Koalitionsvertrag von SPD und Linke: Was Rot-Rot in Brandenburg vorhat
BER fertig kriegen, keine Schulstrukturreform und Abwarten bei der Braunkohle. SPD und Linke haben sich auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Ein Überblick, was in den nächsten fünf Jahren in Brandenburg geschehen soll.
Nur 26 Tage nach der Landtagswahl in Brandenburg steht die Koalition. Das entsprechende Dokument hat 70 Seiten. „Sicher, selbstbewusst, und solidarisch: Brandenburgs Aufbruch vollenden“ – so steht es als Titel über dem rot-roten Koalitionsvertrag für die Neuauflage des Regierungsbündnisses von SPD und Linken, den Ministerpräsident und SPD-Parteichef Dietmar Woidke und der Linke-Landesvorsitzende Christian Görke am Freitag in Potsdam vorgestellt haben. Es ist derzeit das einzige rot-rote Regierungsbündnis in Deutschland. Ein Überblick, was in den nächsten fünf Jahren im Nachbarland Berlins geschehen soll.
Warum ging es so schnell?
Die Situation ist eine andere als in Thüringen oder Sachsen. Die beiden Partner kennen sich. SPD und Linke haben schließlich in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam regiert und dabei viele Krisen bewältigt. Schon die Wahlprogramme der beiden Parteien enthielten viele Übereinstimmungen. So haben SPD und Linke beispielsweise mehr Lehrer und zusätzliche Polizisten versprochen. Der Hauptgrund ist allerdings, dass sich die Finanzlage Brandenburgs im Unterschied zu früheren Zeiten deutlich verbessert hat. So wollen und können SPD und Linke in den nächsten fünf Jahren nach den Worten von Woidke 700 Millionen Euro zusätzlich ausgeben – und das, ohne dafür neue Kredite aufnehmen zu müssen.
Worin bestehen die größten Unterschiede zum alten Koalitionsvertrag?
Der Start der Vorgängerkoalition 2009 in Brandenburg war – vergleichbar mit den Thüringer Debatten jetzt – wegen der Stasi-Enthüllungen bei den Linken schwierig, der frühere Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) geriet in Rechtfertigungsnöte. Die letzte Koalition stand unter dem Druck beweisen zu müssen, dass es keinen Schlussstrich unter SED- und Stasi-Unrecht gibt. Im Koalitionsvertrag gab es deshalb eine extra Präambel. Diesmal heißt es: „Auch in Zukunft wird es mit uns keinerlei Verklärung der SED-Diktatur geben. (...) Die Erinnerung an erlittene Repressalien werden wir wachhalten.“ Die Empfehlungen der Enquête-Kommission zum Umgang mit der SED-Diktatur im Land will das neue Bündnis, „wo sinnvoll und finanzierbar“, umsetzen.
Und, auch anders als 2009, hatte die Linke diesmal nicht das Dilemma, von Wahlversprechen abrücken zu müssen. Dass es keine neuen Tagebaue geben werde und die Polizei nicht reduziert wird, hatte die Linke gar nicht erst versprochen.
Bei welchen Themen war man sich uneins?
Es gab nur wenige, etwa die Energiepolitik und die Bildungspolitik. Da wollte die Linke den Einstieg in die Gemeinschaftsschule, die SPD lehnte das strikt ab. Für die SPD war klar, dass die Schulstrukturen nicht angetastet werden. Der Kompromiss sieht nun so aus, dass sich Schulen auf freiwilliger Basis zu Schulzentren zusammenschließen dürfen, Grund- und Oberschulen, aber auch Gymnasien. An Ort und Stelle gibt es in den berlinfernen Regionen solche Bestrebungen, weil es immer weniger Kinder gibt. Linke-Chef Görke sieht darin die linke Handschrift: „Längeres gemeinsames Lernen von der ersten bis zur 13. Klasse wird möglich sein.“
Worüber wurde am heftigsten gestritten?
Über den Verfassungsschutz. Die Linke will eine Schwächung, eigentlich eine Abschaffung. Das war für die SPD, die mit dem Wahlsieg bei der Landtagswahl am längeren Hebel saß, nicht verhandelbar. In Thüringen haben sich Rot-Rot-Grün bei den Sondierungen darauf verständigt, V-Leute abzuschalten und keine neuen anzuwerben. In Brandenburgs rot-rotem Koalitionsvertrag steht unter Verweis auf die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus: „Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes leisten dazu einen wichtigen Beitrag. Der Verfassungsschutz ist seit Bestehen unseres Landes stärker als anderswo in die demokratischen Strukturen integriert. Aufgaben, Ressourcen und Befugnisse müssen den bestehenden aktuellen Anforderungen gerecht werden.“ Allerdings will die Koalition, wenn nötig, Konsequenzen aus Erkenntnissen der NSU-Untersuchungsausschüsse und dem Prozess in München ziehen.
Kann Rot-Rot noch scheitern?
Das ist denkbar, aber unwahrscheinlich. Die Basis der Linken muss dem Koalitionsvertrag in einer Urabstimmung unter den 7000 Mitgliedern zustimmen. Das Verfahren ist ähnlich wie das in der SPD vor der Bildung der großen Koalition im Bund voriges Jahr. Aktuell sieht es aber nicht so aus, dass es einen Aufstand der Basis gibt. Ein Risiko haben SPD und Linke ausgeklammert: Anders als 2009 enthält der Koalitionsvertrag keine Aussagen dazu, wie die Ministerien und deren Zuschnitte aussehen sollen und wie viele Ressorts die Linken bekommen. Hintergrund ist die Sorge, dass Personaldebatten den Mitgliederentscheid hätten gefährden können.
BER, Bezirksreform, Braunkohle - die wichtigsten Vorhaben
Das wichtigste Projekt ist die geplante Kreisgebietsreform – die erste seit 1993. In Brandenburg herrscht mit achtzehn Land- und Stadtkreisen so etwas wie Kleinstaaterei. „Wir halten zehn Kreise für ausreichend“, erklärte Woidke dazu. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Das Projekt birgt für brandenburgische Verhältnisse – ähnlich wie in Berlin die letzte Reform der Bezirke – jede Menge Streitpotenzial. Vor allem deshalb, weil die großen Städte wie Brandenburg an der Havel, Frankfurt an der Oder und Cottbus von den umliegenden Landkreisen „geschluckt“ werden sollen.
Wie steht man zur Braunkohle?
Der Vertrag schreibt die bisherige Energiepolitik fort, die auf einen Mix von erneuerbaren Energien und die weitere Förderung und Verstromung der Lausitzer Baunkohle setzt. Entscheidungen wurden auf 2016 vertagt. Es gibt keine Zusage für neue Tagebaue oder den möglichen Bau eines neuen Kraftwerkes. Man will abwarten, wie der Bund bis Ende 2015 „die ordnungs- und strukturpolitischen Rahmensetzungen für die weitere Entwicklung der Energiewende“ festlegt. „Es gibt keine Vorratsbeschlüsse“, sagte Görke. Die Koalition bekennt sich aber zu den laufenden Planungen für den Tagebau Welzow-Süd, was ebenfalls umstritten ist. Eine unterirdische Verpressung von Kohlendioxid aus den Braunkohlekraftwerken, wird es „in Brandenburg nicht geben“, heißt es. „Den Einsatz von Fracking-Technologien mit umweltgefährdenden Stoffen lehnen wir ab.“
Wie geht Rot-Rot mit dem BER um?
Vorsichtig. Ziel sei die schnellstmögliche Fertigstellung, heißt es. „Oberste Priorität“ aber hat der Lärmschutz für die brandenburgischen Anwohner rund um den neuen Flughafen. „Der Bau einer dritten Start- und Landebahn wird abgelehnt“. Geplant ist ein neuer Vorstoß für weniger Nachtflüge. Erreicht werden soll dies, indem man auf eine drastische Erhöhung der Start- und Landegebühren in jenen Nachtstunden drängt, in denen nach dem geltenden Planfeststellungsbeschluss am neuen Airport geflogen werden darf. Diese sei eine Möglichkeit „Starts und Landungen in dieser Zeit wirtschaftlich unattraktiv zu machen“. Keine Aussage findet sich dazu, wer Brandenburg im Aufsichtsrat vertreten wird, also ob künftig Woidke – anders als bisher – in das Gremium geht. Weiteres Geld will die Koalition lieber nicht in das Projekt BER fließen lassen. Unter Vorbehalt stehen auch die nicht von den Parlamenten nicht bestätigten letzten 1,1 Milliarden Euro. „Sie will darauf achten, dass die Flughafengesellschaft zur Finanzierung der Inbetriebnahme vorrangig Quellen außerhalb der Gesellschafter identifiziert und ausschöpft. Das gilt auch für notwendige Kapazitätserweiterungen.“ Brandenburg ist also dafür, auch private Investoren zu gewinnen.
Wie steht das Bündnis zu Berlin, wird eine Fusion wieder möglich?
Nein. Der Nachbar ist nur eine Randnotiz wert. Im 70-Seiten-Vertrag hat die Passage zu „Berlin-Brandenburg“ 13 Zeilen. „Die Koalition wird die Zusammenarbeit mit Berlin weiterhin auf partnerschaftlicher Grundlage gestalten.“ Die Kooperationen sollten vertieft werden, „wo immer dies zu Verbesserungen“ führt. Brandenburg tritt für den Komplettumzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin bis 2019 ein. Ansonsten setzt Brandenburgs neue Regierung auf Brandenburg.