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Bei den Evakuationen im Zentrum von Barcelona mussten Passanten mit erhobenen Händen gehen.
© Josep Lago/AFP

Terror in Spanien: Was wir wissen und was nicht

Das Vorgehen der Täter ähnelt den Attentaten von Nizza und Berlin: Deutsche Sicherheitskreise sprechen von "individuellem Dschihad". Ein Überblick.

Ein weißer Lieferwagen überrollte am Donnerstagnachmittag auf der Hauptflaniermeile der Stadt offenbar dutzende Menschen. Mindestens 13 Menschen wurden getötet, mindestens 100 weitere verletzt, wie der katalanische Innenminister Joaquim Forn am Donnerstagabend mitteilte. Die Behörden bestätigten, dass es sich um einen Terroranschlag gehandelt habe. Die IS-Terrormiliz reklamierte den Anschlag für sich. Einer „der Soldaten des Islamischen Staates“ habe die Tat ausgeführt, meldete ihr Sprachrohr, die Agentur Amak, im Internet unter Berufung auf nicht näher genannte Sicherheitsquellen.

Eine Explosion in Alcanar am Mittwochabend soll mit dem Attentat in Verbindung stehen.

In der Nacht nach dem Terroranschlag in Barcelona vereitelte die Polizei im Badeort Cambrils, etwa 100 Kilometer südwestlich von Barcelona, einen weiteren Anschlag. Fünf Männer fuhren auf der Strandpromenade Menschen mit einem Auto um, bevor sie von den Sicherheitskräften gestoppt wurden. Vier mutmaßliche Terroristen wurden von der Polizei erschossen, ein fünfter erlag später seinen Verletzungen.

Den Live-Blog vom Donnerstagabend können Sie hier nachlesen.

Was ist passiert?

Offenbar fuhren am frühen Donnerstagabend zwei Männer mit einem Lieferwagen in Höhe des berühmten Platzes Plaça Catalunya am nördlichen Ende der Rambla auf die Fußgängerpromenade in der Mitte der Allee und kamen erst nach rund 600 Metern in der Nähe der Markthalle La Boqueria zu stehen. Die Fahrt endete an einem Zeitungskiosk, gegen den das Fahrzeug krachte. Mehrere Personen stiegen dann aus dem Wagen und liefen zu Fuß weg, sagte Polizeichef Josep Lluís Trapero. Es gebe keine Hinweise, dass die Männer bewaffnet gewesen seien.

Am Donnerstagabend teilte die katalanische Polizei mit, dass ein Autofahrer an einer Straßensperre zwei Beamte angefahren hat. Der Mann starb bei dem Vorfall. Wodurch, ist nicht klar. Polizeiangaben zufolge habe der Mann aber nichts mit dem Attentat auf den Ramblas zu tun.

Die Polizei bringt eine Explosion in Alcanar, rund 200 Kilometer südwestlich der katalanischen Hauptstadt, mit dem Terroranschlag in Verbindung. Laut Polizeichef Trapero habe es den Anschein, dass die Bewohner des Hauses einen Sprengstoffsatz gebaut hätten. Bei der Explosion, die sich offenbar bereits am späten Mittwochabend ereignete, wurde ein Mensch getötet und weitere verletzt.

In der Nacht nach dem Anschlag auf den Ramblas vereitelte die Polizei einen zweiten Anschlag im Badeort Cambrils. Ein Sprecher der katalanischen Regionalregierung teilte mit, mutmaßliche Terroristen hätten auf der Strandpromenade gegen Mitternacht mehrere Menschen mit einem Audi umgefahren, bevor sie von Polizisten gestoppt wurden. Vier der fünf mutmaßlichen Attentäter starben in einem Schusswechsel, ein fünfter erlag später seinen Verletzungen, wie die Polizei mitteilte. Daneben seien sechs Zivilisten und ein Polizist verletzt worden. Am Freitagmorgen gab die Polizei bekannt, dass die fünf mutmaßlichen Täter Sprengstoffgürtel getragen hatten.

Wer sind die Täter?

Nach Angaben des katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont wurden am Abend zwei Verdächtige festgenommen. Einer von ihnen wurde als Driss O. identifiziert, wie ein Sprecher der Polizeigewerkschaft sagte. Die katalanische Zeitung „La Vanguardia“ und das staatliche Fernsehen TVE meldeten, dass es sich bei einem der Festgenommenen um einen Mann handele, der in einer Stadt bei Barcelona gemeldet sei. Er komme aus Marseille und habe nordafrikanische Wurzeln. Der Fahrer des Wagens, mit dem der Anschlag verübt wurde, ist noch auf der Flucht.

In der etwa 70 Kilometer entfernten Stadt Vic wurde ein zweites Fahrzeug gefunden, das ebenfalls mit dem Anschlag in Verbindung gebracht wird. Ob dieses Fahrzeug für einen weiteren Anschlag oder für die Flucht benutzt werden sollte und wer es gemietet hat, war unklar.

Deutsche Sicherheitskreise sprachen von bis zu drei Tätern, rechnen den Anschlag aber dem individuellen Dschihad zu – in einer Reihe mit den Angriffen in Nizza und Berlin, wo ein Einzeltäter mit einem Lkw in eine Menschenmenge fuhr. Der IS animiere seine Anhänger, auf eigene Faust Anschläge zu verüben. Ob diese dann als Einzeltäter handelten oder als Kleinstgruppe, mache keinen großen Unterschied.

Auch die Identität der Täter von Cambrils ist noch völlig unklar.

Wer sind die Opfer?

Es ist davon auszugehen, dass sich Touristen unter den Opfern befinden. Der Tod einer Person aus Belgien wurde bereits bestätigt.

Wie war die Situation vor Ort?

Das Attentat in Barcelona begann gegen 17 Uhr. Auf Bildern des spanischen Fernsehens, die Minuten später entstanden, sah man verletzte Personen auf dem Boden liegen, auch ein Kind war darunter. Blutlachen waren auf dem Boden, dazwischen lagen verstreut Kleidungsstücke und Rucksäcke. Postkarten- und Souvenirständer, an denen die Touristen ihre Andenken kaufen, waren umgestürzt. Man hörte Schreie und Schluchzen. Schwerbewaffnete Beamte sperrten das Viertel großräumig ab und evakuierten Gebäude im Umkreis von 200 Metern. Krankenwagen bahnten sich ihren Weg zum Tatort, ein Hubschrauber kreiste über der Stadt. Geschäfte, in denen Hunderte von Personen Schutz suchten, ließen die Rollläden herunter. Der Fahrer des Tatfahrzeuges versuchte nach Augenzeugenberichten, „so viele Menschen wie möglich zu überrollen“. „Er fuhr im Zickzack über die breite Flaniermeile“, berichtete ein Mann im spanischen Fernsehen. Die Polizei bat die Menschen über Lautsprecher und Radio, nicht ins Stadtzentrum zu gehen. Wer in der Innenstadt war, sollte dort an einem sicheren Ort bleiben. Gerüchte, wonach sich ein weiterer mutmaßlicher Terrorist in einem Restaurant verschanzt haben sollte, stellten sich als falsch heraus.

Wofür steht der Anschlagsort?

Die breite Promenade Las Ramblas, die durch Barcelonas Innenstadt zum Meer führt, gehört zu den beliebtesten Treffpunkten in der Stadt. In ihrer Mitte liegt eine zehn Meter breite Fußgängerzone, links und rechts fließt der Verkehr. Bei Touristen ist die Meile ein beliebtes Ziel. Spanien ist das drittgrößte Touristenziel weltweit. In diesem Jahr erlebten das ganze Land sowie auch Barcelona einen Rekordandrang von Urlaubern. Denn viele, die früher nach Tunesien, Ägypten, in die Türkei oder nach Frankreich fuhren, haben nach den dortigen Terroranschlägen umgebucht. Spanien gilt als vergleichsweise sicher.

Die Polizei war am Donnerstagabend nach wenigen Minuten vor Ort, riegelte den Anschlagsort ab und evakuierte alle Gebäude im Umfeld.
Die Polizei war am Donnerstagabend nach wenigen Minuten vor Ort, riegelte den Anschlagsort ab und evakuierte alle Gebäude im Umfeld.
© Josep Lago/AFP

Musste Spanien mit Terror rechnen?

Spanien wurde bislang von extremistischer Gewalt weitgehend verschont. Die spanischen Behörden halten sich hinsichtlich der Bedrohung durch den Terrorismus weitgehend bedeckt. Dennoch gilt auch in Spanien seit zwei Jahren die zweithöchste Terrorwarnstufe 4. Dies bedeutet, dass – wie überall in Europa – ein „erhebliches Risiko eines terroristischen Anschlags“ besteht. Seitdem sind in Spanien 178 terrorverdächtige Islamisten festgenommen worden. Die Polizeipräsenz in touristischen Hochburgen, auf Bahnhöfen und Flughäfen war in den letzten Monaten sehr hoch. Innenminister Zoido räumte aber auch ein: „Absolute Sicherheit gibt es nicht.“ Spanien wurde von Dschihadisten jüngst immer öfter als mögliches Ziel genannt. Auf extremistischen Webseiten wurden dafür historische Gründe angeführt: Sie verweisen auf die frühere muslimische Herrschaft über weite Teile des heutigen Spaniens.

Gab es zuvor konkrete Anschlagspläne?

Erst im Juni waren vier Terroristen auf der Urlaubsinsel Mallorca festgenommen worden. Die Dschihadisten waren nach Angaben von Innenminister von Juan Ignacio Zoido Anhänger der Terrororganisation IS. Sie hatte die Verantwortung für die meisten Terroranschläge der jüngeren Zeit in Europa behauptet. Wenigstens einer der auf Mallorca festgenommenen Männer hatte Terrorpläne: Er wollte offenbar auf dem Rathausplatz von Inca mit einem Messer wahllos Passanten angreifen. Der Terrorverdächtige habe „ein Gemetzel“ geplant gehabt, schreibt der Untersuchungsrichter in seinem Bericht. Zudem soll sich die Fundamentalistengruppe der Terrorpropaganda, der Rekrutierung und der Ausbildung neuer gewaltbereiter Islamisten sowie der Finanzierung des IS- Krieges in Syrien gewidmet haben.

Der bisher blutigste Terroranschlag in Spanien hatte sich am 11. März 2004 ereignet. Damals hatten islamistische Attentäter in Madrid Bomben in Pendlerzügen gezündet und 191 Menschen getötet. Rund 1500 weitere wurden verletzt. Zu der Tat bekannten sich damals Anhänger des Terrornetzwerks Al Qaida.

(mit dpa, AFP)

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