Hass und Hetze im Netz: Was man statt einer Klarnamenpflicht tun könnte
Als Mittel gegen Hass und Hetze im Netz wird wieder eine Klarnamenpflicht vorgeschlagen. Warum sie nicht wirken würde - und was besser wäre. Ein Gastbeitrag.
Ulf Buermeyer ist Richter am Landgericht Berlin und derzeit abgeordnet an die dortige Senatsverwaltung für Justiz, wo er insbesondere ein Transparenzsystem für Funkzellenabfragen entwickelt. Ehrenamtlich ist er Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die sich mit strategisch geführten Gerichtsverfahren für den Schutz von Grund- und Menschenrechten einsetzt. Dieser Text erschien zuerst in Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI.
Das Internet bereichert die Debatte: Nahezu zum Nulltarif können Menschen in aller Welt miteinander diskutieren, und über soziale Netzwerke können sich Informationen und Positionen von Menschen viral verbreiten, die ohne das Netz kaum Gehör gefunden hätten. Doch soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook lassen sich eben auch für gezielte Diffamierungen nutzen. Und gerade Menschen, die Minderheiten angehören oder Auffassungen abseits des Mainstreams vertreten, berichten von massiven sprachlichen Übergriffen.
So werden etwa politisch engagierte Frauen regelmäßig mit Vergewaltigungsdrohungen überzogen. Der mutmaßlich ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war ebenfalls immer wieder Opfer von Morddrohungen und Hetze. Wenn die Kommunikation über das Netz in dieser Weise missbraucht wird, dann sollte das in einer Demokratie nicht einfach hingenommen werden.
Warum die Klarnamenspflicht keine Lösung ist
Als Reaktion darauf schlagen manche „Nummernschilder“ für das Internet vor - zuletzt haben mehrere CDU-Politiker wieder die Anonymität im Netz kritisiert, darunter die Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Angabe des bürgerlichen Namens solle zur Voraussetzung der Teilnahme an Foren und sozialen Netzwerken gemacht werden. Eine solche „Klarnamenspflicht“ wäre aber das Gegenteil einer sinnvollen Lösung: Sie würde wenig erreichen, um das Netz vor verbaler Gewalt zu schützen, zugleich aber gravierende Kollateralschäden verursachen.
Die Argumente gegen eine Klarnamenspflicht sind vielfältig: Ihre Befürworter verkennen beispielsweise, dass auf Facebook seitens des Betreibers seit Jahren eine Klarnamenspflicht gilt, die von vielen Usern schlicht ignoriert wird. Ob sich angesichts europarechtlicher Vorgaben eine gesetzliche Verpflichtung überhaupt rechtssicher einführen ließe, ist zweifelhaft. Und in jedem Falle würde eine solche Pflicht nur national gelten. Sollen dann alle Beiträge nicht aus dem Inland stammender User, die in aller Regel keinen Klarnamen angegeben haben, einfach ausgeblendet werden? Damit würde Deutschland endgültig zur virtuellen Kleingartenanlage.
Aktuelle Studien sowie die tägliche Erfahrung zeigen außerdem, dass selbst die Angabe des bürgerlichen Namens eine bemerkenswert große Zahl von Usern nicht davon abhält, online Straftaten zu begehen. Denn das Problem bei der Verfolgung von Straftaten im Netz ist weniger die Anonymität der handelnden Personen als das irritierend geringe Engagement bei den zuständigen Stellen. Wenn scheinbar folgenlos Straftaten begangen werden können, so hat dies wiederum Rückwirkungen auf das Unrechtsbewusstsein in der Bevölkerung.
Der schwerwiegendste Nachteil einer Klarnamenspflicht ist aber, dass sie all diejenigen zum Schweigen bringen würde, die auf eine anonyme oder pseudonyme Kommunikation angewiesen sind. Konservative gehen oft davon aus, dass es dieses Bedürfnis nur in autoritären Staaten gebe. Tatsächlich haben aber auch in einem Rechtsstaat viele Menschen nachvollziehbare Gründe, warum sie nicht offen kommunizieren können oder wollen. Wer sich beispielsweise gegen Nazis engagiert, kann sich in manchen Gegenden Deutschlands kaum offen dazu bekennen, ohne erhebliche Risiken in Kauf zu nehmen. Interessanterweise ziehen es auch fast alle auf Twitter aktiven Richterinnen und Staatsanwälte vor, ihre Identität hinter einem Pseudonym zu verbergen.
Besser ist: Gegen die Accounts vorgehen
Eine Klarnamenspflicht wäre deshalb ein gefährlicher Irrweg, gleichwohl sollte der Gesetzgeber aktiv werden. Weil die Identität der virtuellen Schlägertypen nicht in jedem Fall zu klären ist, sollte er sich auf ihre Schlagstöcke konzentrieren – nämlich die Accounts, mit denen sie verbale Gewalttaten begehen. Dazu sollte ein gerichtliches Verfahren eingeführt werden, mit dem Betroffene oder auch Opferschutz-Organisationen Sperren von Accounts beantragen können, die für rechtswidrige Äußerungen missbraucht werden. Damit könnten Gerichte zeitweilige oder – insbesondere im Wiederholungsfalle – auch dauerhafte Sperren gegen bestimmte Accounts verhängen, die die Netzwerke dann bei Zugriffen aus Deutschland nicht mehr anzeigen dürften.
Ein solches gerichtliches Verfahren hätte viele Vorteile: Auf die Identität der Menschen, die einen Account betreiben, käme es nicht mehr an. Zugleich ließe sich so wirksam gegen diejenigen vorgehen, die zwar bekannt, aber aus anderen Gründen nicht greifbar sind, etwa weil sie sich im Ausland aufhalten. Anders als beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) würden außerdem nicht die Netzwerke in mitunter zweifelhafter Weise entscheiden, welche Inhalte tatsächlich rechtswidrig sind, sondern ein unabhängiges Gericht. Die Gerichte sind zu solchen Entscheidungen auch in der Lage – insbesondere die Pressekammern sind es gewohnt, auch heikle Abwägungsentscheidungen im Bereich des Äußerungsrechts binnen weniger Stunden zu treffen.
Soziale Netzwerke sind dank NetzDG „ansprechbar“
Natürlich wirft ein solches gerichtliches Verfahren auch Fragen auf: Gegen wen würde sich ein Antrag zum Beispiel richten, wenn man die verantwortliche Person nicht kennt? Diese Detailfragen sind aber letztlich lösbar, wenn man sich für kreative Lösungen öffnet. In den USA wird in solchen Fällen ein Antrag gegen „John Doe“ gerichtet. Vor Gericht vertreten würde dieser Anonymus dann von dem Netzwerk, das eine etwaige Sperre umzusetzen hätte (Prozessstandschaft).
Die großen Netzwerke veröffentlichen gemäß § 5 NetzDG ohnehin bereits eine Anschrift in Deutschland, unter der sie für Gerichte jederzeit erreichbar sind. Diese Konstruktion würde zugleich sicherstellen, dass die Menschen hinter einem Account rechtliches Gehör erhalten: Wenn man gesetzlich regeln würde, dass die Netzwerke ihnen den Antrag beispielsweise per Mail zur Kenntnisgeben müssen. Damit hätten die Accountinhaber außerdem stets die Möglichkeit, das Visier hochzuklappen, ihre Identität zu offenbaren und das gerichtliche Verfahren selbst fortzuführen.
Die Gesetzgebungskompetenz dürfte beim Bund liegen
Der Bund hat schließlich auch die Gesetzgebungskompetenz für ein solches gerichtliches Verfahren. Denn es geht gerade nicht um eine neue Regulierung der im Netz zulässigen Inhalte, die in den Kompetenzbereich der Länder fallen würde und die ein mühsames Update des Rundfunkstaatsvertrages erfordern würde. Vielmehr kann der Bund sich auf seine Kompetenzen für die Regelung des gerichtlichen Verfahrens sowie für das Telemedienrecht stützen.
Der Bund sollte von dieser Möglichkeit auch dringend Gebrauch machen und ein „Digitales Gewaltschutzgesetz“ erlassen, mit dem Accounts gesperrt werden können, die rechtswidrige Inhalte verbreiten. Gleichzeitig bleiben die Länder aufgefordert, die in ihre Kompetenz fallende Strafverfolgung gerade bei vermeintlich leichteren Online-Straftaten wirksamer zu gestalten.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version hatten wir Buermeyer fälschlicherweise als "wissenschaftlicher Mitarbeiter des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin" bezeichnet.
Ulf Buermeyer