Alexis Tsipras an der Macht: Was hat Athen vor?
Einen Tag nach ihrem Amtsantritt hat die neue griechische Regierung ihre politische Agenda vorgestellt. Doch noch ist nicht ganz klar, wie die geplanten Maßnahmen finanziert werden sollen.
Griechenlands neuer linker Premier Alexis Tsipras hat seinen Wählern viel versprochen: einen Schuldenschnitt, ein Ende des Sparkurses, höhere Löhne und Renten, umfangreiche Sozialleistungen. Am Mittwoch hat die neue Regierung nun erste Maßnahmen zur Umsetzung ihrer Versprechen bekannt gegeben. „Auf uns warten schwierige Aufgaben“, sagte Tsipras bei der ersten Kabinettssitzung. Er sieht seine Mannschaft als „Regierung der nationalen Rettung“, die von den Wählern das „Mandat für einen radikalen Wandel“ bekommen habe.
Was genau will Tsipras für
seine Landsleute tun?
Tsipras nannte als vordringliche Aufgaben die Bewältigung der „humanitären Krise“, die Stärkung der rezessionsgeschwächten Wirtschaft, den Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft, die Einführung eines „gerechten“ Steuersystems und einen Vierjahresplan, der zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt führen soll. „Wir wollen der Gesellschaft das Gefühl der Sicherheit und ihre Würde zurückgeben“, sagte Tsipras.
Schon im Wahlkampf versprach er kostenlosen Strom und verbilligtes Heizöl für 300 000 bedürftige Familien. Sie sollen auch Lebensmittelmarken und Freifahrscheine für öffentliche Verkehrsmittel erhalten. Arbeitsminister Panagiotis Skourletis verkündete am Mittwoch im Rundfunk, den Mindestlohn in der Privatwirtschaft von 586 Euro auf 751 Euro anheben zu wollen. Ruheständler, deren Rente 700 Euro oder weniger beträgt, sollen bald eine 13. Monatsrente bekommen.
Syriza will außerdem 300 000 neue Arbeitsplätze schaffen. 9500 Beschäftigte, die im vergangenen Jahr auf Druck der Troika ihre Jobs im Staatsdienst verloren haben, sollen wieder eingestellt werden. Die unpopuläre Immobiliensteuer soll abgeschafft werden. Für Jahreseinkommen von bis zu 12 000 Euro sollen keine Einkommensteuern mehr fällig werden. Syriza beziffert die Kosten dieses Sozial- und Steuerpakets auf elf Milliarden Euro. Das Geld soll vor allem durch eine entschlossenere Bekämpfung der Steuerhinterziehung hereinkommen. Experten des griechischen Finanzministeriums schätzten die Kosten vor der Wahl auf 27 Milliarden. Das entspricht der Hälfte der letztjährigen Steuereinnahmen.
Wie sehen Griechenlands Finanzen aus?
Die neue griechische Regierung startet mit einem Milliardenloch im Haushalt. In der offensichtlichen Hoffnung auf Steuersenkungen nach einem Sieg der Linkspartei Syriza haben zahlreiche Griechen in den vergangenen zwei Monaten ihre Steuern nicht gezahlt, soweit dies möglich war, wie ein Mitarbeiter des Athener Finanzministeriums am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur bestätigte. Es fehlten vier Milliarden Euro. Die Lage ist nach den Angaben aus dem Finanzministerium eines der wichtigsten Probleme, mit dem sich die Regierung in den kommenden Wochen beschäftigen muss.
Fordert der Premier einen Schuldenerlass?
Mit den internationalen Geldgebern drohen Konflikte. Das Reizwort „Schuldenerlass“ fiel zwar nicht. Tsipras kündigte aber Verhandlungen über Schuldenerleichterungen an, damit Griechenland endlich aus dem Teufelskreis der Überschuldung und der Rezession herauskomme. Er suche keinen „zerstörerischen Bruch“ mit den Geldgebern, werde aber die „Politik der Unterwerfung“ nicht fortsetzen, sagte Tsipras. Dazu gehört, dass die neue Regierung die Spar- und Reformauflagen nicht umsetzen will. Die laufenden Privatisierungen griechischer Flug- und Seehäfen, des staatlichen Elektrizitätsversorgers und der Staatsbahnen werden sofort gestoppt, wie zuständige Minister ankündigten.
Welche Rolle spielen die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland?
Das Thema deutscher Entschädigungen für die Zerstörungen und Gräuel während der Besatzungsjahre im Zweiten Weltkrieg ist für die Griechen schon lange ein wichtiges. Griechische Widerstandsorganisationen beziffern die Forderungen auf bis zu 160 Milliarden Euro – das wäre die Hälfte der griechischen Staatsschulden. Tsipras will die Forderungen gegenüber Berlin mit Nachdruck vorbringen. Im Vordergrund steht die Forderung nach Rückzahlung einer Zwangsanleihe über 476 Millionen Reichsmark, die das Deutsche Reich 1942 bei der griechischen Notenbank aufnahm. Damit wurden den Griechen die Kosten der deutschen Besatzung aufgebürdet. Nach Berechnungen griechischer Experten hat der Kredit heute einen Wert von elf Milliarden Euro. Die Bundesregierung will sich auf Verhandlungen nicht einlassen. Sie verweist auf Zahlungen von 115 Millionen Mark, die Deutschland 1960 für die Entschädigung von Opfern deutscher Kriegsverbrechen an Athen geleistet hat.
Wie will sich Tsipras gegenüber
Russland verhalten?
Nicht nur in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht Tsipras auf einen Konfrontationskurs zur EU, sondern auch in der Außenpolitik. Bereits am Dienstagabend hatte sich der neue Premier in scharfer Form von einer gemeinsamen Erklärung der EU-Staats- und Regierungschefs zu möglichen neuen Sanktionen gegen Russland distanziert. Er sei vorher nicht konsultiert worden.
Die Entwicklung in der Ukraine und mögliche neue Russland-Sanktionen stehen am Donnerstag auf der Tagesordnung des EU-Außenministerrats in Brüssel. Dann wird sich zeigen, welche Haltung der neue griechische Chefdiplomat Nikos Kotzias einnimmt, der übrigens aus seiner Zeit bei der Kommunistischen Partei Griechenlands über enge Kontakte nach Moskau verfügt. Legt sich Griechenland in der Russlandpolitik quer, wäre das der erste offene Konflikt mit der EU.