Um Gleichstellung geht es nicht: Was Quotenfrauen können, kann sonst niemand
Ob in Politik oder Wirtschaft – ein weiblicher Pflichtanteil beschleunigt Kulturwandel und stellt Konventionen in Frage. Also her mit Quoten. Ein Kommentar
Eine Frau nominieren. Das würden sie gerne, die Herren Friedrich Merz und Norbert Röttgen und mutmaßlich auch Armin Laschet. Es geht nicht ohne Frau an der Männerseite. Kein CDU-Vorsitz, kein Kanzleramt. Her mit Frauen. Wer keine hat, sieht schlecht aus.
Dies ungefähr ist die Situation an der Spitze der gemessen an Regierungsjahren immer noch erfolgreichsten deutschen Partei zum Weltfrauentag 2020. Gegenüber den fünfziger Jahren unterscheidet sie sich im Wesentlichen dadurch, dass die Herren Politiker die Damen seinerzeit in ihrer Funktion als Ehefrau benötigten und öffentlich vorzuführen pflegten. Heute werden sie offenbar in anderer Funktion gebraucht und vorgeführt. In welcher, scheint zweitrangig. Hauptsache in einer, die wichtig klingt.
Man kann sich über diese Partnerinnensuche amüsieren, weil sie so hübsch verzweifelt wirkt. Oder sich empören, weil in der Fixierung auf das Geschlecht eine Missachtung für alles Übrige zum Ausdruck kommt, das eine Person zur Persönlichkeit macht.
Man muss es aber wohl auch hinnehmen als das, was es ist: Das Ergebnis von Jahrzehnten Gleichstellungspolitik. Ein Denken in Quoten.
Die AfD hat Frauen dringend nötig - sie wirken zivilisierend
Das muss kein schlechtes Denken sein. Die Familien- und die Justizministerin bereiten derzeit die nächsten Quoten vor. Führungspositionen in der Bundesverwaltung sollen künftig zur Hälfte mit Frauen besetzt sein.
Und – wie an der CDU-Vorsitzendenseite – soll es künftig sogar mindestens eine Pflichtfrau in Vorständen privater Aktiengesellschaften geben. Als übergriffig dürfte dies in der Männerwelt der Unternehmens- und Konzernleiter empfunden werden, die ihr Personal in unternehmerischer Freiheit rekrutieren möchten.
Doch nach aufmerksamer Lektüre des Grundgesetzes wird man auch dort nachvollziehen können, dass Frauen im Arbeitsleben auf allen Ebenen Nachteilen begegnen, die zu beseitigen sind.
Der Ruf nach mehr Quote ist deshalb der richtige Vorstoß zur richtigen Zeit. Frauen sind so klug wie Männer und so gut wie Männer, aber sie gelangen oft nicht dahin, wo Männer sind – und viele wollen es derzeit womöglich nicht. Also sollte ihnen der Weg leichter, sollten die Stellen für sie attraktiver gemacht werden; manche müsste man vielleicht nur ermuntern. Dazu dient die Quote.
In Gestalt von Paritätsgesetzen bricht sie zudem politische Strukturen auf, die es gegenwärtig noch erlauben, dass eine Männerpartei mit Männerpolitik wie die AfD zur stärksten Oppositionskraft heranwachsen konnte. Mehr Frauen würden dieser Partei mehr von ihrer Gefährlichkeit nehmen als alle Reden gegen Rechtsextremismus. Die bloße Gegenwart von Frauen wirkt ungemein zivilisierend.
Um Gleichstellung geht es nicht. Die Quote schafft Neues
Einer der besonderen Vorzüge der Quote ist, dass sie patriarchal geprägte Betriebs- und Verwaltungskulturen nicht nur durch den Faktor Frau in Frage stellt. Die Quote stellt das Prinzip Führung insgesamt in Frage, das sich klassischerweise mit männlichen Vorstellungen von Einfluss und Autorität verbindet.
An der Spitze steht demnach regelmäßig der im Konkurrenzkampf Stärkste oder, wie wohl viele Chefs sagen würden, der Begabteste und Beste mit dem, wie man glaubt, weitesten Blick. Mit der Quote könnten andere Eigenschaften, andere Führungskräfte an Bedeutung gewinnen. Es können dann auch Fähigkeiten zu Ausgleich und Kooperation, zur Repräsentation von Interessen und Identitäten sein, mit denen jemand nach vorne kommt.
Dass Quote ein Mechanismus ist, der so etwas wie Gleichstellung bewirkt, erweist sich als Fehlannahme. Durch die Quote entsteht Neues und nichts, was berechnet werden könnte. Sie ist ein Gang ins Ungewisse. Systeme werden irritiert und diejenigen verunsichert, die es ohne sie geschafft haben. Das erzeugt Anpassungsdruck.
Die Quotenfrau fordert heraus. Sie steht für einen hochgradig dynamisierten gesellschaftlichen und technischen Wandel, den niemand aufhalten kann und den die wenigsten aufhalten wollen. Immerhin so viel scheinen Merz und Röttgen bemerkt zu haben.
Jost Müller-Neuhof
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