Nach dem Treffen im Weißen Haus: Was hat Angela Merkel bei Donald Trump erreicht?
Bundeskanzlerin Angela Merkel wird bei ihrem Besuch in Washington zum weltpolitischen Gegenpol des US-Präsidenten. Freihandel, Rüstung und Flüchtlingspolitik sind die zentralen Streitthemen.
Angela Merkels Besuch bei Donald Trump in Washington hat die Position der Bundeskanzlerin als weltpolitischer Gegenpol zum US-Präsidenten gefestigt. Ob Merkel nun wolle oder nicht: Sie sei „die letzte und beste Hoffnung des Westens“, stellt der frühere US-Außenamts-Staatssekretär James Rubin fest. Mit seinem erratischen Auftreten und seiner Betonung nationaler amerikanischer Interessen gibt Trump die traditionelle internationale Führungsrolle der USA teilweise auf. Merkel füllt die Lücke – und dürfte in den kommenden Monaten besonders bei den Themen Freihandel, Rüstung und in der Flüchtlingspolitik mit dem US-Präsidenten aneinandergeraten.
Ein Beitrag Rubins im Magazin „Politico“ trug die Überschrift: „Die Chefin der freien Welt trifft Trump.“ Merkel möge diesen Titel zwar nicht, doch es bleibe bei der Tatsache, dass die Kanzlerin die einzige westliche Spitzenpolitikerin sei, die dem US-Präsidenten Paroli biete.
Am Tag nach dem Besuch betonten zahlreiche US-Medien die Unterschiede im persönlichen Auftreten der beiden Politiker bei der Begegnung im Weißen Haus: hier die ruhige, abgeklärte Spitzenpolitikerin, dort der Populist des „America First“. Trump wurde wegen seiner Weigerung, Merkel im Oval Office die Hand zu schütteln, viel kritisiert. Die Körpersprache der beiden während der Szene verrate, dass sich Trump neben Merkel schwach fühle, sagte der Medienexperte Joel Silberman der Internetseite „Attn.“ Die Bilder aus dem Oval Office machten deutlich, wer hier der Chef der freien Welt sei – „und es ist nicht Donald Trump“. Eine Unterstützergruppe für Trumps demokratische Wahlkampfrivalin Hillary Clinton wünschte sich auf Twitter, Merkel wäre US-Präsidentin.
Beim Besuch der Kanzlerin sei Trumps Welt mit der Realität kollidiert, kommentierte der Fernsehmoderator Chris Matthews im Sender MSNBC. Die gemeinsame Pressekonferenz der beiden habe gezeigt, „wer der Erwachsene im Saal war“. Trump hasse die Kanzlerin.
US-Politiker sorgen sich um die Folgen der nationalistischen Linie der Regierung
Nicht nur bei den Medien kam Trump schlecht weg. US-Politiker und Kommentatoren sorgen sich über die politischen Folgen der nationalistischen Linie der Regierung. Das sinkende Ansehen für die USA in der Welt bedeute, dass es für das Land in Krisenzeiten schwieriger werde, Verbündete zu finden, erklärte der demokratische Senator Chris Murphy. Der frühere US-Spitzendiplomat Nicholas Burns nannte Trumps Bemerkung über Abhöraktionen des Ex-Präsidenten Barack Obama bei der Pressekonferenz mit Merkel den „Tiefpunkt seiner Präsidentschaft“.
Auch Richard Haass, Präsident der angesehenen Denkfabrik Council on Foreign Relations, befürchtet einen sinkenden internationalen Einfluss der USA, weil sich die Regierung mit Verbündeten überwerfe und eine protektionistische Linie fahre. Trump wies beim Treffen mit Merkel den Vorwurf des Isolationismus zwar zurück, bekräftigte jedoch inhaltliche Positionen, die mit der Tradition der US-Politik brechen. Diese politischen Wendesignale rücken Merkel als Chefin der wirtschaftlichen und politischen Führungsmacht Europas in die Position einer Gegenspielerin Trumps.
Im Streit um die Rüstungsausgaben der Nato-Länder ging Trump bei seiner Begegnung mit Merkel noch weiter als bisher, wie die „New York Times“ feststellte. Der Präsident habe nicht nur erhöhte Militärausgaben verlangt, sondern auch die Begleichung bisher nicht gezahlter Summen. Für solche Forderungen gibt es auf deutscher Seite kein Verständnis. Trump droht zwar nicht mehr mit einem Ausstieg aus dem gegenseitigen Beistandsversprechen der Nato-Mitglieder, doch die Bundeskanzlerin erlebte einen Präsidenten, der das westliche Militärbündnis nicht als unantastbar ansieht.
Auch beim Thema Handel zeichnen sich Konflikte ab. Merkel verteidigte den Freihandel und die EU, während Trump die angeblichen Nachteile für die USA beklagte. In der Flüchtlingspolitik betonte er, Zuwanderung sei ein Privileg und kein Grundrecht, während Merkel die Niederlassungsfreiheit innerhalb der EU lobte.
Die deutsche Seite ist entschlossen, den absehbaren Meinungsverschiedenheiten mit der Trump-Regierung nicht aus dem Weg zu gehen. Dabei setzten Bundesregierung und Diplomaten auf einen gewissen Respekt bei Trump und dessen Beratern für Deutschland. Die deutschen Investitionen in den USA belaufen sich auf insgesamt fast 220 Milliarden Euro – auch das verschafft den Deutschen in Washington Gehör. Zudem erkennt die Bundesregierung zumindest bei einigen wichtigen Mitgliedern des Trump- Teams, wie etwa Sicherheitsberater Herbert Raymond McMaster, einen Grundkonsens, auf dem aufgebaut werden kann.
Wie weit der Vorrat an Gemeinsamkeiten reicht, wird sich in einigen der zwischen beiden Seiten umstrittenen Politikfeldern bald herausstellen. So will Trumps Regierung in den kommenden Monaten eine Steuerreform vorstellen, die möglicherweise eine Importsteuer für ausländische Unternehmen enthalten wird. Auch geht aus Trumps erstem Haushaltsentwurf hervor, dass seine Regierung die Mittel für den Klimaschutz kappen will, weil dieser nach den Worten von Haushaltsdirektor Mick Mulvaney als Geldverschwendung betrachtet wird. Merkel wirbt dagegen dafür, dass die USA wie alle anderen Staaten auch ihre Verpflichtungen aus der Klimavereinbarung von Paris einhalten.
Deutsche Beobachter glauben indes nicht, dass Merkel mit ihrer Washington-Visite das deutsch-amerikanische Verhältnis deutlich entspannt hat – was sie aber nicht der deutschen Kanzlerin anlasten. „Merkel versteht sich als Verteidigerin deutscher Interessen, nicht als vermeintliche Anführerin der freien Welt“, urteilt etwa Thorsten Benner, Direktor des Thinktanks Global Public Policy Institute in Berlin. Die Besucherin habe ihre roten Linien vor allem gegenüber Trumps Angriffen auf die EU und gegenüber seinem Protektionismus auf effektive Weise vertreten und sich um Angebote zur gemeinsamen Politikgestaltung bemüht. „Von Trump kam aber wenig zurück“, meint Benner. Dessen Unterstützung der deutschen Politik und Rolle im Ukraine-Konflikt sei die greifbarste öffentliche Zusage an Merkel gewesen. Der Thinktank-Chef warnt, Trumps Aussage zu den „unfairen Deals“ mit Deutschland, die es zu korrigieren gelte, lasse „viel zukünftigen Sprengstoff erahnen“.
Ganz ähnlich sieht das Josef Braml. „Die Lage ist total angespannt – und sie bleibt leider angespannt“, urteilt der USA-Experte von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Was in Berlin als Lösung eines Problems angesehen werde – etwa der Kampf gegen öffentliche Schulden –, gelte in Washington als das eigentliche Problem. Wie tiefgehend der transatlantische Zwist ist, zeigt sich für Braml auch darin, dass sich Merkel mit dem Freihandels-Befürworter China abstimmte, bevor sie nach Washington flog.
Die USA verhinderten beim G-20-Finanzministertreffen ein Bekenntnis zum Klimaschutz
Dass es die neue US-Administration ernst meint mit ihren Zielen, sieht man auch daran, dass ihre Vertreter beim G-20-Finanzministertreffen in Baden-Baden ein Bekenntnis zum Klimaschutz und gegen Protektionismus in der Abschlusserklärung schlichtweg verhinderten.
Bis sich Merkel und Trump bei den Gipfeltreffen von Nato und G 7 im Mai sowie beim G-20-Gipfel in Hamburg im Juli wiedersehen, werden sich auf einigen Konfliktfeldern neue Entwicklungen ergeben haben. Unkomplizierter dürfte das Verhältnis der beiden dadurch nicht werden.
Für diese Erwartung spricht auch, dass Trump Deutschland nur einen Tag nach dem Besuch Merkels erneut vorwarf, es sei der Nato und den USA „riesige Summen“ im Verteidigungsbereich schuldig. Den USA müsse mehr Geld für die „gewaltige und sehr teure Verteidigung“ gezahlt werden, welche Washington für Deutschland leiste, forderte er am Sonnabend im Kurzmitteilungsdienst Twitter. Zur Beruhigung der Kanzlerin dürfte auch nicht beigetragen haben, dass der Präsident versicherte, das Treffen mit ihr sei „großartig“ verlaufen. Dies werde, klagte Trump in seinem Tweet, in „Fake News“ leider anders dargestellt.