, sie stehen sozial und kulturell eher links.

Der Aufstieg der „Nones“ wiederum verändert die religiöse Identität der Wasps. Sie definieren sich nun nicht mehr primär als Protestanten, Lutheraner oder Evangelikale, sondern eher entlang der Trennlinie liberal-konservativ. Das führt gelegentlich sogar zu neuen Koalitionen von konservativ evangelikalen Protestanten mit traditionellen Katholiken.

„Nicht der Verlust einer protestantischen Mehrheit in den USA sollte uns besorgen“, schreibt etwa Russell D. Moore, ein Baptist und Professor für christliche Theologie und Ethik, „sondern der Verlust einer wahrhaft christlichen Mehrheit in unseren Kirchen.“ Verantwortlich dafür seien „krypto-marxistische Befeiungsideologien, sexuelle Identitätspolitik, neuheidnische Gottesvisionen und geschlechtsneutrale Liturgien“. Das Zeitalter der protestantischen Mehrheit in Amerika sei vorüber, meint Moore, „also lasst uns für etwas Neues beten – eine globale christliche Mehrheit, auf der Erde wie im Himmel“. Bis es so weit ist, wenn es denn überhaupt dazu kommt, dürfte die Präsidentschaftswahl allerdings vorbei sein.

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