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Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan auf einem Archivbild von 2013.
© picture alliance / dpa

Erdogan besucht Putin: Was wollen Russland und die Türkei?

Der türkische Präsident reist an diesem Dienstag zu seinem russischen Kollegen Wladimir Putin. Recep Tayyip Erdogan nennt den Besuch schon vorab "historisch". Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Für Recep Tayyip Erdogan ist es die erste Auslandsreise nach dem Putschversuch vom 15. Juli: An diesem Dienstag trifft der türkische Staatspräsident in St. Petersburg seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Noch vor Kurzem wäre ein solches Treffen undenkbar gewesen.

Das Verhältnis zwischen Ankara und Moskau war schwer belastet, nachdem im November vergangenen Jahres ein russisches Militärflugzeug nahe der syrisch-türkischen Grenze von Ankaras Luftwaffe abgeschossen worden war. Der Kampfjet sei für wenige Sekunden in den türkischen Luftraum eingedrungen, hieß es zur Begründung. Moskau bestritt dies und reagierte mit Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Doch mittlerweile ist dieser Streit beigelegt. Das Treffen in St.Petersburg ist die erste Begegnung der beiden Staatschefs seit dem Beginn der Krise im November.

Welche Erwartungen gibt es vor dem Treffen von Erdogan und Putin?

Die Sprecher vieler westlicher Staats- und Regierungschefs sind in der Regel bemüht, vor wichtigen Gipfeltreffen nicht allzu große Erwartungen zu wecken – zum einen, weil es wie eine Niederlage aussähe, wenn diese Erwartungen am Ende nicht erfüllt werden, zum anderen, weil sich dann hinterher auch kleinste Fortschritte als mittelgroßer Erfolg verkaufen lassen.

Umso auffälliger ist es, dass Erdogan vor dem Gespräch mit Putin selbst die Erwartungen sehr hoch gesteckt hat: „Das wird ein historischer Besuch sein, ein Neuanfang“, sagte der Präsident der russischen Nachrichtenagentur Tass. Er hoffe, dass in den Beziehungen beider Länder eine neue Seite aufgeschlagen werde. Beide Länder hätten gemeinsam viel zu tun. Die russischen Staatsmedien gaben dem Lob Erdogans für seinen „Freund Wladimir“ viel Platz.

Wie haben Ankara und Moskau ihr seit dem Abschuss einer russischen Militärmaschine schwer belastetes Verhältnis wieder gekittet?

Der Abschuss des russischen Bombers vom Typ SU-24 hat die Beziehungen zwischen der Türkei und Russland in eine tiefe Krise gestürzt. Moskau reagierte mit einem Einfuhrverbot für türkische Waren. Die türkische Tourismusindustrie litt besonders darunter, dass Moskau alle Charterflüge in die Türkei stoppen ließ. Die russischen Urlauber blieben weg.

Für eine Normalisierung der Beziehungen hatte Russland eine offizielle Entschuldigung aus Ankara zur Bedingung gemacht. Erdogan entschuldigte sich im Juni tatsächlich, allerdings nicht bei Putin, sondern bei den Angehörigen des getöteten Piloten. Gegenüber dem russischen Präsidenten drückte Erdogan sein „Bedauern“ über den Vorfall aus und rief dazu auf, die traditionell guten Beziehungen zwischen beiden Ländern wiederherzustellen.

Nach dem Putschversuch in der Türkei wurden zudem zwei Piloten der türkischen Luftwaffe inhaftiert, die den Bomber abgeschossen haben sollen. Die Festnahme verkündete Erdogan selbst. Damit stellt die Führung in Ankara die Tat als Werk einer radikalen Gruppe von Putschisten innerhalb der Armee dar und distanziert sich von der Entscheidung zum Abschuss.

Was verbindet Erdogan und Putin?

Erdogan kann schon jetzt sicher sein, dass er von Putin keine Kritik an seinem Vorgehen gegen echte oder vermeintliche Gegner nach dem Putschversuch in der Türkei hören wird – anders als in EU-Ländern. Der türkische Staatschef wirft dem Westen vor, die Festnahmen und Massenentlassungen stärker kritisiert zu haben als den Putschversuch selbst und sich damit indirekt auf die Seite der Putschisten gestellt zu haben. Putin dagegen hat den Putschversuch als einer der ersten ausländischen Staatschefs scharf verurteilt.

Während die Türkei bisher an einer Annäherung an die EU und sogar an einem Beitritt interessiert war, was eine Verpflichtung zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit beinhaltet, schlägt Erdogan derzeit offenbar den Weg des Autokraten Putin ein. Der russische Präsident dürfte für Erdogans Abrechnung mit angeblichen Gegnern in Politik, Medien, Justiz und Verwaltung Verständnis haben. Schließlich gründete Putin vor Kurzem sogar eine Nationalgarde, die ganz allein seinem Kommando untersteht.

Was verspricht sich die Türkei von dem Treffen?

Die türkische Führung hofft darauf, dass zunächst einmal die Nachteile wegfallen, die dem Land nach dem Abschuss des russischen Bombers entstanden sind. Das Einfuhrverbot türkischer Produkte nach Russland könnte fallen. Außerdem hofft man in Ankara, dass die Charterflüge in die Türkei wieder aufgenommen werden.

Ende vergangenen Jahres war auch das Projekt „Turkish Stream“ von Moskau vorerst gestoppt worden. Die Pipeline soll russisches Erdgas durch das Schwarze Meer in die Türkei und zum Teil weiter nach Europa bringen. Die Türkei würde von diesem Projekt nicht nur für die eigene Energieversorgung profitieren, sondern auch Transitgebühren kassieren. Beim Bau eines neuen Atomkraftwerkes in Akkuyu setzt Ankara ebenfalls auf russische Hilfe. Moskau hat bereits signalisiert, dass auch dieses Geschäft nach der Beilegung der Krise fortgeführt werden kann.

Was verspricht sich Russland von besseren Beziehungen zur Türkei?

Moskau hat vielleicht ein noch größeres Interesse am Bau von „Turkish Stream“ als die Türkei. Denn diese Pipeline wurde Ende 2014 als Alternativprojekt zu „South Stream“ konzipiert, die russisches Gas durchs Schwarze Meer über Bulgarien nach Europa bringen sollte. Doch nach Russlands Intervention in der Ukraine wurde das Projekt auf Druck der EU gestoppt. Die nun geplante Pipeline „Turkish Stream“ kann nicht am Einspruch aus Brüssel scheitern.

Das Projekt ist für Moskau auch geopolitisch interessant: Der vom russischen Staat kontrollierte Energiekonzern Gazprom hat bereits angekündigt, dass „Turkish Stream“ später das Gas nach Europa liefern soll, das derzeit noch durch die Ukraine transportiert wird. Die Ukraine könnte also nach dem Bau von „Turkish Stream“ und der Erweiterung der Ostsee- Pipeline „Nord Stream“ gar kein Erdgas mehr aus Russland erhalten. Die Gasleitung durch die Türkei stünde zudem in direkter Konkurrenz zu einer von Brüssel unterstützten Pipeline von Aserbaidschan über die Türkei nach Europa, mit deren Hilfe die EU von russischem Gas unabhängiger werden soll.

Doch auch jenseits der Energiepolitik und ihrer geopolitischen Auswirkungen hat Russland ein großes Interesse an guten Beziehungen zur Türkei. Denn deren Verhältnis zum Westen ist derzeit trotz ihrer Nato-Mitgliedschaft so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Erdogan ist von der Reaktion der EU auf den Putschversuch und auf sein Vorgehen gegen seine Gegner tief enttäuscht, auch das Verhältnis zu den USA ist durch den Streit um die Auslieferung des türkischen Predigers Fethullah Gülen stark belastet. Sollte sich die Türkei tatsächlich vom Westen abwenden, wäre das aus Russlands Sicht ein strategischer Vorteil. In Moskau träumt man schon lange von einer „Eurasischen Union“ als Gegengewicht und Alternative zur EU.

Was könnte eine Annäherung zwischen der Türkei und Russland für den Syrien-Konflikt bedeuten?

Russland setzt offenbar auch auf eine Zusammenarbeit mit der Türkei in Syrien. Bisher war dies daran gescheitert, dass Moskau das Regime von Syriens Staatschef Baschar al Assad unterstützt und Ankara dessen Gegner. Erdogan betonte kurz vor dem Treffen mit Putin: „Ohne Beteiligung Russlands ist es unmöglich, eine Lösung der syrischen Probleme zu finden.“ Während es dem Westen bisher nicht gelungen ist, das Blutvergießen in Syrien zu beenden, präsentiert sich Putin nun als Akteur in der Nahost-Politik, der mit den Nachbarn des Bürgerkriegslandes, darunter die Türkei und der Iran, über eine Lösung verhandelt.

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