Attentat in Norwegen: Was macht den Rechtspopulismus in Skandinavien so stark?
Die skandinavischen Länder gelten als wohlhabend und weltoffen. Doch in Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark wächst seit vier Jahrzehnten eine politische Bewegung am rechten Rand heran, die Besorgnis erregt.
Rechtspopulistische Parteien sind im Aufwind und lehren die traditionellen Parteien in Skandinavien das Fürchten. Die norwegische „Fortschrittspartei“ ist die zweitgrößte Partei im Parlament und konnte ein Drittel der Wähler auf ihre Seite ziehen.
Warum gewinnen die rechten Parteien ausgerechnet in den skandinavischen Ländern?
Sie haben alle etwas gemeinsam: Parteien wie die Fortschrittspartei in Norwegen, die Schweden-Demokraten, die „Wahren Finnen“ in Finnland, aber auch die niederländische „Partei für die Freiheit“ des Populisten Geert Wilders wuchsen auf dem Humus und der Idee des sozialdemokratisch geprägten Wohlfahrtsstaates. Sie drücken die Furcht der Mittelklasse vor dem sozialen Abstieg aus. Nur wer etwas hat, kann sich Sorgen machen, er würde das Erreichte wieder verlieren.
Die sozialen Grenzen in Nordeuropa sind traditionell durchlässiger und die politischen Hierarchien viel flacher als etwa in Deutschland. Das lässt die Mittelklasse dieser Länder zwar einerseits hoffen, sie seien sozial in Sicherheit, lässt sie aber auch misstrauisch nach „unten“ schielen, wo traditionell aufstiegsorientierte Einwanderer auf ein bessergestelltes Leben drängen.
Wie entsteht Rechtspopulismus?
Die Vorläufer der großen rechtspopulistischen Parteien kommen aus drei ganz unterschiedlichen Ecken: Der dänische Rechtsanwalt Mogens Glistrup gründete schon 1982 die „Fortschrittspartei“, die Mutter aller skandinavischen Rechtspopulisten. Zentraler Programmpunkt war zunächst nur, dass es unmoralisch sei, Steuern zu zahlen. Die „ausufernde“ Bürokratie anzuprangern und den Schwachen der Gesellschaft die Solidarität aufzukündigen, ist seit jeher ein Merkmal des rechten politischen Randes, der ihn vom klassischen Konservatismus unterscheidet. Die christliche Soziallehre ist dem Rechtspopulisten ein Graus. „Gegen den Staat“ zu sein heißt in Wahrheit, nichts abgeben zu wollen.
Die zweite Quelle der Rechtspopulisten ist der konkret begrenzte geografische Bezugspunkt. Der belgische Vlaams Blok etwa war eine neonazistische Politsekte, die nur wegen des besonderen belgischen Nationalitätenproblems Zulauf bekam. Diese regionale Komponente findet man heute bei der italienischen Lega Nord wieder. Auch hier fließen innergesellschaftliche Ressentiments in das politische Programm ein. Der Nord-Süd-Konflikt in Italien ist nichts anderes als ein geografisch kostümierter ökonomischer Verteilungskampf.
Der dritte ideologische Strom, der den Rechtspopulismus speist, ist eine Art Rassismus „light“. Deshalb fällt es auch schwer, die politischen Figuren am rechten Rand einfach dem Neonazismus zuzuordnen, obwohl sie oft in ihrer Biografie tiefbraune Stellen vorweisen. Jörg Haider in Österreich ist das bekannteste Beispiel. Anders Lange, der Gründer der norwegischen Fortschrittspartei soll in seiner Jugend Hitler und Mussolini verehrt haben. Die völkischen Ideen, die sich in Skandinavien vor allem gegen Muslime richten, sind nicht die der primitiven Neonazis. Sie gleichen eher den sogenannten französischen „Neuen Rechten“ des Alain de Benoist, die schon in den siebziger Jahren die „alte Rechte“ für tot erklärte und den plumpen Rassismus der Ultrarechten durch den Kampf des christlich geprägten Abendlandes gegen den zu erwartenden „Mongolensturm“ ersetzen wollte.
Die neue Rechte als Basis des Rechtspopulismus hat den Frieden mit dem Christentum gemacht und will das für ihre Zwecke benutzen. Das erklärt die stark antimuslimische Komponente des Rechtspopulismus vor allem in Skandinavien, wo das Christentum ohnehin viel weniger verankert ist als etwa in Spanien oder gar in Polen.
Gibt es demnach einen Zusammenhang zwischen einer langen Periode der Sozialdemokratie mit dem Erstarken von rechtspopulistischen Strömungen?
Rechtspopulistische Parteien sind nicht zufällig besonders stark in Staaten mit einem ausgebauten Sozialstaat, der aber im Gefolge der ökonomischen Krise mehr und mehr abgebaut wird. Wenn sich herausstellt, dass der paternalistische Staat nicht mehr genug Wohlstand zu verteilen hat, kündigen die Rechtspopulisten den gesellschaftlichen Konsens auf, dass in einer Gesellschaft auch die Schwachen unterstützt werden. Die selbst ernannten „Liberalen“, „Freiheitlichen“ oder „Fortschrittlichen“ befürworten einen Staat, der Gruppen ausgrenzt, die im Gesellschaftsbild der Parteien als „Schmarotzer“ gelten. Im Extremfall unterscheidet sich diese Ideologie dann nicht mehr stark vom Nationalsozialismus und dessen zynischem Motto „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.“
Wo findet der Rechtspopulismus in der Gesellschaft Gehör?
Rechtspopulismus, wie man ihn in Skandinavien beobachten kann, gedeiht nur auf der Basis der Verweigerung: Viele Wähler finden sich in den traditionellen Formen und Ritualen, wie Macht und Herrschaft und politische Teilhabe in einer Demokratie organisiert werden, nicht mehr wieder. Sie fühlen sich einem scheinbar unumkehrbaren Prozess ausgesetzt. Sie wenden sich gegen das, was die Globalisierung mit sich bringt: Arbeitskräfte wandern weltweit dorthin, wo es Arbeit gibt, die Produktion wird dorthin verlegt, wo der Profit am größten ist. Jeder scheint jedermanns Konkurrent auf dem Arbeitsmarkt zu sein. Die Antworten der Rechtspopulisten bleiben jedoch plump. Statt die wahren Probleme zu diskutieren und zu fragen, wie das vielleicht anders geregelt werden könnte, zeigen sie auf andere, die ausgeschlossen werden sollen – Einwanderer oder Menschen, die andere Götter verehren als die Populisten selbst.
Die ultrarechten „Freiheitsparteien“ stehen aber langfristig vor dem unlösbaren politischen Problem, dass sie einerseits das Steuern zahlende Individuum gegen den fordernden Staat stärken, andererseits aber die individuellen Rechte abbauen wollen: Alle Rechtspopulisten haben den Textbaustein „der Staat muss härter durchgreifen“ im Programm, die Kriminalität müsse noch stärker bekämpft werden. Der Überwachungsstaat, sogar in totalitärer Form, ist erwünscht, weil man hofft, dessen unangenehme Risiken und Nebenwirkungen träfen nur die, die man loswerden und derer man sich erwehren will: Einwanderer und sozial Schwache. Aus diesem Grund ist der Begriff „Populismus“ eigentlich nicht ganz korrekt: Auch wenn der Adressat der Parolen etwa des Geert Wilders oder des „Wahren Finnen“ Timo Soini der „kleine Mann auf der Straße“ ist, also das gefühlte Volk: Würde das wahr und umgesetzt, was die Rechtspopulisten fordern, würden auch ihre eigenen Wähler in Mitleidenschaft gezogen. Populismus von Rechts ist weniger eine politische Theorie, als vielmehr eine Vermittlungsform. Ohne das Internet und das Fernsehen gäbe es keine Rechtspopulisten in der heutigen Form. Nur durch die modernen Medien können Inhalte schnell verbreitet werden, nur über diese können die Rechtspopulisten Menschen erreichen, die sich durch traditionelle Parteiarbeit nicht mehr angesprochen fühlen. Wer an den Rändern aller Parteien wildern und die schweigende Mehrheit aktivieren will, reagiert kurzfristig auf öffentliche Diskurse. Die politische Meinungsfindung auf einem Parteitag ist da eher hinderlich.