Urteil im Prozess um den Tod von Tugce Albayrak: Was von ihr bleibt
Eine Heldin? Eine Ikone der Zivilcourage? Der gewaltsame Tod von Tugce Albayrak hat viele Menschen bewegt. Nun wurde der Täter zu drei Jahren Haft verurteilt. Viele Fragen bleiben offen. Eine Frage aber nicht. Ein Kommentar.
Im Journalismus gibt es ein Bonmot, das lautet: Man soll sich eine gute Geschichte nicht durch zu viel Recherche kaputtmachen. Schließlich hält die Wirklichkeit nur selten, was das Vorurteil über sie verspricht. Jene ist grau in grau, dieses schwarz-weiß.
Als die 22-jährige Studentin Tugce Albayrak im November vergangenen Jahres auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants in Offenbach ins Koma geprügelt wurde, nachdem sie zwei minderjährige Mädchen vor den Zudringlichkeiten eines 18-jährigen Mannes – dem späteren Täter Sanel M. – und seiner Freunde beschützt hatte, wurde sie rasch zu einer Ikone der Zivilcourage. Hier die junge, mutige Frau, die ihr selbstloses Engagement kurze Zeit später mit dem Leben bezahlte. Dort der junge, skrupellose Mann, der zuschlug, weil er rasend war vor Wut über das, was er wohl als Beleidigung seiner Männlichkeit empfand.
Für seine Tat muss Sanel M. drei Jahre lang ins Gefängnis. Das Landgericht Darmstadt fällte am Dienstag sein Urteil nach dem Jugendstrafrecht und verhängte die Strafe wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Doch viele Fragen in dem Prozess blieben offen. Die Zeugen widersprachen einander, je nach Lagerzugehörigkeit, einige hatten gravierende Erinnerungslücken.
Offenbar hatte sich der Streit zwischen einer Gruppe junger Männer und einer Gruppe junger Frauen hochgeschaukelt. Beide Seiten beleidigten sich. Schlug Sanel M. dann im sogenannten Eifer des Gefechts zu, ohne die Folgen seiner Attacke bedacht zu haben, wie seine Verteidiger betonten? Oder hatte er sich bewusst mit einem Freund zum Verprügeln einer Frau verabredet und die Folgen seines Schlags in Kauf genommen? Das Licht, das in all das Dunkle gebracht werden sollte, erhellte es kaum. Dennoch geriet das Bild vom reinen, edlen Opfer bald ebenso ins Wanken wie das vom abgrundtief bösen Täter.
Das Urteil über Tugce Albayrak spricht die Öffentlichkeit, nicht das Gericht
Wenn nun aber von dieser Geschichte nichts weiter übrig bleibt als die achselzuckende Erkenntnis, dass die Wahrheit immer komplex ist und die Menschen nie nur gut und böse sind, wäre das so falsch wie fatal. Denn aus der Tatsache, dass es ein Morgengrauen und die Dämmerung gibt, folgt ja auch nicht, dass Tag und Nacht nicht existieren.
Tugce Albayrak griff ein, als zwei Mädchen bedroht wurden. Auch dafür wurde sie von Sanel M. zu Boden geschlagen. An diesen beiden Sätzen lässt sich nur schwerlich rütteln. Sie bilden den Kern der Geschichte. Dass vielleicht zusätzliche Kausalketten die Ereignisse beschleunigten und der Täter womöglich nur kurz die Kontrolle über sich verlor, vervollständigt als Information allenfalls das Bild. Dessen emotionale Botschaft indes verändert es nicht.
Denn in ihr spielt Tugce Albayrak die Hauptrolle, nicht Sanel M. Das Gericht hatte darüber zu befinden, wie böse der Täter ist. Das Urteil über Tugce Albayrak aber spricht die Öffentlichkeit. Und für die zählt vor allem dieser kurze Moment, als Tugce Albayrak, nach allem, was man weiß, den beiden Mädchen, die belästigt werden, zur Seite steht. Für diesen Moment – oder den Glauben daran – schlossen Tugce auch jene in ihr Herz, die sie nicht kennen und nie kannten. Und für diesen Moment behalten sie sie auch darin.
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