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Der „Lange Eugen“ war früher Abgeordnetenhochhaus und höchstes Bauwerk Bonns. Jetzt wird er vom dominanten Post-Tower (rechts im Bild) überragt, der 162 Meter misst. Ein Stück weiter hat die Telekom ihre Zentrale.
© JOKER

20 Jahre nach dem Regierungsumzug: Was wurde aus Bonn?

Vor 20 Jahren wurde der Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin beschlossen. Viele befürchteten damals, dass Bonn großen Schaden nimmt, doch ganz so ist es nicht gekommen.

Das beschäftigt die junge Frau schon, die für das Bundesverteidigungsministerium arbeitet. „Ja, da gibt es Unruhe“, sagt sie. Fast 2800 Menschen sind auf der Hardthöhe bei Bonn beschäftigt; niemand weiß, wie viele davon noch am Rhein bleiben, wenn die Verkleinerung der Bundeswehr beendet ist. Die Hardthöhe ist nicht die einzige Baustelle, im übertragenen Sinne. „Mal sehen, wie lange die Haltestelle in Bonn noch Innenministerium heißt“, sagt die Frau, die häufig zwischen Berlin und Bonn pendelt.

Innenminister Hans-Peter Friedrich baut bereits in Berlin das neue Ministerium, schon mit Reserveflächen, um auch die in Bonn verbliebenen Mitarbeiter unterzubringen. Auf das Bonn-Berlin-Gesetz, das die Aufteilung der Bundesministerien regelt, gibt die Pendlerin wenig. „Ach, das Gesetz hält das nicht auf“, meint sie. Wenn es um Umzug geht, werden die Bonner sehr sensibel.

„Es ist wenig sinnvoll, ständig mathematisch nachzurechnen, ob die Zahl der Arbeitsplätze in den Bonner und Berliner Ministerien durchgängig fair bei den vereinbarten 50 Prozent geblieben ist“, beruhigt dagegen Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. Er sieht keine Gefahr, dass auch die restlichen Ministerien nach Berlin ziehen könnten. Der seit 2009 regierende Sozialdemokrat hat sein Amtszimmer erst dieser Tage wieder im schmuck restaurierten Alten Rathaus am Markt bezogen; das sogenannte Kaminzimmer ist in hellem Grau und Weiß gehalten.

Vor 20 Jahren demonstrierten am Fuße der Rathaustreppe monatelang wütende Bonner mit Transparenten und bösen Sprüchen gegen wortbrüchige Politiker und gierige Berliner. Jetzt gehört der Platz wieder den Markthändlern. Im nahen Café Bon(n)gout ist „Berlin“ das billigste Angebot: zwei halbe belegte Brötchen nach Wahl zum Frühstück. Eine kleine Spitze gegen die arme Hauptstadt? Nein, sagt die Bedienung, da sei man nicht nachtragend. Aber dass die Ministerien weg sind, merke man schon: Es sei weiterhin viel los, aber das Publikum auch irgendwie anders geworden.

„Biblische Begriffe wie Fluch oder Segen passen nicht zur Entscheidung des Bundestags“, versucht der Oberbürgermeister eine Antwort auf die Frage zu vermeiden. Aber dass Bonn der Umzug der Bundesregierung und des Parlaments nicht unbedingt geschadet hat, das kann jeder sehen, der mit offenen Augen durch die Stadt geht.

Nimptsch kann jedenfalls ganz entspannt auf seine Stadt blicken. 20 Jahre nach dem Beschluss des Bundestages, Regierung und Parlament nach Berlin zu verlegen, hat die „Bundesstadt Bonn“ einen weitreichenden Strukturwandel bewältigt und steht glänzend da. Gerade hat Telekom-Chef René Obermann versichert, sein Unternehmen werde die Zahl von 14 000 Mitarbeitern in Bonn konstant halten. Das kleine Bonn hat zwei Dax-Konzerne, die Hauptstadt Berlin keinen. Und die Arbeitslosigkeit an der Spree ist mehr als doppelt so hoch wie am Rhein mit dort 6,6 Prozent. Zur „Boomtown Bonn“ gehört auch, dass neben den sechs Bundesministerien mit Hauptsitz – Bildung und Forschung, Umwelt, wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gesundheit, Verbraucherschutz und Verteidigung – auch noch 20 Bundesbehörden hier sind, darunter Bundesrechnungshof und Bundeskartellamt. Und fast 9000 Beamte arbeiten immer noch in Bonner Ministerien, fast ebenso viel wie in Berlin.

Wenn in Berlin über die Veränderung der Bundeswehr nachgedacht wird, dann wird das am Rhein registriert. Und untätig bleibt man auch nicht; vertraut auch auf all die Abgeordneten von CDU und SPD aus der Region. Die Verwaltungsreform wie bei der Bundeswehr werde „nicht als Gefahr wahrgenommen“, sagt deswegen Oberbürgermeister Nimptsch.

Wenn etwas sinnvoll sei, „dann kommt es eben zu Veränderungen“, sagt der Sozialdemokrat, schiebt aber sofort einen Satz nach: „Verwaltungen, die sich etwa mit einer auf Umwelt, Gesundheit, Bildung und Ernährung orientierten Entwicklungspolitik beschäftigen, sollten demnach sicher am Standort der Vereinten Nationen als in Berlin“ sein, und auch Verwaltungen, die sich mit „europäischer Verteidigungspolitik beschäftigen, sollten eher in der Nähe von Brüssel angesiedelt sein.“ Beides trifft ganz zufällig auf die Bonner Ministerien zu.

Wie Bonn den Strukturwandel bewältigt hat, lesen Sie auf der nächsten Seite.

„Erst haben wir den Atem angehalten“, sagt eine ältere Verkäuferin in der Altstadt. „Puppenkönig“ ist seit 135 Jahren das Haus am Platz, wenn es um Kinderspielzeug geht. Viele Familien seien Ende der 90er Jahre weggezogen nach Berlin. Doch inzwischen hat sich das vollkommen gewandelt. Viele Firmen haben sich angesiedelt und auch der Ausbau der „Kunstmeile“ habe enorm viel gebracht. Bonn hat mit fast 320 000 nun sogar mehr Einwohner als vor dem großen Exodus der Bundesministerien, des Parlamentsbetriebs, der Lobbyorganisationen und der diplomatischen Vertretungen. „Viele junge Familien mit Kindern“ seien gekommen, freut sich die „Puppenkönig“-Mitarbeiterin: „Wir merken längst nicht mehr, dass die Ministerien weg sind.“

Verlierer gibt es dennoch. Gelitten hat Bad Godesberg. Das einstige Diplomatendorf ist vom Nobelstadtteil zum Problemkiez geworden. Hier sind die wohlhabenden Ausländer abgezogen, dafür haben sich viele sozial schwächere Migranten angesiedelt; die Arbeitslosigkeit ist für Bonner Verhältnisse hoch und die Jugendkriminalität wächst.

„Jetzt sind wir wirklich eine mittelgroße Provinzstadt“, sagt Didi Kern mit Ironie in der Stimme. Die dunkelhaarige Frau hat früher in der legendären „Provinz“ gekellnert, als das Lokal der Treffpunkt der bundespolitischen Politprominenz war, unweit des früheren Bundeskanzleramts – ein bescheiden anmutender Flachbau, inzwischen der Zeit entrückt und auch den Dimensionen, verglichen mit dem riesigen, achtstöckigen Bundeskanzleramt in Berlin. Nach dem Umzug vor zehn Jahren „wurde es erst gähnend leer und öde“, sagt die Gastronomin, die heute mit ihrem Mann Mike in einem alten gelben Haus im Stadtteil Kessenich das Lokal „Lindenhof“ nebst Kleinkunstbühne betreibt. Dass Bonn den Strukturwandel bewältigt hat, schreibt sie der guten Arbeit der langjährigen Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann zu, die erst 2009 abtrat. Mehr als 1,4 Milliarden Euro bekam Bonn zum Ausgleich für den Verlust der Regierungsfunktion.

Didi Kern hängt dennoch den alten Zeiten nach, als in ihrer „Brasserie Midi“Joschka Fischer und seine Grünen die Nächte durchmachten. „Wir führen jetzt ein braves Leben“, sagt sie sarkastisch. Inzwischen ist es ihr aber egal, ob die restlichen Ministerien auch noch nach Berlin abwandern. „Die Beamten können ruhig gehen, die sind eh nicht unsere Kunden, wenn sie weg sind, hätte Bonn weniger Kosten“, urteilt sie. Ja, sie habe auch mal dran gedacht, nach Berlin zu gehen, so wie Friedel Drautzburg.

Der Gastronom war das Sprachrohr der Protestbewegung gegen Berlin, bis er urplötzlich in Berlin die „Ständige Vertretung“ aufmachte und riesigen Erfolg mit der Hochburg der Rheinländer hatte und hat. „Ich habe anfänglich nicht geglaubt, dass das was wird mit demRegierungsumzug nach Berlin und ein wenig Vogel Strauß gespielt – und dann war es zu spät für einen Umzug“, sagt Didi Kern.

Das Bonner „Haus der Geschichte“, Gegenstück zum Berliner Museum Unter den Linden, hat die Artefakte der Bonner Republik in den Untergrund verbannt – integriert in die U-Bahn-Station sind Adenauers Salonwagen, Staatskarossen oder Fotos der Umzugsdebatte zu sehen. Gegenüber dem Museum Koenig, wo 1948 im Lichthof unter ausgestopften Giraffen das Grundgesetz erarbeitet wurde, glänzt an der Villa Hammerschmidt der blank geputzte Bundesadler. Gemachtes Haus für Bundespräsident Christian Wulff, der hier seinen zweiten Amtssitz hat. Doch der ist selten da – drei Mal seit seiner Wahl im Juni 2010.

„Bonn ist doch das blühende Leben“, freuen sich der stämmige Mann in Latzhose und sein Kollege. Die beiden Hausmeister der Uni Bonn sind am Hofgarten mit Malerarbeiten beschäftigt – dort, wo in den 80er Jahren Hunderttausende gegen Nato-Aufrüstung und Atomkraft demonstrierten. Eifersüchtig auf Berlin? Von wegen. Die Universitäten und Forschungseinrichtungen haben von dem Hilfspaket mit hunderten Millionen Euro enorm profitiert. „Wir haben immer viel zu tun“ – bei 300 Gebäuden, die der Universität gehören, gibt es immer was zu renovieren. Seine Schwester sei auch nach Berlin gezogen und arbeite bei der FDP, sagt der Maler. Ob das ein sicherer Job ist? Da ist er skeptisch. Die Schwester sei froh gewesen, aus der Kleinstadt rauszukommen, er sei froh, dass er hier sei.

Und wie sieht es im einstigen Regierungsviertel aus? Das erfahren Sie auf der nächsten Seite

Im einstigen Regierungsviertel, nun zum UN-Campus geworden, wird für die Vereinten Nationen ein Abgeordnetenhaus umgebaut, ein weiterer Neubau ist geplant. Das Emblem der UN schwebt auch hoch oben am „Langen Eugen“, dem einst höchsten Bauwerk Bonns. Jetzt wirkt der Bau fast grazil gegen den mächtig dominanten Post-Tower, der 162 Meter in den Himmel ragt; ein Stück weiter hat die Telekom ihre Zentrale. Fast 35 000 Arbeitsplätze sind hier am Rheinufer entstanden – vor dem Umzug waren es knapp 20 000. Wäre da nicht das Debakel über den Bau eines riesigen Konferenzzentrums, bei dem sich die Stadt von windigen Investoren hinters Licht führen ließ, die Bilanz wäre eine einzige Erfolggeschichte.

Seit 2009 ruhen die Arbeiten am 200 Millionen teuren World Conference Center; auch die Staatsanwaltschaft ermittelt. Offen ist, ob die Stadt das Prestigeobjekt selbst übernehmen und fertigstellen will. Bis 2013 soll das Zentrum nun fertig werden, betont Nimptsch. Das Projekt habe man schließlich den Vereinten Nationen zugesagt. Bund und Land hätten finanzielle Hilfen zugesagt, sofern die Stadt das Grundstück übernehmen kann, woran man wegen der komplizierten Rechtslage auch zweifeln kann. Immerhin wird schon seit Jahren versprochen, dass sich bald wieder die Kräne über der Mega-Baustelle drehen werden. Doch einzig das Unkraut wächst hier in die Höhe. Auch Ex-Bürgermeisterin Bärbel Dieckmann will zum Thema World Conference Center nichts sagen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt noch wegen möglicher Amtsverletzung gegen sie. Das Center ist ein schwarzer Punkt in einer strahlenden Erfolgsgeschichte, in der sie die Heldin ist. Nach ihrer Wahl 1994 hat sie wieder Zuversicht in die Stadt gebracht, die zuvor jahrelang in Schockstarre war. „Unsere Strategie war: handeln, nicht nachtrauern.“ Dieckmann hat den Grundstein für den Strukturwandel gelegt, hat für die UN-Sekretariate gekämpft und sich auch nicht entmutigen lassen, als es zunächst Häme gab, weil nur das Fledermaussekretariat mit zwei Stellen nach Bonn kam.

Aber auch Dieckmann hätte nicht gedacht, dass Bonn heute 20000 Einwohner mehr hat als vor dem Umzug und ebenso mehr Arbeitsplätze. Heute ist Bärbel Dieckmann Präsidentin der Welthungerhilfe. „Mir ist später klar geworden, dass es vielleicht keine Entscheidung von Dauer gewesen wäre, wenn damals die Entscheidung für Bonn gefallen wäre“, sagt sie: „Die Debatte hätte nicht aufgehört, weil es auch viele Argumente für Berlin gäbe.“ Sie ärgert sich deswegen über die Stimmen, die einen vollständigen Umzug fordern. „Ich wünsche mir, dass die Debatte endlich aufhört. Es wäre gut, wenn es eine politische Verlässlichkeit inbeide Richtungen gibt.“ „Et bleibt nix wie et wor“, heißt es in der Bonner Altstadt auf einem Werbeplakat. Das braucht man den Bonnern nun wirklich nicht zu sagen. Manchmal aber kann man auch Schnäppchen machen. Es geht bei der Werbung ganz profan um eine Rabattaktion eines Bonner Möbelhauses.

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