Verbot radikaler Vereine: Was wird den Salafisten vorgeworfen?
Der Staat wehrt sich gegen radikale Salafisten-Vereine in Deutschland. Wer sind die nun von Innenminister Friedrich verbotenen Gruppierungen und warum hält er sie für gefährlich?
Es ist der härteste Schlag, der das islamistische Spektrum in Deutschland bislang getroffen hat. Ein Verein der salafistischen Szene wurde verboten, zwei weiteren Gruppierungen steht die Auflösung bevor. Nach den Krawallen vom Mai in Solingen und Bonn war für Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Zeit reif, wenn nicht überreif, die extremen und meist gewaltbereiten Frömmler hart anzufassen. Die Pläne, Verbote gegen die Vereine Millatu Ibrahim, Die wahre Religion und Dawa FFM auszusprechen, sind aber schon älter.
Warum wurde Millatu Ibrahim verboten?
Der Verein Millatu Ibrahim war noch jung, fiel aber von Beginn an mit brachialen Parolen auf. Im November 2011 präsentierte der Anführer („Amir“) des Vereins, der Österreicher Mohammed Mahmoud, als eine Art Keimzelle des Vereins die Internetseite „Millatu Ibrahim“. In einer programmatischen Rede, die in einem Chatroom veröffentlicht wurde, beschrieb Mahmoud in holprigem Deutsch den Kampf um eine weltweite Herrschaft des Islam, „so dass Allahs Scharia und diese Flagge, diese Flagge über das Weiße Haus und über das Vatikan weht. Oder wir sterben.“
Anfang 2012 benannten Anhänger Mahmouds die Solinger Hinterhof-Moschee „Deutsch-Islamisches Zentrum“ um in „Millatu Ibrahim e.V.“, allerdings gab es keinen Eintrag im Vereinsregister. Mahmoud selbst ist schon lange einschlägig bekannt. Der Sohn eines nach Österreich geflohenen, ägyptischen Islamisten war 2007 als „Amir“ (Anführer) der „Globalen Islamischen Medienfront“ aufgetreten, die im Internet für Al Qaida warb. 2008 verurteilte ein Wiener Gericht Mahmoud zu vier Jahren Haft. Nach Verbüßung der Strafe begab sich Mahmoud zur salafistischen Szene in Berlin, dann trat er als Prediger in der Millatu-Ibrahim-Moschee in Solingen auf. Die Sicherheitsbehörden hatten ihn im Blick.
Die Propaganda von Millatu Ibrahim war heftig. Bei den Ausschreitungen am 1. Mai in Solingen heizte der Millatu Ibrahim zugerechnete Prediger Hassan K. den Salafistenmob auf, in dem er afghanische Terroristen als „die wertvollsten Menschen für uns“ glorifizierte. Der Verein „kümmerte“ sich auch um inhaftierte Islamisten, um sie in der Szene zu halten.
Politiker wurden bei Millatu Ibrahim systematisch beleidigt und bedroht. Zitate aus einem Video vom Januar: „Die Leute, die die Gesetze machen, die sind die Schlimmsten. Die sind schwul, die sind kokainsüchtig, pädophil, einfach ekelhaft. (...) Guckt mal Wowereit an, ekelhaft. (...) Möge Allah ihn vernichten.“ Der Mann, der diese Hetze von sich gab, war die Nummer 2 bei Millatu Ibrahim, der Berliner Denis Cuspert. Er wurde einst bekannt als Rapper „Deso Dogg“, heute gilt er als einer der gefährlichsten Islamisten in Deutschland. In der Verbotsverfügung wird Cuspert, der auch „Islamseminare“ abhält, mehrfach zitiert – und seine Sehnsucht erwähnt, auf dem „Schlachtfeld“ zu sterben. Das ist offenbar ernst zu nehmen.
Im Mai entdeckte die Polizei in Berlin Utensilien zur Herstellung einer Sprengstoffweste. Das Material wird dem inzwischen nicht mehr auffindbaren Cuspert zugeordnet. „Die Weste ist ein weiteres Zeichen für die aggressiv-kämpferische Grundhaltung der Vereinigung“, heißt es in der Verbotsverfügung.
Was wirft der Bundesinnenminister den anderen beiden Vereinen vor?
Die Argumente gegen Die wahre Religion (DWR) und Dawa FFM ähneln denen im Fall Millatu Ibrahim. Die Propaganda des DWR nach den Ausschreitungen in Solingen und Bonn stelle „den vorläufigen Höhepunkt einer auf die systematische Diskreditierung der verfassungsmäßigen Ordnung angelegten Agitation dar“, steht in Friedrichs Verfügung zur Einleitung eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens. So drohte der DWR-Prediger Abu A. in einem Video dem Innenminister und Bundeskanzlerin Angela Merkel, sie brächten „ihre Bürger in Gefahr“, sollte es weiter zulässig sein, die Mohammed-Karikaturen zu zeigen.
Auch Journalisten werden aus dem Umfeld von DWR attackiert. In einem Video ist comicartig zu sehen, wie einem Redakteur der „Welt“ der Kopf explodiert. Ein Salafist, den Sicherheitsexperten der Umgebung von DWR-Chef Ibrahim Abu Nagie zuordnen, hat zudem in einem Video gegen Mitarbeiter von Tagesspiegel und „Frankfurter Rundschau“ gehetzt. Bei dem Verfahren gegen DWR spielt die vom Verein initiierte Verteilung von Gratisexemplaren des Korans keine Rolle.
Dem Verein Dawa FFM wirft Friedrich ebenfalls vor, er billige „Gewalt gegen den Staat und dessen Funktionsträger“. Dawa FFM hatte sich mit den salafistischen Randalierern in Solingen und Bonn solidarisiert und auch das Droh-Video gegen Friedrich und Merkel veröffentlicht. In der Verfügung zur Einleitung des Verfahrens gegen Dawa FFM wird außerdem erwähnt, dass Vorträge des Anführers Abdellatif Rouali zur Radikalisierung des Attentäters Arid Uka beitrugen. Der junge, über das Internet aufgeputschte Kosovare hatte 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschossen und zwei weitere lebensgefährlich verletzt.
Wie reagieren die muslimischen Verbände auf Salafisten?
Welche Verbindungen zum Terror gibt es?
Aus den über das Internet vernetzten Salafistenmilieus sind immer wieder Männer und Frauen in die pakistanische Terrorhochburg Wasiristan gereist. Von dort werden die Salafisten in Deutschland auch zu Straftaten ermuntert. Nach den Krawallen in Solingen und Bonn rief der Terrorist Yassin Chouka, er stammt aus Bonn, in einer Audiobotschaft die hiesige Szene auf, Journalisten und Mitglieder der islamfeindlichen Partei „Pro NRW“ zu töten. Chouka und sein Bruder gehören der Terrororganisation „Islamische Bewegung Usbekistans“ an, die mit Al Qaida und Taliban verbündet ist.
Wie reagieren die muslimischen Verbände auf Salafisten?
Die meisten muslimischen Organisationen lehnen die Salafisten ab. Nach dem Treffen der Islamkonferenz im April berichtete Friedrich, die muslimischen Verbände hätten sich überwiegend „sehr eindeutig“ gegen den Salafismus positioniert. Vielen muslimischen Organisationen sind die Salafisten viel zu radikal. Selbst im Spektrum der Islamisten gibt es zumindest Vorbehalte. Organisationen wie der türkische Verein Milli Görüs streben zwar auch ein Gesellschaftssystem auf der Basis „göttlicher Offenbarung“ an, propagieren aber keine Gewalt.
Was können die Maßnahmen bewirken?
Das Verbot von Millatu Ibrahim und die zu erwartende Auflösung von DWR und Dawa FFM wird die Salafisten schwächen, aber nicht stoppen. Sicherheitskreise erwarten sogar, dass die Szene, derzeit etwa 4000 Personen, weiter wächst. Ein wesentlicher Grund: Die Aktivitäten im Internet sind kaum zu bremsen. Über ausländische Provider und Server erreichen Extremisten gleich welcher Couleur die Bundesrepublik, auch nach Verboten. Die Sicherheitsbehörden versuchen dennoch, die Hetze im Internet einzudämmen. Es sei eine „dreistellige Zahl von Providern“ angeschrieben und um Herausnahme der Seiten von Millatu Ibrahim, DWR und Dawa FFM gebeten worden, sagen Experten. Die Website von Millatu Ibrahim konnte am Donnerstag nicht mehr aufgerufen werden.
Trotzdem sind islamistische Organisationen mit Verboten nur schwer zu zerschlagen. So taxiert der Verfassungsschutz den 2003 aufgelösten Verein Hizb-ut-Tahrir weiterhin auf 300 Anhänger. Der Gruppierung „Kalifatsstaat“, schon 2001 verboten, halten sogar 800 Islamisten die Treue.
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