Flüchtlinge aus Belarus: Wehrhaft an der EU-Außengrenze
EU-Kommissionschefin von der Leyen will keine Gelder für den Bau von Grenzzäunen wie in Polen bereitstellen. Doch dagegen regt sich Widerstand.
Michael Kretschmer gehörte zu den Ersten, die in Deutschland die Debatte um den Grenzzaun zwischen Polen und Belarus begannen. Bei einem Besuch in Brüssel hatte Sachsens Ministerpräsident vor einigen Tagen gefordert, dass die EU angesichts der zahlreichen Flüchtlinge aus Belarus ihre „Wehrhaftigkeit“ beweisen müsse. „Wir brauchen Zäune, und wir brauchen vermutlich auch Mauern“, hatte der CDU-Politiker gesagt. Damit meinte Kretschmer, die EU-Außengrenzen müssten befestigt werden.
An solchen Zäunen wird in Polen, Lettland und Litauen bereits gebaut. Polen begann bereits im August mit der Errichtung eines Stacheldrahtzauns entlang der Grenze zu Belarus. Umgerechnet rund 350 Millionen Euro werden dafür veranschlagt, der Bau der Barriere ist auf einer Länge von 400 Kilometern geplant. Litauens Zaun soll vier Meter hoch werden.
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Die Frage ist allerdings, ob sich die EU finanziell beteiligen soll. Auf den ersten Blick ist die Haltung der EU-Kommission in dieser Frage klar. Nach dem jüngsten EU-Gipfel sprach sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche gegen die Vergabe von Geldern für „Stacheldraht und Mauern“ aus. Dies hatte auch EU-Innenkommissarin Ylva Johansson bei einem Besuch in Litauen im August betont. Dennoch hatte die Schwedin den Zaunbau an sich gutgeheißen.
Brüssel: Grenzüberwachung ja, Zaunbau nein
Man könnte die Linie der Kommission – ungeachtet der verwirrenden Äußerung von Johansson - so zusammenfassen: Überwachung an den Außengrenzen ja, Zaunbau nein. Statt Gelder für Barrieren an den Außengrenzen der Gemeinschaft zu vergeben, unterstützt die EU die betroffenen Länder Litauen und Lettland durch Beamte der Grenzschutzagentur Frontex und der Asylbehörde Easo. Polen lehnt den Einsatz von Frontex-Mitarbeitern an der Ostgrenze zu Belarus hingegen weiterhin ab.
Angesichts der Politik des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko hält derweil der EVP-Fraktionschef im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), den Kurs der Kommission für nicht mehr haltbar. Lukaschenko schleust schon seit Monaten Migranten aus Ländern wie dem Irak und Afghanistan Richtung EU weiter. Weber forderte deshalb in der „Bild“-Zeitung die EU-Kommission dazu auf, „natürlich auch die Unterstützung für einen Zaunbau, wenn notwendig“, zu leisten.
Zwölf EU-Staaten für die Unterstützung des Zaunbaus
Weber steht mit dieser Forderung in der EU nicht allein. Anfang des Monats hatten sich zwölf EU-Staaten in einem Brief an Vize-Kommissionspräsident Margaritis Schinas und EU-Innenkommissarin Johansson gewandt und gefordert, dass der Bau einer „physischen Sperre“ als „vorrangige Angelegenheit“ durch das EU-Budget unterstützt werden solle. Zu den zwölf Staaten, die diese Forderung aufstellen, gehören Polen, Ungarn, Dänemark und Österreich, nicht aber Deutschland.
Derweil müssen sich die Koalitionäre in spe von SPD, Grünen und Liberalen darauf einstellen, dass die ebenfalls an der polnisch-deutschen Grenze gestiegenen Flüchtlingszahlen auch in den nächsten Wochen ein Thema bleiben. Im Deutschlandfunk sagte der FDP-Europaabgeordnete Moritz Körner, dass Zäune die Flüchtlinge nicht aufhielten. Vielmehr gehe es darum, die Fluchtursachen zu bekämpfen und sich um eine gemeinsame europäische Migrationspolitik zu bemühen. Die Diskussion über Grenzzäune bezeichnete Körner hingegen als Populismus.
Schlagabtausch zwischen Habeck und Seehofer
Für die Grünen hat deren Co-Vorsitzender Robert Habeck den Vorschlag gemacht, dass die EU Solidarität mit Polen in der Flüchtlingsfrage zeigen solle. Habeck hatte zwar den belarussischen Machthaber Lukaschenko als „Schleuser“ bezeichnet und eine Verschärfung der EU-Sanktionen gegen Belarus angeregt. Gleichzeitig hatte er aber auch angeregt, die Flüchtlinge aus Belarus in der EU zu verteilen.
Von einem solchen Vorschlag hält Innenminister Horst Seehofer (CSU) gar nichts. Das wäre eine große Genugtuung für Lukaschenko, der dann noch mehr Flüchtlinge über die Grenze schaffen werde, „um die Stabilität in Europa zu gefährden“, so Seehofer.
Zuvor hatte der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak zu Beginn der Woche angekündigt, dass die Zahl der an der Grenze zu Belarus stationierten Soldaten auf 10.000 erhöht werden solle. Außerdem sind seit dieser Woche in Polen neue Vorschriften in Kraft, nach denen Flüchtlinge sofort wieder abgeschoben werden können. Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass damit illegale Abschiebungen von Migranten ermöglicht würden.
Morawiecki will Zaun notfalls ohne EU-Gelder fertigstellen
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki sagte am Donnerstag in Warschau, dass sein Land beim Bau des Grenzzauns zu Belarus nicht von der EU abhängig sei. Polen werde eine mögliche Unterstützung aus Brüssel annehmen, aber ansonsten die Befestigung auch ohne EU-Gelder bauen.
Möglicherweise hat das harte Vorgehen der polnischen Behörden an der Grenze zu Belarus dazu beigetragen, dass die Zahl der in Deutschland aus Polen ankommenden Flüchtlinge zuletzt wieder leicht gesunken ist. Nach den Angaben des Sprechers der Bundespolizeidirektion Berlin, Jens Schobranski, sei man nach Wochen immer neuer Zuwächse bei den Flüchtlingszahlen an der Grenze zwischen Brandenburg und Polen inzwischen „an einem Punkt angekommen, wo es mehr oder weniger stagniert“. Es gebe sogar leichte Rückgänge bei den Zahlen.
Seit Jahresbeginn hat die Bundespolizei mehr als 6600 ungenehmigte Grenzübertritte nach Deutschland mit einem Bezug zu Belarus registriert. Der Großteil der Migranten gelangte im Oktober nach Deutschland. Dabei wurden in der Regel in diesem Monat mehrere hundert illegale Flüchtlinge pro Tag an der Grenze zwischen Polen und Deutschland registriert.