Griechenland vor dem Sondergipfel: Was will Alexis Tsipras?
Kurz vor dem EU-Sondergipfel in Brüssel steht der griechische Premierminister von allen Seiten unter Feuer. Wie will Alexis Tsipras sein Land retten?
Besondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen: Zum Sondergipfel in Brüssel fliegen Griechenlands Politiker diesmal nicht Linie. Der Regierungsjet von Premierminister Alexis Tsipras sollte – so war es zumindest geplant – schon am Sonntagabend mit einer großen Delegation aus Athen in Richtung Belgien starten. Die wichtigsten Namen auf der Passagierliste: Der Premier selbst, sein Chefverhandler Euclid Tsakalotos und Finanzminister Yanis Varoufakis.
Der Druck, der auf dem griechischen Premier lastet, ist enorm – von ihm wird eine Einigung erhofft, die den Syriza-Versprechen standhält (Erwartung aus Griechenland) und trotzdem den Forderungen der Gläubiger entspricht (Erwartung der Geldgeber). Ein Kompromiss zwischen zwei Standpunkten, die konträrer kaum sein könnten.
Bei einer Telefonkonferenz hatte Tsipras vorab Bundeskanzlerin Angela Merkel, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und Frankreichs Präsident François Hollande schon einmal erläutert, auf was man sich aus griechischer Sicht gerne einigen würde. Den erneuerten Vorschlag hatte Tsipras am Sonntagmittag innerhalb der Regierung abgestimmt.
Wie gestärkt oder geschwächt geht die griechische Seite in die Verhandlungen?
Die Verhandlungen am Montag – zunächst innerhalb der Euro-Gruppe und dann später im Kreise der Staats- und Regierungschefs – sollen nach monatelangem Hin und Her nun endlich den Durchbruch bringen. „Hier sind alle erschöpft“, sagte am Sonntag einer, der auf griechischer Seite mit den Verhandlungen vertraut ist, dem Tagesspiegel. „Und ich bin mir ziemlich sicher, der anderen Seite geht es genauso.“ Wie ein Waterboarding habe man in Athen die vergangenen Tage und Wochen empfunden.
Nicht nur die harten Verhandlungen mit Brüssel setzten der griechischen Regierung zu, dazu kamen vermehrt Negativnachrichten aus dem eigenen Land. Die Steuereinnahmen sind eingebrochen, auch im zweiten Quartal droht die griechische Wirtschaft nach Experteneinschätzungen wieder zu schrumpfen.
Und das, während die Gläubiger immer noch einen – wenn auch reduzierten – Primärüberschuss am Ende des Jahres verlangen. Das griechische Dilemma mit diesem Überschuss: je weniger sie auf der Einnahmeseite vorweisen können, desto mehr müssen sie auf der Ausgabeseite kürzen – und umso stärker müssen sie gegen ihre eigenen Vorhaben verstoßen, den Griechen keine weiteren Austeritätsmaßnahmen mehr zuzumuten.
Den entscheidenden Anstoß zur Kompromissfindung könnte nun die Angst der eigenen Bürger vor möglichen Kapitalverkehrskontrollen und der Rückkehr zur Drachme geben. Bis zu fünf Milliarden Euro sollen die Griechen in den vergangenen Tagen von ihren Bankkonten abgehoben haben. Das hinterlässt Spuren. „Die Dynamik der Abhebungen in der vergangenen Woche hat die Regierung endgültig wachgerüttelt“, sagt Jens Bastian, deutscher Wirtschaftsberater in Athen und früherer Mitarbeiter der EU-Taskforce für Griechenland.
„Das waren zu drei Vierteln Barabhebungen privater Einlagen, weniger Unternehmen. Damit haben sich die griechischen Bürger – die auch in Umfragen zu über 70 Prozent gegen einen ,Grexit’ sind – erstmals nicht nur als Wähler, sondern auch als Sparer zu Wort gemeldet.“ Am Freitag erhöhte die Europäische Zentralbank kurzfristig erneut die Nothilfen für griechische Banken, damit diese die Abflüsse auffangen können – limitierte diese aber bis Montag. Auch der interne Druck auf die griechische Regierung zu einer Einigung zu kommen, ist daher größer als je zuvor.
Was ist neu am neuen Vorschlag aus Athen – und wie stehen die Chancen auf eine Einigung?
In einem Beitrag für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ warnt Varoufakis zwar, Syriza könne nicht tun, was vorherige Regierungen getan hätten: „Kredite zu Bedingungen zu akzeptieren, die Griechenland wenig Hoffnung machen, seine Schulden je zurückzahlen zu können“ – doch die Regierung scheint sich dennoch schon relativ weit auf die Gläubiger zubewegt zu haben. Die Lücke beim anvisierten Primärüberschuss sieht man in Athen bereits überbrückt, sie lag bisher bei noch rund 0,5 Prozent und bereitete vor allem dem Internationalen Währungsfonds Bauchschmerzen. So will man in Athen die Mehrwertsteuer noch stärker anpassen als bisher angenommen und bei der geplanten Steuer auf große Betriebsgewinne nicht erst bei einer Million, sondern bereits bei 500 000 Euro ansetzen. Auch bei der Rentenfrage soll es gerüchteweise auf beiden Seiten Bereitschaft zu Zugeständnissen geben, Details waren hier am Sonntag aber nicht zu erfahren. Für Syriza ist dies der wohl schmerzhafteste Punk, hatte die Regierung doch versprochen, die Renten nicht anzutasten.
Für Finanzminister Varoufakis und die restliche griechische Regierung entscheidend ist die Frage, was nach dem Abschluss des jetzigen Programms passiert – ob also eine mögliche Umstrukturierung der Schulden folgt und wenn ja unter welchen Bedingungen. Denn die 7,2 Milliarden Euro, die aus dem bereits beschlossenen Hilfspaket noch ausgezahlt werden können, reichen gerade so, um im Sommer die fälligen Tranchen an den Internationalen Währungsfonds zu bedienen. Danach stünde Athen wieder vor derselben Diskussion.
Tsipras ließ nach dem Gespräch mit Hollande, Merkel und Juncker verbreiten, die griechische Seite habe einen Vorschlag für einen gegenseitigen Kompromiss unterbreitet, der eine „endgültige Lösung ermöglicht und die Probleme nicht einfach verschiebt“. Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass Athen weiter auf einem Schuldenerlass besteht, den besonders Deutschland bisher verweigert. Der Internationale Währungsfonds hatte sich bereits deutlich für eine Umstrukturierung der Schulden ausgesprochen. Tsipras will hier mit klaren Absprachen oder noch besser einer schriftlichen Vereinbarung nach Hause zurückkehren. Denn die Frage ist nicht neu: Schon im November 2012 wurde mit der konservativen Samaras-Regierung grundsätzlich mögliche Schuldenerleichterungen beschlossen. Dieser „Fahrplan“ war aber an verschiedene Auflagen gebunden: ein mehrjähriger Primärüberschuss und strenge Reformauflagen für die Rentenreform, Mehrwertsteuerangleichung und Privatisierungen. Tsipras aber wird mehr Konkretes wollen, um auch die parteiinternen Kritiker eines möglichen Deals ruhigzustellen. „Denkbar wäre zum Beispiel, dass der Europäische Rettungsfonds dem IWF und der EZB die griechischen Zahlungsverpflichtungen für dieses Jahr abkauft und die Rückzahlung streckt“, sagt Wirtschaftsexperte Bastian. „Das könnte die Syriza-Regierung zu Hause als ersten Erfolg hin zu einer Schuldenrestrukturierung mit den Gläubigern darstellen.“
Wie kann ein Bankrott Griechenlands in nur wenigen Tagen noch abgewendet werden?
Selbst wenn sich die Gläubiger und die Tsipras-Regierung in diesen Tagen grundsätzlich auf einen Kompromiss einigen, wird das nicht gleich zur Auszahlung der Gelder führen. Die EZB könnte das Abkommen aber nutzen, um Athen vorübergehend zu erlauben, mehr kurzfristige Anleihen auszugeben und so die Zahlungen an den IWF Ende des Monats leisten zu können. „Und auch die IWF-Deadline als solche Ende des Monats ist nicht sakrosankt“, sagt Bastian. „Wenn Athen guten Willen zeigt, könnte der IWF diese durchaus aufschieben.“ Es müsse also auch ohne direkte EU-Gelder nicht zwangsläufig zu einer Zahlungsunfähigkeit kommen.